Überwachung:Wie US-Geheimdienste die Anschläge für ihre Interessen nutzen wollen

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CIA und FBI wollen die Verschlüsselung von Whatsapp & Co. knacken. Dabei ist völlig unklar, wie die Attentäter von Paris überhaupt kommuniziert haben.

Von Nicolas Richter, Washington

Als der Whistleblower Edward Snowden im Sommer 2013 das Ausmaß der Überwachung durch den US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) offenlegte, war die Empörung kaum irgendwo so verbreitet wie in Europa. Die Erkenntnisse über die weltweite Lausch- und Speicherpraxis vergifteten das Verhältnis zwischen Berlin und Washington über Monate und bestärkten viele Europäer allgemein darin, dass man den Amerikanern nicht mehr trauen könne.

Nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris nutzte CIA-Direktor John Brennan nun am Montag die Gelegenheit, um die Europäer zu mahnen. "Ich hoffe, dass dies ein Weckruf sein wird", sagte der Chef der Central Intelligence Agency, "besonders in Teilen Europas, wo man falsch dargestellt hat, was Geheimdienste tun, um die Fähigkeiten von Terroristen einzudämmen."

Brennan vermied es am Montag in seiner Rede vor einem Washingtoner Think Tank, sich Genugtuung anmerken zu lassen, aber die amerikanischen Geheimdienste dürften sich nach dem Terror in Frankreich durchaus bestätigt fühlen. In den vergangenen Jahren haben die Verantwortlichen unbeirrt ihr Mantra wiederholt, wonach man gerade jetzt in den gefährlichsten Zeiten überhaupt lebe, und dass der Sicherheitsapparat deshalb keinesfalls geschwächt werden dürfe.

Snowden sei schuld, deutet der CIA-Chef an

Aber nach Snowdens Veröffentlichungen mussten die Dienste erst einmal eine Serie von Rückschlägen hinnehmen: In den USA bildete sich eine Koalition, die von anti-autoritären Linken bis zu libertären Rechten reichte und der die Tragweite staatlicher Überwachungsbefugnisse überhaupt nicht behagte. Schließlich einigten sich Präsident Barack Obama und das Parlament darauf, der NSA ihre Datenbank wegzunehmen, in der die Verbindungsdaten sämtlicher US-Telefonate gespeichert sind. Fortan verwalten wieder die Telefongesellschaften diese Daten, und der Staat erhält sie für seine Ermittlungen nur dann, wenn ein Richter den Zugriff genehmigt.

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CIA-Chef Brennan versuchte nun bei seinem Auftritt am Montag, die Debatte über Sicherheit und Freiheit aufs Neue anzustoßen, aber diesmal unter für ihn günstigeren Vorzeichen. Die Terroristen des "Islamischen Staats" hätten weitere Anschläge auf westliche Länder "in der Pipeline", sagte er. Ohne Snowden zu nennen, klagte er über "unerlaubte Enthüllungen" und die anschließenden Geheimdienst-Reformen und sagte: "Dies macht es zu einer viel größeren Herausforderung, diese Terroristen zu finden." Demnach hat sich der Westen in den Snowden-Jahren in unverantwortlicher Weise selbst geschwächt.

Rechte US-Politiker fordern die Überwachung aller Muslime in Amerika

Während der Staat also abgerüstet habe, hätten die Terroristen aufgerüstet: Sie seien viel geschickter darin, ihre Kommunikation geheim zu halten. "Sie haben gelernt, was sie tun müssen, um ihre Aktivitäten zu verbergen", sagte Brennan. Möglich sei dies auch durch neue Formen der Kommunikation. "Es sind jetzt zahlreiche technische Möglichkeiten verfügbar, die es Geheimdiensten praktisch wie rechtlich außerordentlich schwer machen, Einblick zu bekommen", sagte der CIA-Direktor.

Brennan vermied es, die Pariser Anschläge auf Einzelheiten der neuen Rechtslage zurückzuführen. Dass die NSA ihre Telefondatenbank abgeben muss, kann jedenfalls nicht mitursächlich für den Terror sein, denn die Reform greift erst Ende dieses Monats. Kritiker des US-Überwachungsapparats haben oft darauf hingewiesen, dass der Telefondatenspeicher der NSA nie auch nur einen Anschlag verhindert habe. Die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) widersprach Brennan daher auch sofort. "Soweit ich weiß, fehlte es den Franzosen nicht an Möglichkeiten, Terrorverdächtige zu überwachen", sagte Jameel Jaffer, ein Experte der ACLU. "Wenn wir der Regierung nach Angriffen wie dem in Paris zusätzliche Befugnisse zugebilligt haben, sind sie meistens missbraucht worden."

Rechte Politiker hingegen, unter ihnen auch Kandidaten für das Weiße Haus, schürten Ängste vor syrischen Flüchtlingen und Muslimen allgemein. Der republikanische Abgeordnete Peter King erklärte, der Staat müsse die "muslimische Gemeinde" in Amerika gezielt überwachen, "denn von dort kommt die Gefahr".

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Im Sicherheitsapparat wächst derweil eher die Sorge vor neuen Technologien. Viele Anschläge sind in den vergangenen Jahren verhindert worden, weil Polizei oder Geheimdienste Telefone abhörten oder Botschaften im Internet mitlesen konnten. Aber neue Apps für Mobiltelefone erlauben es inzwischen, Botschaften so zu verschlüsseln, dass die Behörden sie nicht ohne Weiteres entziffern können. Die US-Bundespolizei FBI verlangt seit Monaten eine Gesetzesänderung, um Zugang zu diesen verschlüsselten Nachrichten zu bekommen. Bürgerrechtsgruppen warnen dagegen davor, dem Staat noch mehr Einblick in die Korrespondenz seiner Bürger zu gewähren.

Was die Anschläge in Paris betrifft, so ist es schlicht zu früh für eine Bilanz. Ob der Sicherheitsapparat nur dazulernen muss oder ob er mehr Befugnisse braucht, ist noch unklar.

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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