Garmisch-Partenkirchen:Die Unfallstelle ist geräumt, die Fragen bleiben

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Am Dienstag wurde ein Fahrgestell eines Teils des verunglückten Zuges abtransportiert. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Nach dem Zugunglück in Burgrain werden immer mehr Einzelheiten bekannt. Um die Opfer wird getrauert, gegen drei Bahnmitarbeiter laufen Ermittlungen. Doch es könnte dauern, bis die Ursache des Unfalls tatsächlich geklärt ist.

Von Maximilian Gerl und Matthias Köpf, Garmisch-Partenkirchen

Es sind diese Zahlen und diese Einzelheiten, an denen sich nach einem tödlichen Unfall wie dem Zugunglück vom vergangenen Freitag in Garmisch-Partenkirchen alle festhalten wollen. Am Dienstag hat das Polizeipräsidium Rosenheim einige dieser Zahlen präzisiert und etwa das Alter des getöteten Jugendlichen aus dem Raum Garmisch mit 13 Jahren angegeben statt wie zuvor mit 14. Die beiden Frauen, die mit ihren Kindern vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen waren und die jetzt in Garmisch-Partenkirchen umgekommen sind, waren demnach 30 und 39 Jahre alt; eine 51-jährige Tote stammt aus Wiesbaden, eine 70-jährige aus dem Landkreis München. Die Zahl von fünf Toten hat die Polizei bisher nicht noch ein weiteres Mal nach oben korrigieren müssen wie zuletzt am Samstag, als unter einem der Waggons die Leiche des Jugendlichen geborgen wurde. Und doch ist auch das nicht ausgeschlossen, denn der Zustand einer 34 Jahren alten Frau galt auch am Dienstag noch als kritisch.

An der Unfallstelle auf Höhe des Garmischer Ortsteils Burgrain deutet inzwischen gar nicht mehr allzu viel auf das hin, was sich erst vor wenigen Tagen hier abgespielt hat. Droben auf dem Bahndamm stehen nur noch der hinterste Waggon und die Lok, die den Regionalzug vom Garmisch-Partenkirchen Richtung München geschoben hatte. Der ebenfalls aufrecht gebliebene vorderste Waggon wurde mittlerweile am Gleis abgeschleppt, und der Doppelstockwagen, der vom Bahndamm schräg in den Graben des Katzenbachs hing, ist inzwischen ebenso geborgen wie die beiden Waggons, die in den Graben gekippt waren und vier der fünf Opfer unter sich begraben hatten. Mittlerweile haben schwere Kräne dieses Waggons aus dem Graben gehoben, ein Bagger hat sie zum Abtransport per Tieflader zerteilt. Bald soll zumindest der Straßenverkehr auf der B 2 wieder rollen. Den Tunnel Oberau und den Tunnel Farchant, an dessen südlicher Ausfahrt die Unfallstelle liegt, wollen das Landratsamt und die Polizei wohl an diesem Mittwochnachmittag wieder freigeben. Die Sperre der A 95 bei Sindelsdorf samt Ausleitung aller Autos hat die Polizei schon am Dienstagfrüh aufgehoben.

Im Netz wird wild über die Unglücksursache spekuliert

Mit der Frage, warum der Zug am Freitagmittag entgleist ist, wird sich unter anderem die Polizei dagegen noch eine Weile beschäftigen müssen. Die Staatsanwaltschaft München II hat ein Ermittlungsverfahren gegen drei Mitarbeiter der Deutschen Bahn wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung eingeleitet. Es gehe "bisher um einen Anfangsverdacht", sagte eine Sprecherin und betonte, dass für alle drei die Unschuldsvermutung gelte. Vor allem im Netz rollen längst die Spekulationen zur Unglücksursache, teils mit abstrusem Charakter: Etwa dass wegen des Neun-Euro-Tickets der Zug so überfüllt gewesen sei, dass er entgleiste. Als plausibler gelten da technische Probleme, entweder mit dem Zug oder den Gleisen oder beidem. Einen Bericht der Welt, wonach auf der Strecke Sanierungsarbeiten geplant seien, wollte die Deutsche Bahn mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht kommentieren. "Selbstverständlich setzen wir alles daran, die ermittelnden Behörden bei der Aufklärung der Unfallursache zu unterstützen", teilte ein Sprecher mit.

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Tatsächlich vermerkt eine Baustelleninformation der DB, dass mehrere Maßnahmen entlang der Strecke geplant waren oder sind. Demnach stand unter anderem für Ende Juni eine Gleiserneuerung auf Höhe von Farchant an und eine Gleislageberichtigung bei Oberau und Farchant. Ob diese Arbeiten mit dem Hochwasser vom vergangenen Juli - damals war die Zugstrecke nach Garmisch nicht befahrbar und gesperrt - oder gar dem aktuellen Unglück in Zusammenhang stehen, ist wieder eine andere Frage. Ungewöhnlich sind solche Eingriffe in die Infrastruktur nicht. Wer die Baustelleninfo etwa nach "Gleislageberichtigung" durchforstet, erhält bundesweit mehr als 100 Treffer. Stark vereinfacht können sich Schienen und Schotter unter den täglich über sie hinüberrollenden Zügen nach und nach verschieben und verformen. Diese Abweichungen werden oft bei alljährlichen Fahrten mit speziellen Messzügen ermittelt. Werden sie nicht sofort behoben, werden die betroffenen Passagen zu Langsamfahrstellen erklärt.

Am Garmischer Rathaus wird, wie auch bei einer Trauerfeier, der Toten und Verunglückten gedacht. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Das Zeug zum Politikum hat der Unfall trotz der Unklarheiten - weil der Zustand der Schieneninfrastruktur auch so längst ein solches Politikum ist. Denn die wegen Langsamfahrstellen gedrosselte Geschwindigkeit bekommen die Fahrgäste zu spüren: in Form von Verspätungen und durcheinander geratenen Fahrplänen. Das habe in den vergangenen Jahren auf der Garmischer Strecke häufiger Ärger bei Passagieren verursacht, berichtet Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn. "Die Reparaturtrupps sind einfach nicht so schnell auf der Schiene." Ein bekanntes Problem. Schon 2007 - damals hinsichtlich der Garmischer Ski-WM 2011 - plädierte Pro Bahn in einem Papier für die Rückkehr zu einer mehr "präventiven Instandhaltung", "um wieder einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten". Auch andere Verkehrsverbände fordern seit Jahren von der Politik, mehr Geld in die Schieneninfrastruktur und ihren Erhalt zu stecken. Nur so sei die Verkehrswende auf und mit der Schiene auch zu schaffen.

Trotz dieser Vorgeschichte geht Moy davon aus, dass die für die Infrastruktur zuständige Bahntochter DB Netz alles getan habe, um die Strecke instand zu halten. Die Ursache müssten nun die Gutachter ermitteln. Das dürfte dauern. Die Ermittlungen zur Unfallursache führt eine Soko "Zug" bei der Kriminalpolizei in Weilheim. Die Beamten befragen unter anderem Bahnmitarbeiter und Fahrgäste, die Rede ist von langwierigen und aufwendigen Ermittlungen. Die Unfallstelle ist jetzt auch offiziell ein Tatort. Noch mindestens diese Woche wird die Bahnstrecke gesperrt bleiben, vielleicht auch länger. Nach SZ-Informationen werden die Ermittler womöglich einzelne Bahnschwellen demontieren müssen, um der Unfallursache auf die Spur zu kommen.

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