Würzburger Tradition:Ende eines Wursthochamts

Lesezeit: 1 min

Am Bratwurststand der Familie Knüpfing am Unteren Markt in Würzburg bildet sich jeden Tag die obligatorische Schlange. Ende September ist nun nach 50 Jahren Schluss. (Foto: OIaf Przybilla)

Wo gibt's das denn noch: Für ein Sehnsuchtsobjekt zuverlässig Schlange stehen zu dürfen? Am Würzburger Markt! Jetzt aber ist Schluss damit. Ein Nachruf.

Glosse von Olaf Przybilla, Würzburg

Eine Humorsonderform der DDR war der subversive Schlangenwitz, der darüber reflektierte, dass der Mensch bei Güterknappheit zum Herdenreflex neigt: "Was ist zu tun im Angesicht einer Schlange? Sofort hinten anstellen."

In Würzburg, so hat es der ehemalige Oberbürgermeister Jürgen Weber berichtet, haben sie mit dem Phänomen Schlange besondere Erfahrungen machen dürfen. Am 11. November 1989, einem Samstag, stand bei Sonnenaufgang der Residenzplatz voller Trabbis. Kurz nach dem Mauerfall wollten viele die Welterbestadt besuchen - und ihr Begrüßungsgeld haben. Lange Schlangen? In Würzburg wissen sie, wie so etwas aussieht.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Und logischerweise ist das kein Vergleich mit der heutigen Situation am Unteren Markt. Aber, ja doch, ein wenig darf man sich dort eben schon Tag für Tag in jene Zeiten versetzt fühlen. Wo bitte im modernen Mitteleuropa ist es noch möglich, ein Objekt des Begehrens zuverlässig mit obligatem Schlangestehen herbeisehnen zu dürfen?

In Würzburg, vor der Marienkapelle, ist das gesichert im Preis inbegriffen. Wer dort eine Wurst haben will, eine sogenannte Geknickte "mit" oder "ohne" (Senf), der ist zuvor verlässlich eingeladen, sich die Beine in den Bauch zu stehen. Wurst ohne Schlange? Gibt's da nicht - und würd' auch keiner wollen.

Weil kurz vor dem Ende mitunter Sachen gesagt werden müssen, ist's an der Stelle Zeit für ein Geständnis. Jetzt, da die Familie Knüpfing am 30. September letztmals Geknickte in die Schlange reichen wird, mehr als 50 Jahre, nachdem sie das erstmals getan hat, jetzt also muss man sprechen oder für immer schweigen.

Es ist so: Wer einmal der evangelisch-groben Bratwurst Coburger Provenienz verfallen ist, der wird mit der katholisch-feinen vom Würzburger Marktplatz nur in Maßen etwas anfangen können. Es gab also Menschen, das sei der Familie Knüpfing - die es neben Residenz und Festung in fast jeden Reiseführer geschafft hat - am Ende gebeichtet, die immer wieder mit sich rangen. Und sich zumeist eben doch fürs klassenlose Schlangestehen, die kultische Tat, das Ritual, das Würzburger Wursthochamt entschieden haben.

Geknickte, das sei allen Geknickten noch mitgegeben, wird's auch künftig geben am Würzburger Markt. Aber halt nicht mehr von den Knüpfings. Ob mit oder ohne Schlange, wird abzuwarten sein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFranken
:Eine Frage der Idendidäd

Warum nur sollte "Bratwursthaftigkeit" eine Schimpfvokabel sein? Im Norden Bayerns zuckt man da mit den Achseln. Die Zeitenwende ist dort längst eingeleitet: klares Bekenntnis zum Wurstimage!

Von Olaf Przybilla

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: