Medizin-Technologie:Der Bundespräsident als Mutmacher

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Ein Team der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erläutert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts) während seines Besuchs im medizintechnischen Gründerzentrum Medical Valley mit dem Projekt Grasp Again die Wiederherstellung der Handfunktion von Matthias Follath (Mitte) mit einen intelligenten Neuroorthese. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Frank-Walter Steinmeier ist in Erlangen zu Gast, um sich über die Transformation der Gesundheitswirtschaft zu informieren. Mitgebracht hat er eine Botschaft: nur keine Angst vor dem Wandel, den das Staatsoberhaupt "gestalten" will - und nicht "erleiden".

Von Max Weinhold, Erlangen

Matthias Follath sitzt regungslos im Rollstuhl, an seiner rechten Hand sind orange-schwarze Elektroden befestigt. Bewegen kann Follath die Hand nicht, seit einem Schlaganfall im Jahr 2015 ist sie gelähmt. Dafür bewegt sich die digitale Hand auf dem Fernsehschirm, der neben ihm aufgebaut ist. Und zwar so, wie er das will: Hand auf, Hand zu, funktioniert alles. Denn durch Messungen von Muskelimpulsen lassen sich gewissermaßen Follaths Gedanken lesen. Ziel ist es, dass diese in Zukunft nicht mehr nur die virtuelle Hand steuern können. Sondern dass er kraft seiner Gedanken und künstlicher Intelligenz (KI) künftig auch wieder seine eigene Hand bewegen kann, wie die Entwickler des Projekts "Grasp Again" von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erklären.

Frank-Walter Steinmeier lauscht diesen Ausführungen aufmerksam, nickt anerkennend. Der Bundespräsident hat den Weg nach Erlangen an diesem Dienstag für eine Art Informationsdruckbetankung zur digitalen Transformation in der Gesundheitswirtschaft angetreten. Steinmeier geht unter der Überschrift "Werkstatt des Wandels" auf Deutschlandtour, um sich den drängenden Fragen unserer Zeit zu stellen: Wie gelingt der Weg zur Klimaneutralität? Wie können nachhaltige Innenstädte geschaffen werden? Oder eben: Wie gelingt die Transformation zu einer digitalen Gesundheitswirtschaft? Hinter jeder dieser Fragen stehe eine "Riesenherausforderung", sagt er.

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Steinmeier will, das betont er bei seinem Besuch im Medical Valley Center Erlangen und ein paar Gehminuten entfernt bei Siemens Healthineers immer wieder, "Unsicherheit und Ängstlichkeit" nehmen vor der Veränderung. Diese sei nicht zu vermeiden. Aber er sei "sehr dafür", diesen Wandel "nicht zu erleiden, sondern zu gestalten". Der Bundespräsident als Mutmacher.

Wie besagte Gestaltung aussehen kann, begutachtet das deutsche Staatsoberhaupt an verschiedenen Stationen: Zuerst präsentieren ihm zwei Start-ups ihren Beitrag zum Wandel; darunter Portabilis, eine App zur Unterstützung von Parkinson-Patienten. Mittels eines Sensors im Schuh analysiert die digitale Anwendung das Gangbild und kann Veränderungen frühzeitig erkennen. Diese lassen auf Verschlechterungen des Krankheitsbildes schließen und werden für eine schnellere und adäquatere Behandlung direkt an den behandelnden Neurologen übermittelt. Die App hilft Betroffenen überdies mit individuellen physiotherapeutischen Übungen.

Ein Stockwerk weiter oben setzt sich Steinmeier über die Revolution des Röntgens in Kenntnis. Die VEC Imaging GmbH & Co. KG entwickelt Geräte mit deutlich höherer Leistungskraft. Damit sollen etwa mammografische Untersuchungen nur noch eine Sekunde dauern. Mit mobilen CT-Anlagen sollen Patienten zum Beispiel nach einem Unfall sofort untersucht und schneller behandelt werden.

Scott McCuen Koytek (rechts), Leiter Weiterbildung bei Siemens Healthineers, erklärt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine KI-Lösung für die Radiologie. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Auch im Ausland, denn ein bedeutender Teil deutscher Innovationen aus dem digitalen Gesundheitssektor wird exportiert. In Deutschland gebe es derweil, so formuliert es Steinmeier positiv, noch "viel Potenzial" für Innovationen. Man könnte auch sagen: Bisher ist zu wenig geschehen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2018 bescheinigte Deutschland im internationalen Vergleich von 17 Industrieländern den vorletzten Platz bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Immerhin: Seit 2021 existiert die elektronische Patientenakte, von Anfang 2025 an sollen alle gesetzlichen Versicherten diese automatisch erhalten. Ein Fortschritt. Ohnehin verweist Steinmeier lieber auf die Chancen als auf die Probleme. So könnten digitale Lösungen angesichts der sinkenden Dichte von Ärzten im ländlichen Raum - auch in Bayern ein Thema - Abhilfe schaffen. Auch wenn derlei Entwicklung natürlich nicht jeder ältere Mensch ohne Skepsis betrachtet.

Im Angesicht der ihm dargebotenen Erfindungen und Entwicklungen jedenfalls preist Steinmeier den Standort Erlangen als "Leuchtturm für Innovation in der Gesundheitstechnik". An den hier zu sehenden positiven Beispielen werden allerdings auch die Herausforderungen für die Branche sichtbar, wie etwa an einer Station bei Siemens Healthineers. Auf einem Fernsehschirm präsentiert Scott McCuen Koytek, Leiter der Weiterbildung, wie KI Radiologen entlasten kann: nämlich mit der datenbasierten Auswertung von Röntgenbildern. Zu sehen sind Lunge, Aorta, Wirbelsäule; dazu Buchstaben und Zahlen, die auf Auffälligkeiten automatisch und KI-basiert hinweisen. Dies spart Zeit bei der Auswertung und kann helfen, auch Krankheiten abseits des eigentlichen Untersuchungsgegenstandes zu erkennen.

So denn genügend Vergleichsdaten vorliegen, auf deren Basis die KI ihre Bewertung vornimmt. Dies sei, wie Teilnehmer einer Diskussionsrunde am Rande der Veranstaltungsreihe anmerken, in Deutschland noch nicht ausreichend gegeben. Sie fordern außerdem einfachere bürokratische und bessere finanzielle Bedingungen für Start-ups, um die digitale Transformation im deutschen Gesundheitswesen zu beschleunigen.

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