Auf den Protestplakaten des Aktionsbündnisses hat sich die rote Linie stets quer über den Heuberg gezogen - und quer durch den Steinbruch, der wie eine tiefe Wunde in dieser ersten markanten Erhebung im bayerischen Inntal Richtung Tirol klafft. Bis zu dieser roten Linie auf genau 758 Metern Seehöhe hätte Rohrdorfer Zement den Kalkstein aus dem Heuberg brechen dürfen, um daraus Zement zu brennen. Den längst laufenden Abbau oberhalb dieser Linie hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof 2018 per Eilentscheidung gestoppt, weil er nach Auffassung der Richter so nie genehmigt war. Einen daraufhin nachgeschobenen Antrag hat das Unternehmen nun zurückgezogen. Die Gemeinde Nußdorf am Inn und das Aktionsbündnis aus einer Bürgerinitiative und mehreren großen Umweltverbänden haben den Kampf um den Heuberg gewonnen.
Dass das zuständige Landratsamt in Rosenheim den weiteren Kalkabbau über 758 Metern nicht genehmigen wird, hatte es schon Ende des vergangenen Jahres angekündigt. Die mit dem weiteren Kalkabbau einhergehende Zerstörung eines streng geschützten Fels-Biotops an der Bergflanke sei durch irgendwelche anderen Maßnahmen nicht auszugleichen, hieß es zuvor unter anderem vom Landesamt für Umwelt. Offen war bis zuletzt allerdings geblieben, ob die Rohrdorfer-Gruppe auf einen formellen Ablehnungsbescheid bestehen würde, um dann ihrerseits dagegen klagen zu können.
Denn nach dem Eilentscheid des Verwaltungsgerichtshofs von 2018 hatten es weder die damals klagenden Gemeinde noch das Unternehmen auf ein abschließendes Urteil ankommen lassen. Die Gemeinde glaubte ihren Hausberg schon gerettet zu haben. Das Unternehmen stellte stattdessen einen neuerlichen Antrag - zur Klarstellung, wie es Rohrdorfer bis heute formuliert, denn die Firma interpretiert die Abbaugrenzen auf den Karten aus einer früheren Genehmigung anders als die Gegner der Erweiterung.
Ein positiver Bescheid hätte den Abbau von weiteren rund 9,6 Millionen Tonnen Kalkstein erlaubt und damit die seit 1961 bereits aus dem Heuberg gebrochene Menge mehr als verdoppelt. Wegen der spezifischen chemischen Zusammensetzung des Gesteins aus genau diesem Steinbruch hätte bei der Zementproduktion über die nächsten 50 Jahre hinweg insgesamt eine halbe Million Tonnen CO₂-Emission eingespart werden können, bekräftigt der technische Leiter bei Rohrdorfer, Anton Bartinger, trotz des aktuellen Einlenkens. "Es ist für uns schwer nachvollziehbar, dass ein 1800 Quadratmeter großes Biotop eine Einsparung einer halben Million Tonnen Kohlendioxid aufwiegen soll." Die Naturschutzbehörde im Landratsamt stelle lokale Interessen über das Allgemeinwohl und auch über die Direktive der Staatsregierung, bei jeder behördlichen Entscheidung den Klimaschutz zu berücksichtigen.
Die Zementherstellung gilt als Klimakiller
Denn die weltweite Zementproduktion gilt als einer der größten Klimakiller überhaupt. Ein großer Teil des dabei entstehenden CO₂ lässt sich nicht vermeiden, weil es nicht durch den Energieeinsatz beim Brennen frei wird, sondern aus dem gebrannten Kalkstein entweicht. Rohrdorfer sieht sich da als Vorreiter in der Branche und experimentiert mit Anlagen, die das klimaschädliche CO₂ abscheiden und als Rohstoff nutzbar machen sollen.
Die Gegner der Steinbruch-Erweiterung erkennen diese Bemühungen zwar an, vermuten hinter dem bisherigen Beharren auf dem Abbau am Heuberg aber vor allem wirtschaftliche Interessen. Eine lokale Bürgerinitiative wird seit 2020 unter anderem vom Deutschen Alpenverein, dem Verein zum Schutz der Bergwelt, dem Bund Naturschutz und dem Landesbund für Vogelschutz unterstützt. Ulrich Kottmann als Sprecher des Bündnisses zeigte sich vom Rückzieher der Rohrdorfer in einer ersten Reaktion ebenso überrascht wie erfreut. "Damit dürfte die Erweiterung, so wie sie beantragt wurde, vom Tisch sein."