Belastendes Flugblatt:Söder bestellt Aiwanger zu Sondersitzung ein

Lesezeit: 2 min

Haben sich seit der Heiz-Demo in Erding und der Flugblatt-Affäre voneinander entfernt: Markus Söder (rechts) und Hubert Aiwanger. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Nach den Vorwürfen um ein antisemitisches Flugblatt hat Bayerns Ministerpräsident für Dienstag einen Koalitionsausschuss einberufen. "Es geht um das Ansehen Bayerns", sagt Söders Staatskanzleichef. Auch Kanzler Scholz fordert Aufklärung.

Nach den Erklärungen seines Stellvertreters Hubert Aiwanger zu einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Söder habe die Freien Wähler für Dienstagvormittag einbestellt, teilte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) der Deutschen Presse-Agentur in München mit.

"Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten", sagte Herrmann. "Wir erwarten, dass dies zeitnah geschieht. Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt." Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus umfassend erklären. "Es geht um das Ansehen Bayerns", sagte Herrmann.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dringt in dem Fall auf Aufklärung. In Berlin sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner: "Unabhängig davon, wer dieses Flugblatt verfasst und verbreitet hat: Es handelt sich da wirklich um ein furchtbares, menschenverachtendes Machwerk." Das müsse aus Sicht des Bundeskanzlers "alles umfassend und sofort aufgeklärt werden und müsste dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben." Auf Nachfrage äußerte sich Büchner nicht dazu, welche Konsequenzen er meint.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Freie-Wähler-Chef Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung am Freitagabend berichtet hatte.

"Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", hieß es in der Erklärung Aiwangers. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Ein Schriftgutachten im Auftrag der SZ war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Facharbeit Aiwangers und das belastende Flugblatt "sehr wahrscheinlich auf ein und derselben Schreibmaschine geschrieben worden sind". Kurz darauf gestand Aiwangers ein Jahr älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben: "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war", sagte Helmut Aiwanger der Passauer Neuen Presse.

Am Montag sagte er den Zeitungen der Mediengruppe Bayern, das Flugblatt könne im Schulranzen seines Bruders Hubert gefunden worden sein, weil er es wieder einsammeln wollte. "Ich bin mir nicht mehr ganz sicher", erklärte Helmut Aiwanger, "aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren."

Er habe mit dem Flugblatt seine Lehrer provozieren wollen, sagte Helmut Aiwanger. "Ich habe das Schriftstück nicht erstellt, um Nazis zu verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren", sagte er und sprach stattdessen von einer "stark überspitzen Form der Satire" und einer "Jugendsünde". Er schäme sich "für diese Tat und bitte vor allem meinen Bruder um Verzeihung für die damals verursachten Schwierigkeiten, die auch noch nach 35 Jahren nachwirken".

Söder, der Aiwanger am Samstag zu einer raschen Aufklärung gedrängt hatte, hat sich seither nicht mehr zu der Angelegenheit geäußert. Die Opposition im Bayerischen Landtag erhöht den Druck auf den Ministerpräsidenten. Dieser müsse sich umgehend erklären, fordern Grüne, SPD und FDP. Gegebenenfalls wollen die drei Fraktionen auch eine Sondersitzung im Landtag beantragen.

Florian von Brunn, der bayerische SPD-Chef und Spitzenkandidat für die Landtagswahl, begrüßt die Einberufung des Koalitionsausschusses. Dieser sei dringend nötig. "Unser Land darf keinen Tag länger mit diesem menschenverachtenden Flugblatt in Zusammenhang gebracht werden", sagt Brunn. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann teilte am Montagvormittag mit: Wer an "Verpfeifen" denke, statt Zivilcourage zu zeigen, wenn die Würde der Opfer des Naziregimes mit Füßen getreten werde, "der darf nicht länger mitbestimmen, wie wir in Bayern leben".

In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten zuletzt darauf hingedeutet, dass das rechnerisch möglich sein wird. In einer von der Süddeutschen Zeitung bei Forsa in Auftrag gegebenen Wählerbefragung Anfang August kam die CSU auf 39 Prozent, die Freien Wähler lägen demnach bei 14 Prozent.

© SZ/dpa/thda/olkl - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungHubert Aiwanger
:Auf der Kippe

Es bleiben wichtige Fragen zum Flugblatt offen. Was wächst, ist die Wut, vor allem beim Partner CSU. Was ist mit dem Selbstbewusstsein dieser Partei?

Kommentar von Sebastian Beck

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: