Es gab da diese Szene, Juli 2019, Regensburger Landgericht. Joachim Wolbergs trat durch die Tür des Gerichtssaals, auf den Flur, vor die Mikros und Kameras. "Klarer geht es nicht", sagte er über das Urteil, das die Richterin gerade gesprochen hatte. Dann brüllte er: "Über diese Stadt ist der Schleier der Korruption gelegt worden. Und das ist alles Unsinn." Schon damals war das eine sehr kreative Interpretation des Urteils. Immerhin hatte das Gericht den damaligen Oberbürgermeister Wolbergs wegen Vorteilsannahme schuldig gesprochen, sprich: wegen Korruption. Eine Strafe allerdings hatte Wolbergs nicht bekommen, obwohl die Staatsanwaltschaft knackige viereinhalb Jahre Haft gefordert hatte. Der OB nahm das zum Anlass, seinen Schuldspruch zu einem "faktischen Freispruch" umzudeuten. Doch der Freispruch, den es nie gab, wackelt jetzt.
An diesem Donnerstag werden nicht nur die Menschen in Regensburg gespannt nach Leipzig schauen. Dort verhandelt der sechste Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) die Revision im Fall Wolbergs. Die Entscheidung, die der BGH zu treffen hat, wird bundesweit mit Interesse beobachtet werden. In Leipzig steht eine juristische Grundsatzentscheidung in Sachen Parteispenden an. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob und wie weit ein Spender einen politischen Amtsträger beeinflussen darf.
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Zur Sachlage: Vor und nach der Kommunalwahl 2014 waren über Strohleute eines Bauträgers fast eine halbe Million Euro auf das Konto des SPD-Ortsvereins Stadtsüden geflossen, das Wahlkampfkonto des OB-Kandidaten Wolbergs, der zunächst Dritter Bürgermeister war. Das Geld floss über mehrere Jahre verteilt, in Beträgen knapp unter der Veröffentlichungsgrenze von 10 000 Euro. Die Staatsanwaltschaft sah einen klassischen Fall der Korruption, der Bauträger habe sich die Gunst des OB-Kandidaten erkauft. Das Regensburger Landgericht sah das teils ähnlich und verurteilte den Bauträger wegen Vorteilsgewährung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung. Dagegen bekam Wolbergs, wie erwähnt, keine Strafe. Das Gericht sah ihn gestraft genug, etwa durch die sechswöchige Untersuchungshaft, die laut Richterin Elke Escher "nicht verhältnismäßig" war. Was sie noch befand: Dass Wolbergs sich seines illegalen Handelns nicht bewusst gewesen sei. Mehrere Juristen halten das Urteil für fragwürdig, der Regensburger Strafrechtsprofessor Henning Ernst Müller nannte es "beinahe skandalös". Das letzte Wort hat nun also der Bundesgerichtshof.
Nach Einschätzung von Juristen gibt es mehrere Punkte, die der BGH am Urteil auszusetzen haben könnte. Besonders interessant ist dieser hier: Das Landgericht hat nur die Bauträgerspenden in den Jahren 2015 und 2016 für kriminell erklärt. Da war Wolbergs bereits OB, in dieser Zeit flossen knapp 150 000 Euro. In den Jahren zuvor seien die Spenden (mehr als 325 000 Euro) kein Fall von Korruption gewesen, denn damals war Wolbergs eben Dritter Bürgermeister und mit Sozialpolitik, nicht aber mit Bauangelegenheiten befasst. Die Problematik, die sich daraus ergibt: Nach dieser Logik können Firmen aussichtsreiche Kandidatinnen und Kandidaten für öffentliche Ämter mit Parteispenden "anfüttern", wie es in der Fachsprache der Korruption heißt - mit dem Ziel, dass Kandidatin oder Kandidat sich nach einem Wahlsieg mit Gegenleistungen bedankt. Wo da die Grenze zu ziehen ist, ist juristisch eine ungeklärte Frage, mit der sich nun der BGH auseinandersetzt.
Die Antwort auf diese ungeklärte Frage glauben manche bereits aus einer Entscheidung herauslesen zu können, die der BGH im vergangenen Sommer getroffen hat. Da bestätigte der sechste Strafsenat das Urteil gegen einen weiteren Bauträger, der in einem zweiten Korruptionsprozess gegen Wolbergs wegen Bestechung verurteilt worden war - und traf eine Einschätzung, die ein Fingerzeig für diesen Donnerstag sein könnte. Demnach kann ein Amtsträger, der Spenden annimmt, auch dann käuflich sein, wenn er sich "um ein anderes Amt bei demselben Dienstherrn bewirbt". Auf den Dritten Bürgermeister Wolbergs, der sich in derselben Stadt als Oberbürgermeister beworben hat, träfe dies zu.
Mit Blick auf Donnerstag stehen die Vorzeichen also nicht unbedingt gut für Wolbergs. Allerdings: Ob der BGH das Urteil gegen ihn aufhebt, hängt auch an der Frage, ob der Senat alle Spenden, die zwischen 2011 und 2014 auf Wolbergs' Wahlkampfkonto flossen, als Spenden definiert, die gezielt für seinen Kommunalwahlkampf 2014 gedacht waren - und nicht etwa, um dessen damalige oder spätere Politik in Regensburg zu beeinflussen. Ebenfalls spannend: Wie bewertet der BGH, dass Wolbergs trotz Schuldspruch keine Strafe bekam? Straffreiheit nach Paragraf 60 des Strafgesetzbuchs ist extrem selten - etwa dann, wenn eine Mutter ungewollt einen Unfall verursacht, bei dem ihr eigenes Kind stirbt. Ist der Gestraft-genug-Paragraf wirklich auf den Fall Wolbergs anwendbar?
Und dann ist da ja noch das "Verbotsirrtum", ebenfalls eine juristische Konstruktion, in deren Genuss kaum je eine angeklagte Person kommt - bei Wolbergs kam er zum Zug. Übersetzt heißt das: Er musste die Fallstricke des Parteiengesetzes nicht kennen. Laut Strafrechtsprofessor Müller ist die Anwendung des Verbotsirrtums bei Amtsdelikten besonders "ungewöhnlich". Ein Oberbürgermeister sei "umgeben von Juristen", von denen er sich Rat holen könne. Und die "Problematik bei der Annahme von Vorteilen seitens eines Bauunternehmers" liege ja auf der Hand.
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Läuft es in Leipzig schlecht für den inzwischen abgewählten Regensburger Oberbürgermeister, hebt der BGH das Urteil im ersten Korruptionsprozess gegen Wolbergs (teilweise) auf. Dann müsste der Prozess neu aufgerollt werden, am Landgericht Regensburg, wo Wolbergs dann womöglich mit einer härteren Strafe rechnen müsste. Dem Vernehmen nach verhandelt der BGH am Donnerstag auch die Revision zum Urteil im zweiten Korruptionsprozess gegen Wolbergs, das im Juli 2020 nicht so milde ausgefallen war: ein Jahr Haft auf Bewährung wegen Bestechlichkeit. Ob der Strafsenat sein Grundsatzurteil direkt nach der Hauptverhandlung am Donnerstag spricht, ist nicht sicher.
Seit Beginn der Korruptionsaffäre im Sommer 2016 hat Wolbergs immer wieder seine Unschuld beteuert. Das BGH-Urteil hat für ihn nicht nur eine strafrechtliche, sondern auch eine politische Bedeutung. Er hat ja bereits angekündigt, bei der Wahl 2026 erneut als Oberbürgermeisterkandidat anzutreten, für den Wahlverein "Brücke", für den er nun einfacher Stadtrat ist. Ein nachträglich härteres Urteil würde seine Wahlchancen wohl in jeder Hinsicht schmälern.