Wirtschaft in Bayern:Messe Nürnberg plant eigenes Kraftwerk für Energiebedarf

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Die Messe Nürnberg hat 16 Hallen auf ihrem Gelände. Sie sind bis zu 15 Meter hoch und dadurch wahre Energiefresser. (Foto: Messe Nürnberg)

Das Gelände im Stadtteil Langwasser mit seinen 16 Hallen soll von Ende 2023 an autark mit regenerativer Energie versorgt werden. Die Folgen der anderen Krisen, die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine, glauben die Geschäftsführer abfangen zu können.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

"Messen", sagt Peter Ottmann, seien per se allesamt "Kinder der Globalisierung". Soll heißen: Läuft es international gut, geht es friedlich zu auf der Welt, und funktionieren die Wertschöpfungsketten rund um den Globus, dann boomt auch das Messegeschäft. Weil dann Menschen von überall her zusammenkommen, sich über neue Produkte und Dienstleistungen austauschen und bei Bedarf Geschäfte abschließen. Wenn aber eine Pandemie die Erde überzieht, in Europa ein Krieg ausbricht und dann noch die Energiepreise explodieren, dann erschwert dies Zusammenkünfte und persönlichen Austausch.

Weil man von Nürnberg aus auf Pandemien und den Weltfrieden nur sehr bedingten Einfluss hat, will man dort zumindest das dritte große Problem konsequent angehen: die Energieversorgung. Schließlich sind die bis zu 15 Meter hohen Messehallen Energiefresser, vor allem, wenn sie voll sind mit Ausstellern und Besuchern, die Strom brauchen und es warm haben wollen. Weshalb die Nürnberg-Messe ein eigenes Kraftwerk plant, um ihr Gelände samt den 16 Hallen mit regenerativer Energie zu versorgen.

Bereits im November 2020 hatten die Verantwortlichen angekündigt, als weltweit erste Messegesellschaft auf wasserstoffgestützte Stromversorgung umzustellen. Bis Ende 2023 soll der Energiebedarf auf dem Gelände im Stadtteil Langwasser vollständig aus regenerativen Energien abgedeckt werden. Von Grünstrom-Erzeugung durch Photovoltaikanlagen auf den Hallendächern, der Nutzung von grünem Wasserstoff und dem Einsatz eines Langzeit-Wasserstoffspeichers war damals die Rede. Wie all dies technisch umgesetzt wird, wollen die Geschäftsführer Roland Fleck und Ottmann Anfang 2023 bekanntgeben.

Bis dahin füllt das von Freistaat und Stadt getragene Unternehmen allerdings seine Öltanks auf, um sicher zu gehen, dass Aussteller und Besucher in Herbst und Winter nicht frieren. Denn das wäre kontraproduktiv, wo doch gerade die Geschäfte endlich spürbar anziehen, nach zwei Pandemiejahren mit insgesamt 19 Monaten, in denen die Messehallen in Deutschland geschlossen blieben. Die Nürnberger hegen die Erwartung, ihren gemessen am letzten Vor-Corona-Jahr 2019 von 285,7 auf 68,3 Millionen Euro 2021 abgestürzten Umsatz 2022 wenigstens wieder über die 200-Millionen-Euro-Marke zu wuchten. "Da sind wir auch optimistisch", sagt Fleck.

Der Rhythmus des Messegeschäfts verändert sich

Einher damit wird seit geraumer Zeit kräftig gespart, wobei sich der Ausgabeposten Energie gerade zur immer größeren Hausforderung entwickelt. Das ist bei Messegesellschaften nicht anders als bei Privathaushalten. Roland Fleck mag keine Prognose abgeben, wie viel mehr Geld die Nürnberg-Messe in diesem Jahr für Strom und Heizung aufwenden muss. Als Vorteil könnte sich jedoch erweisen, dass sie bereits seit vorpandemischen Zeiten daran arbeiten, Ressourcen einzusparen. Fleck nannte als Beispiel den Stromverbrauch, den man um 3,7 Millionen Kilowattstunden reduziert habe. Unter anderem durch überschaubare Maßnahmen wie zeitweise Trafoabschaltungen oder die Installation von Dämmerungsschaltern in den Parkhäusern auf dem Messegelände. Bis 2025 soll der Wasserverbrauch um ein Viertel reduziert werden, sowie das Müllaufkommen um 20 Prozent.

Zugleich verändert sich der seit Jahrzehnten angestammte Rhythmus im Messegeschäft. Normalerweise reiht sich in der kühlen Jahreszeit eine Veranstaltung an die nächste, während sich im Sommer wenig bis gar nichts tut. Mit Blick auf 2022 allerdings sprechen Ottmann und Fleck von einem "heißen Messesommer". Nach 50 Branchenschauen im Mai und 40 im Juni stehen viele Sommerausgaben erst noch bevor; "mehr als die Hälfte der noch gut 250 Messen in diesem Jahr finden in diesem Sommer statt", so Fleck. Darunter die Öko-Weltleitschau Biofach Ende Juli in Nürnberg, die normalerweise im Februar stattfindet.

Der Krieg in der Ukraine übrigens trübt das Geschäft der Franken kaum; nur 0,8 Prozent der das Jahr über in Nürnberg vertretenen Aussteller kommen aus der russischen Föderation. Ihre Brautechnik-Messe Beviale in Moskau hat die Nürnberg-Messe auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. "In den nächsten Jahren sehen wir in Russland keinerlei Handlungsmöglichkeiten", sagt Ottmann, der allerdings ein Bekenntnis der Kategorie "Nie wieder Russland" tunlichst vermied. Würde umgekehrt ein russisches Unternehmen auf einer Messe in Nürnberg ausstellen wollen, müssten seine Verantwortlichen vorher den Angriffskrieg ihres Landes auf die Ukraine schriftlich verurteilen. Und zudem nachweisen, dass die Firma auf keiner Sanktionsliste steht. Zwei Hürden, die bislang kein russisches Unternehmen nehmen wollte.

Die Digitalisierung sei eine willkommene Ergänzung

Was die Pandemie und ihre Folgen angeht, glauben die Nürnberger Messemacher, dass ihre Branche das Schlimmste hinter sich hat. Einem Gewinn von 2,3 Millionen Euro (2019) folgten zwei Defizitjahre mit 68,6 Millionen und 42 Millionen Euro Verlust. Und hätte der Bund nicht 39 Millionen Euro Corona-Hilfe nach Nürnberg überwiesen, wären die Zahlen noch schlechter. Nun allerdings "brennen die Lagerfeuer wieder", sagt Geschäftsführer Peter Ottmann, "manche kleiner, manche genauso groß, manche sogar größer als vor der Pandemie". Die Digitalisierung, von manchen bereits als Totengräber der klassischen Messen prophezeit, erweist sich immer mehr als eine willkommene Ergänzung, mehr aber auch nicht. "Pandemie hin oder Digitalisierung hin oder her - unser Kerngeschäft bleibt das reale Treffen in den Messehallen", sagt Fleck. Dieses Geschäftsmodell habe sich zwar verändert und werde sich weiter verändern. Aber es sei tragfähig.

In und um Nürnberg nimmt man dies gerne zur Kenntnis. Die Messe mauserte sich in den vergangenen 20 Jahren zu einem wichtigen Standortfaktor; bestimmt ein Dutzend neue Hotels entstanden allein mit Blick auf den Bedarf, den die vielen Kongresse und Messen schufen. Sollte der angepeilte Umsatz von 200 Millionen Euro in diesem Jahr erwirtschaftet werden, würde dies Fleck zufolge "regionalwirtschaftliche Effekte in Stadt und Metropolregion" von einer Milliarde Euro auslösen. Und was man im lange von Industrie geprägten fränkischen Ballungszentrum überdies mit Wohlwollen registriert: Der Messeplatz Nürnberg gilt inzwischen als Nummer eins in Deutschland was die Beteiligung von Start-ups an den Ständen angeht.

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