Nürnberg:Dann halt Kulturhauptstadt der Herzen

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Kaiserstadt, Dürer-Stadt, Stadt der Nazi-Parteitage: Nürnbergs Geschichte hat viele Facetten. Das Bild zeigt die Kaiserburg oberhalb der Altstadt. (Foto: dpa)

"Das ist ein harter Schlag in die Magengrube": Nach dem Scheitern gegen Chemnitz ist in Nürnberg die Enttäuschung riesig. Kultusminister Sibler verspricht, dass trotzdem einige der geplanten Projekte verwirklicht werden sollen.

Von Clara Lipkowski, Nürnberg

Er macht sich keine Mühe, seine herbe Enttäuschung zu verbergen: Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) steht am Mittwoch an einem hohen Tisch, etliche Kameras sind auf ihn gerichtet, es wird live übertragen. Als die Entscheidung verkündet wird, ist es nahezu still im riesigen geschichtsträchtigen Rathaussaal. Dann steht es schwarz auf weiß auf einem Zettel: Chemnitz. Und König schließt die Augen. Nickt ergeben, nimmt sich Zeit. Öffnet die Augen. Da klatscht neben ihm Hans-Joachim Wagner bereits für die Gewinner, der Mann, der die fränkische Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2025 geleitet und dafür viel Anerkennung bekommen hat. Oberbürgermeister König steigt kurz mit ein. Pflichtbewusst, so sieht das aus. Aber die Enttäuschung überwiegt.

Nürnberg darf sich also nicht Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2025 nennen, so wie auch nicht die Mitbewerberstädte Magdeburg, Hannover und Hildesheim, sondern Chemnitz. Sylvia Amann, die Vorsitzende der zwölfköpfigen europäischen Jury, die noch am Vormittag intensiv beraten hatte, hält von Österreich aus zugeschaltet den Zettel in die Kamera. Bis dahin waren ein paar quälend lange Minuten der Vorrede vergangen. Nun trifft die Entscheidung die Stadt hart. Gerade erst musste Oberbürgermeister König den weltberühmten Christkindlesmarkt pandemiebedingt in diesem Jahr absagen.

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Nun verpasst die Stadt die Chance auf einen Titel, von dem man sich nicht nur Investitionen in Millionenhöhe in das kulturelle Leben, sondern auch deutlich mehr Tourismus erhofft hatte. Besonders der Wunsch nach mehr kulturellem Angebot in Nürnberg ist seit Langem groß, nun steht deutlich weniger Geld bereit, als mit dem Titel: Statt unter anderem 30 Millionen Euro Förderung vom Freistaat, bleiben nun bis zu zwei Millionen Euro für die Vorbereitung und Abarbeitung der Bewerbung bei der Stadt Nürnberg.

Schon Wochen vor der Entscheidung, war die Anspannung unter Politikerinnen, Politikern und Kulturschaffenden in der Stadt groß. Seit etwa fünf Jahren hatte man auf diesen Tag hingearbeitet. Die Idee hatte 2016 den Stadtrat passiert, man hatte den Musikwissenschaftler und Kulturmanager Hans-Joachim Wagner als Bewerbungschef aus dem Rheinland nach Nürnberg geholt. Es waren aufwendige Bewerbungsbücher erarbeitet worden. Ein Stadtbesuch der Jury war pandemiebedingt abgesagt worden und hatte stattdessen virtuell stattgefunden. Auch eine finale Präsentation lief per Videoübertragung.

"Ich bin sehr traurig", sagt Oberbürgermeister König schließlich in die Kameras. "Das ist ein harter Schlag in die Magengrube." Man habe eine starke Leistung abgegeben. "Aber bei einem Spiel kann man auch verlieren", sagt er. Auch Kulturbürgermeisterin Julia Lehner macht keinen Hehl aus ihrem Gemütszustand: "Die Enttäuschung ist mir ins Gesicht geschrieben." Doch man sei mit dem Wissen in diesen Wettbewerb gegangen, dass man auch verlieren könne. Umsonst sei der Aufwand nicht gewesen: "Wir haben Tausende von Menschen, Künstlerinnen und Künstler, Kollektive befragt, wie stellt ihr euch die Zukunft unserer Heimat vor. Und wir haben sehr viel Antwort erhalten." Das finde Widerhall, an diesen Themen werde man dran bleiben.

Kein Titel für Nürnberg: Julia Lehner, Zweite Bürgermeisterin, und Marcus König, Oberbürgermeister bei einer Pressekonferenz mit Hans-Joachim Wagner, dem Leiter des Bewerbungsbüros. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Von diesem "Ideenpool" spricht auch Kunstminister Bernd Sibler, zurzeit auch Vorsitzender der Kulturministerkonferenz, nach der Entscheidung. Er betont, dass er die Entscheidung "sehr sehr schade" finde. Doch man werde die Pläne nicht in die Schublade legen, sondern sukzessive prüfen, was umsetzbar sei. Laut Stadtverwaltung soll etwa im Torso der Nürnberger Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände ein Teilstück für Kunst und Kultur nutzbar gemacht werden. Im Pellerhaus soll ein internationales Zentrum der Spielkultur entstehen, nicht als klassisches Museum, sondern als "GamesLab" mit Joysticks und Hackathons.

Nürnberg hatte sich in dem Wettbewerb als Metropolregion mit mehr als 40 Kommunen beteiligt, darunter auch Bamberg und Bayreuth. Aus Bamberg meldete sich Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) nach der Entscheidung mit einer Ermunterung: Dann sei man eben "Kulturhauptstadt der Herzen".

Nürnberg selbst hatte immer wieder betont, das Image der Stadt, das Außenstehende stets mit Klischees von Lebkuchen, Bratwurst, Albrecht Dürer und den vielen Hinterlassenschaften der Nazi-Diktatur verbänden, weiten zu wollen. Man hatte sich das Motto "Past Forward" gegeben und mehr als 60 Projekte geplant, um Vergangenheit und Zukunft zu verbinden. Es sollte ein mahnendes Besinnen werden auf die Geschichte der Nazi-Diktatur, zugleich aber wollte man zeigen, dass es avantgardistische und offene Kulturräume gibt und viele Bestrebungen und Ideen, diese auszubauen. Doch nun muss Oberbürgermeister König, der das Projekt von seinem Vorgänger Ulrich Maly (SPD) übernommen hatte, den Rückschlag hinnehmen.

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An der Qualität der Bewerbung zweifelt indes am Mittwoch keiner der Beteiligten.

Bewerbungschef Wagner sagt: "Meine Enttäuschung ist sehr groß", doch trotzdem seien durch die Bewerbung "Menschen zueinandergetreten, die vorher nicht wussten, dass sie in der gleichen Stadt leben und sich mit ähnlichen Dingen auseinandersetzen". In Nürnberg sei "eine unglaubliche Aufbruchsstimmung in den letzten Jahren feststellbar gewesen". Schon dadurch sei schon "sehr sehr viel gewonnen". Betont wird am Mittwoch auch stets, dass diese Auszeichnung Bedeutung für die europäischen Werte habe. Mehr denn je brauche Europa jetzt "ein Klima der Offenheit und der Solidarität", sagt die Juryvorsitzende Amann von der Kulturstiftung der Länder. Kunst, Kultur und das Engagement auf städtischer Ebene könnten dies leisten. In dieser Frage gibt sich Oberbürgermeister König trotz der Niederlage selbstbewusst: "Europa braucht Nürnberg", sagt er.

In Chemnitz ist die Freude unterdessen groß. "Es wird der Stadt so gut tun", sagt die Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) in der Liveübertragung. Offiziell muss noch die Kulturministerkonferenz mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) Chemnitz zur deutschen "Kulturhauptstadt Europas 2025" ernennen - das aber ist Formsache und soll im Dezember geschehen. Dann soll auch die zweite Kulturhauptstadt für 2025 feststehen, diese wird Slowenien stellen.

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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