Artenschutz:Die Rückkehr der Steinadler

Lesezeit: 4 min

Wieder häufiger im Nationalpark Berchtesgaden zu sehen: ein Steinadler. (Foto: Nationalpark Berchtesgaden)

Seit 25 Jahren läuft im Nationalpark Berchtesgaden ein Steinadlerprojekt. Inzwischen leben wieder Dutzende Raubvögel in Bayern - das Ergebnis eines gerade noch rechtzeitigen Sinneswandels.

Von Matthias Köpf, Ramsau

Hoch droben zieht er seine Kreise, lässt sich tragen von der warmen Luft, die an den sonnenbeschienenen Felswänden der Mühlsturzhörner aufsteigt. Plötzlich zieht er die Flügel an, nimmt Tempo auf und lässt sich steil nach unten fallen, bis er sich nach ein paar Sekunden wieder mit seinen vollen zwei Metern Spannweite emporheben lässt.

Dass es wirklich er ist, der da seinen - ganz ohne Majestätsbeleidigung - doch etwas angeberischen Girlandenflug vollführt, ist selbst für Ulrich Brendel erst zu erkennen, als auch sie hinzukommt. Denn bei den Steinadlern sind die Weibchen deutlich größer als die Männchen, der Unterschied ist durchs Fernglas selbst über eineinhalb Kilometer Luftlinie gut zu sehen. Das Adlerpaar wechselt auf die andere Seite des Tals, wo über dem Grat jetzt ein dritter Adler auftaucht, der Grund für ihr Imponiergehabe. Denn das Klausbachtal ist ihr Revier, und es ist das von Ulrich Brendel und Jochen Grab.

Artenschutz
:Die Geier kreisen wieder

Menschen rotteten die Bartgeier vor hundert Jahren in Bayern aus. Nun könnten sie dauerhaft zurückkommen: Im Nationalpark Berchtesgaden sollen zwei Tiere angesiedelt werden.

Von Christian Sebald

Der Biologe Brendel und der Förster Grab leiten zusammen das Steinadlerprojekt des Nationalparks Berchtesgaden, das an diesem Freitag mit einem Festakt im dortigen Haus der Berge sein 25. Jubiläum feiert. Außer Nationalparks gibt es nicht viele Institutionen, die sich über eine so lange Zeit der intensiven Beobachtung einer Tierart widmen können. Selbst Unis können da kaum mithalten, wenn am Lehrstuhl für Zoologie der Greifvogelexperte emeritiert und als Nachfolger zum Beispiel ein Libellenforscher berufen wird.

Über Libellen hat einst auch der angehende Biologe Brendel seine Diplomarbeit geschrieben, obwohl er doch schon in seiner Jugend am Chiemsee unbedingt was mit Adlern machen wollte. Der Nationalpark habe ihn damals als Diplomanden zum Thema Adler abgewimmelt, sagt Brendel. Der Bruterfolg sei zu unsicher, das Risiko zu hoch, plötzlich ohne Beobachtungsobjekt dazustehen, habe es geheißen. Inzwischen ist Brendel 55 Jahre alt und selbst stellvertretender Leiter des Nationalparks. Seine Stunde schlug damals kurze Zeit später. 1994 widmete die Umweltstiftung der Allianz dem Wappentier der Versicherung ein Förderprojekt. Seither ist Ulrich Brendel dabei, und der heute 44-jährige Jochen Grab stieß ein paar Jahre später als Praktikant und dann Diplomand hinzu.

So scharfe Augen wie Adler haben die Projektleiter nicht. Nur dank der Ferngläser können sie die Greifvögel entdecken. (Foto: Matthias Köpf)

Larissa Mackert und Mathis Hurst gehören zur aktuellen Praktikantengeneration. An der Steinadler-Beobachtungsstation des Nationalparks im Klausbachtal, einem schlichten hölzernen Pavillon, erklären die beiden Studenten gerade mehreren Schulklassen des Gymnasiums Höhenkirchen-Siegertsbrunn die Welt der Adler. Die Gruppe ist schon am Aufbrechen, als über den Mühlsturzhörnern doch noch die Adler auftauchen. Jochen Grab senkt das Fernglas und gibt ihnen einen schnellen Hinweis. "Da, ich seh ihn!", ruft eine Schülerin. "Zwei!" ruft ein anderer, und dann rufen alle durcheinander. Mit dieser Reaktion haben Brendel und Grab gerechnet. Auch sie selbst können sich nach mehr als zwei Jahrzehnten mit den Steinadlern nicht der Faszination entziehen, die von den majestätischen Tieren da droben ausgeht.

Was an diesem Tag Larissa Mackert und Mathias Hurst und an anderen Tagen die Ranger des Nationalparks machen, ist ein zentrales Element das Steinadlerprojekts. 2000 Menschen haben sie allein 2018 hierher ins Klausbachtal geführt, seit Beginn des Projekts waren es an die 20 000. Hier geht es ums Zeigen und Erklären, ums Erlebenlassen und Verständniswecken für eine Art, deren Lebensraum in Mitteleuropa nicht mehr allzu groß ist. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Menschen den Steinadler fast ausgerottet, ihn als Kinderräuber verleumdet und als Jagdkonkurrenten abgeschossen.

Ulrich Brendel (links) und Jochen Grab arbeiten beide im Nationalpark Berchtesgaden am Adler-Projekt. (Foto: Matthias Köpf)

Der Sinneswandel um die Jahrhundertwende kam gerade noch rechtzeitig, in Bayern gab es da vermutlich kein Brutpaar mehr, aber in Österreich und der Schweiz hatten wohl einige wenige überlebt, deren Nachkommen sich seither wieder im ganzen Alpenraum ausgebreitet haben. Ungefähr 1200 Brutpaare gebe es da insgesamt, schätzt Ulrich Brendel. In Bayern sind es aktuell 44, alle im Hochgebirge zwischen Bodensee und Berchtesgaden. Einst waren die Steinadler auch im Flachland heimisch, und in den Mittelgebirgen werden immer wieder einzelne umherziehende Jungtiere auf Reviersuche gesichtet, aber keine Brutpaare. Diese bleiben nicht nur einander treu, sondern auch ihrem Revier. Das Gebiet, das die Berchtesgadener Steinadler-Schützer im Blick behalten, reicht weit über den Nationalpark hinaus. Es umfasst 17 Reviere zwischen dem Inntal im Westen und dem Salzachtal im Osten, vier davon liegen in Österreich.

Aus diesem Grund zählt Ulrich Brendel auch viel mehr Menschen zum Steinadler-Team als nur sich selbst, Grab, die Ranger und die Praktikanten. Da gebe es zum Beispiel noch die Kollegen in den Forstdienststellen, die sich um ihre Adler kümmerten, und natürlich die vielen ehrenamtlichen Helfer, in der Regel Einheimische, die ihr Wissen und ihre Beobachtungen teilen. Dass sie das tun, war anfangs alles andere als selbstverständlich, sagen Brendel und Grab. Auch bei den Drachen- und den Gleitschirmfliegern und selbst bei den Naturschützern sei die Skepsis erst einmal groß gewesen. Die einen hatten befürchtet, aus dem Luftraum über dem Nationalpark vertrieben zu werden, die anderen hatten Angst, dass mit dem Aufzeigen der Horststandorte erst recht Anziehungspunkte für Störenfriede geschaffen würden.

Denn anders als in manchem Heimatfilm greifen Steinadler menschliche Eindringlinge nicht an. Stattdessen suchen sie erst einmal das Weite und setzen dabei womöglich ihre Eier oder die Jungtiere ein paar Minuten zu lange der Kälte und Nässe aus, wie sie im Hochgebirge auch im Frühjahr oft noch herrschen. Da hilft es, die Gleitschirmflieger und Hubschrauberpiloten genau über die Brutstandorte zu informieren und Zeiten und Zonen zum Abstandhalten zu definieren. Das Erforschen der Lebensräume und das Entdecken der Horste gehören deswegen zu den wichtigsten Aufgaben beim Adlerschutz. Ein erster Forschungsbericht dazu aus dem Jahr 2000 ist die Grundlage eines bayernweiten Adlerschutzprogramms geworden und später mit Erfolg auf andere Länder übertragen worden, sogar auf Japan und die dortige, sehr seltene Unterart der Steinadler.

Einfach ist das alles aber nicht. Allein das Paar im Klausbachtal hat neun Horste und womöglich noch ein paar mehr, die Brendel und Grab noch gar nicht kennen. Die Adler selbst sollen ihren Beobachtern mit den Ferngläsern die Standorte zeigen. Darum und nicht wegen der Schülergruppen sagt Larissa Mackert, dass "Geduld" die wichtigste Eigenschaft für die Mitarbeit im Adlerteam ist. Ansonsten aber kommen die Adler da droben auch gut mit den Menschen und deren Ferngläsern zurecht. Und dem Eindringling hat das Paar im Klausbachtal am Ende auch noch friedlich signalisiert, dass dieses Revier besetzt ist.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: