Bayerischer Landtag:"Nie wieder ist jetzt"

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Ilse Aigner (CSU), Präsidentin des Landtags, nutzte ihre Rede beim Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus zu einer eindringlichen Warnung vor dem Wiedererstarken rechtsextremer Kräfte in der Gesellschaft, insbesondere in der AfD. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Beim Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus geht es mehr um die Gegenwart als um die Vergangenheit. Landtagspräsidentin Aigner findet deutliche Worte gegen Antisemitismus - und wendet sich ganz persönlich an die AfD.

Von Katja Auer

Mit dem berühmten Thema aus dem Film Schindlers Liste, arrangiert für Cello und Klavier, hat am Mittwochvormittag der Gedenkakt für die Opfer des Nationalsozialismus im Plenarsaal des Landtags begonnen. Seit 2011 findet diese Veranstaltung mit vielen Ehrengästen, jungen Menschen und Politikerinnen und Politikern im Maximilianeum statt - und sie wurde in diesem Jahr noch aktueller als das Thema ohnehin immer ist.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner legte ein klares Bekenntnis gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und für den Staat Israel ab und widmete der Gegenwart beinahe mehr Worte als der Vergangenheit. Wer Israel vernichten wolle, der trete das Erbe der Nazis an, sagte sie und erinnerte an den Überfall der Hamas auf Israel im Oktober. Für die Terroristen habe keine Rolle gespielt, wer die Menschen waren, die sie töteten - weil sie Juden waren. "Mehr denn je ist uns gerade in diesen Tagen klar, diese Geschichte endet nicht 1945. Das ,Nie wieder' hat uns eingeholt", sagte Aigner.

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"Es ist unerträglich, wenn sich jüdische Menschen nicht trauen, als jüdisch erkennbar zu sein", sagte sie. Die Landtagspräsidentin fordert von allen Menschen, die in Deutschland leben wollten, ebenfalls ein klares Bekenntnis. "Wer Teil unseres Landes sein will, muss Teil unserer Erinnerungskultur sein, unseres Kampfes gegen jeden Antisemitismus und unseres Bekenntnisses zum Staate Israel", sagte sie. An dieser roten Linie endeten Toleranz und Gastfreundschaft ohne Wenn und Aber.

Aigner wandte sich auch an die AfD, deren Landtagsabgeordnete der Gedenkstunde ebenfalls beiwohnten. "Wenn radikale Kräfte Pläne zur Deportation ganzer Bevölkerungsgruppen schmieden, wird Geschichte zur Schablone. Wir erkennen doch das Muster, die bewusste Anlehnung", warnte Aigner mit Blick auf ein Treffen von Rechtsextremisten im November, an dem einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Dabei wurde zum Beispiel über die Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen.

Aigner spricht den AfD-Fraktionsvize direkt an, der nur lacht

Direkt sprach sie den AfD-Fraktionsvize Martin Böhm an, der "das Ziel als charmant empfunden hat, mich persönlich zu delegitimieren zugunsten eines mutmaßlichen Volksverhetzers. Das ist eine neue Qualität." Böhm hatte dem per Haftbefehl gesuchten Neu-Abgeordneten und Burschenschafter Daniel Halemba geraten, sich im Landtag festnehmen zu lassen und so der Landtagspräsidentin zu schaden. Nun saß Böhm neben Halemba im Plenarsaal und lachte bei Aigners Worten.

Die AfD treibe die Täter-Opfer-Umkehr auf die Spitze, sagte Aigner, auch von einem Ermächtigungsgesetz hatte schon ein AfD-Mann im Hohen Haus schwadroniert. "Sie stellen sich mit Opfern auf eine Stufe, die für Freiheit standen, für Menschlichkeit, für Widerstand gegen Nationalsozialisten", sagte Aigner. "Das ist ungeheuerlich."

Mehr denn je sei zu spüren, dass Gedenken kein Ritual sein und keine Routine werden dürfe, sagte Aigner. Sie schloss mit den Worten: "Nie wieder ist jetzt." Stiftungsdirektor Karl Freller von der Stiftung Bayerische Gedenkstätten sagte in seiner Rede sogar: "Nie wieder ist immer."

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Wer sich für Geflüchtete einsetzt, fühlte sich zuletzt oft entmutigt. Die Proteste gegen Rechtsextremismus am Wochenende aber haben etwas verändert, sagt Flüchtlingshelfer Stephan Reichel.

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Abba Naor, der viele Familienangehörige, darunter seine Mutter und Brüder im Holocaust verlor und dem internationalen Dachau-Komitee angehört, wird bald 96 Jahre alt. "Wir, die Überlebenden der Shoah, werden bald nicht mehr sein", sagte er - auch wenn ihm sein Kardiologe in Israel zum 100. Geburtstag einen neuen Herzschrittmacher angekündigt habe. "Den lasse ich mir nicht entgehen."

6000 Mark für eine geraubte Kindheit? "Niemand kann das wiedergutmachen"

Es ist der leise Humor ebenso wie die persönliche Art seiner Schilderungen, die seine Worte so eindrücklich machen. Eine Wiedergutmachung habe er damals vom deutschen Staat nicht angenommen, 6000 Mark für seine geraubte Kindheit, für die tote Mutter und die toten Brüder. "Niemand kann das wiedergutmachen." Aber niemand werde als Antisemit geboren, es sei die Aufgabe der Eltern und der Gesellschaft, die Kinder davor zu bewahren. Das Gespräch mit Zeitzeugen sei "die beste Prävention gegen das Gift des Antisemitismus", sagte Naor. Und das Gespräch mit den Kindern sei auch seine persönliche Wiedergutmachung.

Der Holocaust-Überlebende Abba Naor sprach am Mittwoch bei der Gedenkveranstaltung im Landtag. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

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Am Festakt nahm auch Franz Herzog von Bayern teil, der mit seiner Familie ebenfalls im Konzentrationslager interniert war, ebenso wie Ernst Schneeberger, der Vorsitzende des Landesverbands der Sinti und Roma, der viele seiner Angehörigen im Holocaust verlor. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden war da, ebenso Vertreter der Kirchen und viele Mitglieder der Staatsregierung.

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