Landshut:Der alte Mann und das Flugzeug

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Hans Niedermeier ist es zu verdanken, dass die Lufthansa einst einen Flieger nach seiner Heimatstadt benannte. Dann wurde der Name zum Titel eines Verbrechens. Mit der Maschine fühlt sich der 92-Jährige noch immer verbunden.

Von Andreas Glas

Da steht es, dieses Flugzeug, das Hans Niedermeier nicht loslässt. Er hat es immer im Blick, vom Schreibtisch aus. Das Flugzeug steht in seinem Büro, auf einem Schrank, aufgespießt auf einem Metallfuß. Ein Miniaturmodell, keine 30 Zentimeter lang, kein Kilo schwer. Das Original steht in Friedrichshafen, seit mehr als zwei Jahren, 30 Meter lang, rund 40 Tonnen schwer. Es parkt in einem Hangar am Flughafen. Niemand darf rein, niemand weiß, wie es mit der Maschine weitergeht. "Das stinkt mir natürlich", sagt Niedermeier. Er will, dass endlich etwas vorangeht. Dass die Menschen den Koloss wieder zu sehen kriegen. Er will die Lufthansa-Maschine dorthin holen, wo sie für ihn hingehört. In die Stadt, deren Namen sie trägt. Nach Landshut.

Die Landshut ist nicht irgendein Flugzeug. Und Niedermeier nicht irgendein Flugzeugnarr. Ohne Niedermeier würde die Landshut nicht Landshut heißen, sondern Kassel, Leverkusen oder sonst irgendwie. Er wollte, dass der Name seiner Heimatstadt "in die Welt getragen" wird, sagt Niedermeier. So kam es dann auch, im Oktober 1977. Aber ganz anders, als er sich das gewünscht hatte. Plötzlich dachte keiner mehr an die Stadt, wenn der Name Landshut fiel. Sondern an 91 Menschen, die in Todesangst in einem Flugzeug sitzen, gekidnappt von Terroristen. Die Entführung der Landshut ist ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte. Wenn man so will, hat Hans Niedermeier dem Kapitel die Überschrift verpasst. Unfreiwillig. Und jetzt? Wirbt er dafür, dass das Kapitel ein würdiges Ende bekommt.

Niedermeiers Büro liegt mitten in Landshut. Der Raum sieht aus, als wäre seit Oktober 1977 kein Möbelstück verrückt worden. Die Gardinen, die grüngepolsterten Stühle, die Tapete, kein Computer, nur Aktenstapel. Und mittendrin Niedermeier, grüne Strickweste, braunkariertes Hemd, weißes Haar, weißer Bart. Er ist 92, doch er arbeitet immer noch. Er ist Holzhändler, hat viel Geld verdient in seinem Leben. Ein Mann mit Einfluss, mit Freunden in der Politik. An der Wand hängen Fotos, auf denen er Franz Josef Strauß und Max Streibl die Hände schüttelt. Aber die Sache mit dem Flugzeug, sagt Niedermeier, die habe er allein eingefädelt.

Die Idee kam ihm in den Sechzigerjahren, auf seinen Geschäftsreisen, nach Indien, Chile, in die USA. Bis zu 150 000 Mark habe er verflogen, sagt Niedermeier, pro Jahr. Immer erste Klasse, immer Lufthansa. Er erzählt das mit Stolz. Flugscham? War ein Fremdwort, damals, als das Fliegen noch unschuldig war, exklusiv, als die Flugbegleiterinnen noch Stewardessen hießen und Zigarren an die Vielflieger verteilten. Damals fing die Lufthansa an, ihre Maschinen auf die Namen deutscher Städten zu taufen. Vor jedem Flug habe er sich den Schriftzug auf dem Rumpf angeschaut, "lauter kleinere Städte in Westfalen", sagt Niedermeier. Da habe er gedacht: Warum nicht Landshut?

Für Hans Niedermeier ist der Flieger ein Lebensthema. (Foto: Andreas Glas)

Zuerst fragte er in München, "die waren aber nicht zuständig und haben mich nach Frankfurt geschickt", erzählt Niedermeier. In Frankfurt habe man ihn nach Hamburg verwiesen. Es habe Jahre gedauert, bis er einen Termin bekam, in Köln, bei Hans Süssenguth, damals Vorstand bei Lufthansa. "Wir haben uns zwei Stunden unterhalten, über Politik, über alles Mögliche. Aber am Schluss sagt er: Nein, ich kann Ihnen keine Landshut versprechen." Die Sache schien gelaufen zu sein, "ich hatte die Türklinke schon in der Hand", sagt Niedermeier. Aber dann habe sich doch noch ein Dialog entsponnen.

Süssenguth: "Was machen Sie überhaupt beruflich?"

Niedermeier: "Ich habe eine Holzhandlung."

Süssenguth: "Was, Sie haben eine Holzhandlung? Und wir haben daheim ein Sägewerk. Sie kriegen die Landshut."

So lief das? "So wahr ich hier stehe", sagt Niedermeier. Ein gutes Jahr später, am 7. August 1970, fand auf dem Flughafen München-Riem die Taufe der Boeing 737-200 statt. Große Bühne, großer Aufmarsch. Ein Festzug der Landshuter Hochzeit rückte an, vier Bläser, acht Fahnenschwinger, Musikanten, Knechte, Edeldamen, alle in historischen Kostümen, etwa 100 Menschen.

"Einen solchen Aufwand an Pracht und Schönheit" habe die Werfthalle der Lufthansa "noch nie" erlebt, schrieb der Reporter der Landshuter Zeitung (LZ). Die Rolle der Taufpatin hatte Thea Deimer, Frau des Bürgermeisters Josef Deimer. Der LZ-Reporter schrieb, mit Pathos: "Dann schüttet sie den 'Ratsherrnsekt' der Fa. Fahrmbacher über den Bug der Maschine, die 'Hofmusik' setzt mit der Bayernhymne ein und der bisher verhüllte Name 'Landshut' sowie das Dreihelmen-Wappen der Stadt werden sichtbar." Die Tragödie konnte ja niemand ahnen.

"Das war ein Ereignis, ein Erlebnis", sagt Niedermeier. Er sitzt jetzt am Esstisch seines Hauses. Weiß eingedeckt, Porzellanteller, Kristallkelche, Silberbesteck, dazu eine Serviette, bestickt mit "H.N.", seinen Initialen. Die Haushälterin schenkt Wein ein und Suppe. Man kann sich jetzt gut vorstellen, wie dieser Mann früher im Flieger saß, erste Klasse, umgarnt vom Bordpersonal. Niedermeier ist öfter mit der Landshut geflogen, auch beim Demonstrationsflug war er dabei, im Anschluss an die Flugzeugtaufe. "Mehrmals wird Landshut umrundet", schrieb der LZ-Reporter, "in etwa 400 Meter" Höhe. "Niedrig, sehr niedrig" sei die Maschine geflogen, sagt Niedermeier. "Unglaublich."

Monika Schumann, die Witwe des Piloten, besuchte auf Einladung von Hans Niedermeier die Landshuter Hochzeit. (Foto: privat)

Er war so stolz an diesem 7. August 1970. Und am Boden zerstört, als die palästinensischen Terroristen das Flugzeug am 13. Oktober 1977 entführten und drei Tage später den Piloten töteten. "Ich habe geweint", sagt Niedermeier. Hat er mal bereut, dass er der Maschine den Namen seiner Stadt verpasste? "Nein, weil ich das alles nicht wissen konnte. Das war reiner Zufall." Er hat ja recht, wieso sollte er sich schuldig fühlen? Absurd. Und trotzdem, da ist ein Verantwortungsgefühl, diffus, irrational. Im Sommer 1978, ein Jahr nach der Entführung, sitzt die Witwe des Piloten auf der Tribüne der Landshuter Hochzeit, neben Niedermeier. "Ich habe sie persönlich eingeladen. Eben weil ihr Mann in der Landshut ermordet wurde."

Es fängt ihn immer wieder ein, dieses Gefühl, mit der Maschine verbunden zu sein. Auch im September 2017, als die Bundesregierung die Landshut zurückholte. Zwei Transportflieger flogen die teils zerlegte Maschine von Brasilien nach Friedrichshafen. Er habe sich "sehr gefreut", sagt Niedermeier. Nach der Entführung hatte Lufthansa die Landshut noch bis 1985 eingesetzt, danach wurde sie hin- und herverkauft. Zuletzt gehörte sie einer brasilianischen Airline, 2008 wurde sie ausgemustert und auf dem Rollfeld in Fortaleza abgestellt. Deutschland zahlte einen Schrottwert, rund 20 000 Euro. Der Plan: Die Maschine herrichten, als Zeitzeugnis in ein Ausstellungskonzept integrieren. Sobald die Landshut im Dornier-Museum ausgestellt ist, "fahre ich nach Friedrichshafen", sagte Niedermeier damals. Doch eine Ausstellung gibt es bis heute nicht.

Das Projekt stockt. Politik und Dornier-Stiftung streiten sich um die Kosten für die Ausstellung - und Niedermeier wittert eine Chance für seine Stadt. An einer Ausstellung "würde ich mich finanziell beteiligen", sagt er. Und es gebe es ja noch mehr Landshuter, "die sehr betucht sind, da käme schon was zusammen". Am Hofberg, auf der Freifläche vor dem Skulpturenmuseum, "da wäre Platz, da ginge die Landshut hin", sagt Niedermeier.

Und was sagt die Stadt? "Für den Stadttourismus wäre das Ganze sicher ein belebendes Element", sagte unlängst Franz Niehoff, Leiter der Stadtmuseen. Das Problem: Im ohnehin klammen Landshut hat sich inzwischen ein Haushaltsloch aufgetan, 70 Millionen Euro. Kaum vorstellbar, dass die Stadt bei Schulsanierungen spart und stattdessen eine Ausstellung für das Flugzeug mitfinanziert. Die Rede ist von 16 Millionen Euro, die das Projekt für 20 Jahre kosten würde. Auf SZ-Anfrage teilt die Stadt mit, dass es keinen "neuen Sachstand" gebe. Frei übersetzt: Es ist zurzeit kein Thema, die Landshut nach Landshut zu holen.

Für Hans Niedermeier wird die Landshut ein Thema bleiben. Ein Lebensthema. "Die Stadt hat zu viele Schulden", das weiß er auch. Er ist jetzt 92, aber er gibt die Hoffnung nicht auf, die Landshut noch einmal aus der Nähe zu sehen, im Original, in seiner Stadt. Nicht nur als Modellflieger, vom Schreibtisch aus.

© SZ vom 04.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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