Neue Hinweise in der Abitur-Affäre am Gymnasium Neutraubling (Landkreis Regensburg) rücken den Direktor eines anderen bayerischen Gymnasiums immer mehr ins Zwielicht. Dessen Sohn war Ende Juni vom Abitur ausgeschlossen worden, weil seine Antworten in den Deutsch- und Französischprüfungen große Ähnlichkeiten mit der Musterlösung hatten.
Das ist besonders heikel, weil nur Schulleiter und deren engste Mitarbeiter im Vorfeld der Prüfung Zugriff auf die Abituraufgaben haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Nun haben SZ-Recherchen ergeben, dass ausgerechnet der Vater des Neutraublinger Schülers wegen eines ähnlichen Vorfalls auffällig geworden war. Diese Erkenntnis bringt auch das Kultusministerium in Erklärungsnot.
Bildung:Mit krimineller Energie zum Abitur
Ein Gymnasiast aus der Oberpfalz soll die Musterlösung der Abschlussprüfung vorab erhalten haben. Pikant: Sein Vater ist Direktor eines anderen Gymnasiums.
Im Oktober 2000 hatte der Vater, der inzwischen zum Direktor aufgestiegen ist, seinem Leistungskurs an seiner früheren Schule eine Klausur gestellt. Diese wies deutliche Ähnlichkeiten mit den späteren Abituraufgaben auf. Die Aufgabe des Abiturs 2001 bestand aus vier Teilen, die Klausur aus drei Teilen.
Aber die Fragestellungen beider Prüfungen unterschieden sich im Wesentlichen nur durch Synonyme. Der Kern der Aufgaben war quasi identisch. Für die Abiturienten war das am Prüfungstag 2001 ein Glücksfall. Sie konnten aus vier Prüfungen eine Aufgabe wählen, die sie ein halbes Jahr zuvor schon einmal als Klausur bearbeitet hatten.
Nur ein Zufall? Das hält einer, der damals an dem Gymnasium dabei war, für äußerst unwahrscheinlich. Denn der Vater des Neutraublinger Schülers gehörte in dieser Zeit zu jener Kommission im Kultusministerium, deren Aufgabe es war, die Fragestellungen für die Abiturprüfungen auszuwählen. Erstellt werden die Aufgaben von einigen ausgewählten Lehrern, die diese an eine Auswahlkommission schicken.
Auffällige Parallelen zum Fall am Neutraublinger Gymnasium
Deren Mitglieder können aber zusätzlich auch selbst Aufgaben entwerfen. Alle Beteiligten müssen versichern, dass sie die Prüfungsaufgaben weder verwendet haben noch verwenden werden. Außerdem müssen sie die Inhalte der Abiturprüfungen geheim halten. Gegen diese Selbstverpflichtung ist damals möglicherweise verstoßen worden.
Die Parallelen zum aktuellen Fall am Neutraublinger Gymnasium sind zumindest auffällig. Denn damals wie heute gehören die Abituraufgaben und deren Lösungen zu den am besten gehüteten Geheimnissen der bayerischen Gymnasien. Erst am Prüfungstag werden vor Zeugen die mit dem Siegel des Ministeriums versehenen Umschläge mit den Prüfungsunterlagen und deren Lösungen geöffnet - und zwar vom Schulleiter, der die Aufgaben in der Regel einige Tage vor den Prüfungen abholt und dafür verantwortlich ist, die Unterlagen unter Verschluss zu halten.
Während der aktuelle Fall in Neutraubling publik wurde, blieben die Geschehnisse an dem anderen Gymnasium im Sommer 2001 offenbar ohne Folgen. Dabei muss die Vorgeschichte dem Kultusministerium bekannt sein. Der Vorfall wurde seinerzeit gemeldet und löste an der betroffenen Schule einigen Aufruhr aus. Hinter vorgehaltener Hand sprechen viele, die sich erinnern, über diese Parallele zum Neutraublinger Fall.
Misstrauische Korrektoren
Im Kultusministerium hält man sich derzeit bedeckt und verweist auf die laufenden Verfahren. Zu den Vorfällen aus dem Sommer 2001 wollte ein Sprecher sich am Mittwoch nicht äußern. Dienstrechtlich werde erst gehandelt, wenn die Regensburger Staatsanwaltschaft zu Ende ermittelt habe und zu einer Entscheidung gekommen sei.
Ein Sprecher der Regensburger Staatsanwaltschaft, die im Neutraublinger Fall ermittelt, wollte auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren, dass die Justiz über diese Vorgeschichte aus dem Jahr 2001 Bescheid weiß. Das Ermittlungsverfahren war ins Rollen gekommen, weil der Ministerialbeauftragte der Oberpfalz stellvertretend für den Freistaat Anzeige erstattet hatte, nachdem die Korrektoren am Neutraublinger Gymnasium misstrauisch geworden waren und Gutachter der Bezirksregierung deren Verdacht bestätigten. Als Tatvorwurf kommt der Staatsanwaltschaft zufolge die Verletzung von Dienstgeheimnissen infrage. Ein solches Vergehen wird mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.
Der Schüler wird nicht belangt, denn Unterschleif, also Abschreiben, ist keine Straftat. Er muss das Jahr an einer anderen Schule wiederholen. Der Schüler reichte beim Verwaltungsgericht Klage gegen die Entscheidung des Ministeriums ein. Sollte er Erfolg haben, bekommt er sein Abitur.