Um die Mittagszeit meldet sich Klaus Holetschek. Ein Anruf aus Kiew. Es ist Mittwoch, Tag zwei seiner viertägigen Reise. Dienstagfrüh ist der Chef der CSU-Landtagsfraktion von München über Wien nach Chisinau geflogen, dann weitergefahren in der Großraumlimousine, quer durch Moldau, immer nordwärts, bis er nach rund 15 Stunden ankam in der Hauptstadt der Ukraine. Er hat sich die Raketenalarm-App aufs Handy geladen und im Hotel den Bunkerraum besichtigt. Dann lag er im Bett, platt von der Reise, und habe trotzdem nicht schlafen können. "Eine unwirkliche Geschichte", sagt Holetschek, Kiew ist ja immer noch eine Stadt im Krieg. "Und die Menschen hier leben seit zwei Jahren damit, das darf man nicht vergessen."
Seit zwei Jahren und mehr als einem Monat, um präziser zu sein. So lange dauert der russische Angriffskrieg inzwischen - und so lange hat es gedauert, bis mit Klaus Holetschek der erste CSU-Landespolitiker ganz offiziell in die Ukraine reist. Eine bemerkenswert lange Zeitspanne für eine Partei, deren Selbstverständnis ja weit über Bayern hinausreicht. Vergangene Woche erst reiste CSU-Ministerpräsident Markus Söder nach China. In der Ukraine war er noch nicht.
Das übernimmt nun also Fraktionschef Holetschek. Er verweist darauf, dass etwa Manfred Weber schon in der Ukraine gewesen ist, CSU-Parteivize und Chef der Europäischen Volkspartei. Welcher CSU-Politiker letztlich dort hinreise, sei auch "gar nicht die Frage", findet Holetschek. Er redet lieber vom Wir, und weniger vom Ich. Es gehe schlicht darum, der Ukraine "zu sagen: Wir stehen hinter euch", auch nach zwei Jahren. Es gehe um "ein Signal, dass wir nicht nachlassen" mit der Unterstützung. Holetschek möchte sich da nicht nur als CSU-Politiker verstanden wissen, sondern als Botschafter der Bundesrepublik. Da ist er wieder, der weltpolitische Anspruch der CSU.
Dass dieser Anspruch aktuell besonders sichtbar ist, hat nicht nur, aber schon auch mit der bevorstehenden Europawahl zu tun. Alle schwärmen jetzt aus. Der Fraktionschef in die Ukraine, der Ministerpräsident nach China, davor war Söder binnen kurzer Zeit in Israel, Schweden, Serbien. Und während Holetschek am Mittwoch den Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko besucht, trifft CSU-Innenminister Joachim Herrmann seinen tschechischen Amtskollegen in Prag.
Für den Europawahlkampf hat sich die CSU ja fest vorgenommen, die großen Themen in den Fokus zu rücken: Migration, internationaler Handel, eine europäische Verteidigungsstrategie. Sie will ihr Versprechen untermauern, die einzige Partei mit der Kraft zu sein, bayerische Interessen auch international durchzusetzen. "Die Bayernkarte spielen", heißt das im Vokabular der CSU-Strategen. Nebenbei soll der Fokus auf die großen Themen vor allem die Freien Wähler klein aussehen lassen, deren Parteichef Hubert Aiwanger der gefährlichste CSU-Rivale bleibt - aber international kaum in Erscheinung tritt.
In der Ukraine hat CSU-Fraktionschef Holetschek ein straffes Programm: Gespräche mit dem deutschen Botschafter, der Deutsch-Ukrainischen Handelskammer, ukrainischen Abgeordneten, dem Vize-Parlamentspräsidenten - und eben mit Kiews Bürgermeister Klitschko. Im Reisegepäck hat der CSU-Fraktionschef auch Spenden aus Bayern für Projekte in der Kinderkrankenversorgung und die polytechnische Universität Kiew. "Ich habe dem Bürgermeister zugesagt, weitere Hilfeleistung insbesondere im Bereich von Gerätschaften, zum Beispiel beim Bau oder auch im Bereich der Rehabilitation verwundeter Soldaten zu prüfen", teilt Holetschek am Mittwochnachmittag nach seinem Termin bei Klitschko mit. Am Donnerstag ist ein Besuch im Vorort Butscha geplant, wo Holetschek des Massenmordes an der ukrainischen Zivilbevölkerung am 2. April 2022 gedenken möchte.
"Es ist schade, wenn diese Reise für die innenpolitische Auseinandersetzung ausgeschlachtet wird."
Dass der Besuch eines bayerischen Landespolitikers nicht die Titelseiten der ukrainischen Zeitungen dominieren wird, ist Holetschek sicher bewusst. Manche seiner Botschaften richten sich ja auch nach innen. Wie schon andere CSU-Politiker wirft er dem Bund zögerliches Handeln bei Waffenlieferungen vor. "Der Kanzler und die Bundesregierung müssen der historischen Verantwortung gerecht werden und endlich die dringend benötigten Taurus-Lenkflugkörper und mehr Munition liefern", sagte Holetschek vor seiner Reise.
"Es ist schade, wenn diese Reise für die innenpolitische Auseinandersetzung ausgeschlachtet wird", sagt SPD-Landtagsfraktionschef Florian von Brunn. Zumal er findet, dass die CSU-Kritik im Streit um die Taurus-Flugkörper "extrem verkürzt ist angesichts der enormen Mengen von wichtigen Waffensystemen, die Deutschland geliefert hat". Brunn hält Holetscheks Reise grundsätzlich für gut und richtig, "um die Solidarität mit der Ukraine auszudrücken". Er gehört aber zu denen, die der CSU einen "Kuschelkurs mit China" bescheinigen, das sein gutes Verhältnis zu Russland betont. Die Solidarität mit der Ukraine findet er deshalb "widersprüchlich". Auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze ist der Meinung: "Die Besuche von Markus Söder bei Putin-Freunden in Serbien und China waren das falsche Signal." Eine Reise in die Ukraine sei dagegen "ein gutes Zeichen", das Land brauche Bayern an seiner Seite.
Seit Kriegsbeginn zählt Bayern rund 160 000 Geflüchtete aus der Ukraine, "mehr als Frankreich", wie Ministerpräsident Söder oft betont. Man decke damit "das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit", sagt CSU-Fraktionschef Holetschek. Die Ukraine mache sich aber auch Sorgen um ihre demografische Entwicklung, falls die Menschen "nicht mehr zurückkommen". Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte Söder eine "wachsende Sorge" auch in Bayern ausgemacht. Weil die Menschen verunsichert seien, was Krieg und Migration aus der Ukraine "für unsere Sicherheit und für unseren Wohlstand" bedeuteten.
Mittlerweile fordert die CSU-Landtagsfraktion, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr bekommen sollen, sondern Asylbewerberleistungen. Man dürfe "nicht auch noch zusätzliche Anreize" bieten, sagt Holetschek während seines Anrufs aus Kiew. "Die Menschen sollen, so weit es geht, auch zurück in ihr Land."