Aufbruchstimmung in der Bayern-SPD, wieder einmal. Parteichef Florian von Brunn spricht einer "sehr, sehr guten Lösung", von "zwei tollen Menschen". Drei Tage nach dem Rücktritt von Generalsekretär Arif Taşdelen haben die Sozialdemokraten am Freitag die neue Besetzung präsentiert. Die niederbayerische Landtagsabgeordnete Ruth Müller folgt auf ihren mittelfränkischen Kollegen, der sich nach Belästigungsvorwürfen aus dem Amt zurückgezogen hat. Und sie bekommt einen Stellvertreter an die Seite. Der Nürnberger SPD-Chef und Stadtrat Nasser Ahmed übernimmt die Abteilung Attacke. "Als Stürmer der Stadtrats-Fußballmannschaft sage ich: Attacke kann ich", sagt Ahmed.
Die Neubesetzung kommt für die seit Jahren in der Krise steckende Partei zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Landtagswahl ist am 8. Oktober, das Duo muss sofort damit beginnen, den Wahlkampf zu organisieren. Die Ausgangslage ist ernüchternd, die SPD dümpelt bei Umfragen oft im einstelligen Bereich herum, auch wenn Landeschef Brunn am Freitag stolz auf eine aktuelle Befragung im Auftrag der Bild hinweist, die zehn Prozent Wählergunst für die Genossen ermittelt. Brunn hat für die Landtagswahl "15 plus x" als Wahlziel ausgegeben, das bedeutet noch eine Menge Überzeugungsarbeit für die neue Generalsekretärin und ihren Stellvertreter.
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Ruth Müller, 55, sitzt seit zehn Jahren im Landtag und ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ronja Endres, Co-Chefin der Bayern-SPD, lobt Müller als "erfahrene Wahlkämpferin" und selbstbewusste Politikerin. Müller selbst nennt es eine große Ehre und Verantwortung, der ältesten Partei Deutschlands "dienen zu dürfen". Ihr Ziel sei es, die Bayern-SPD "stärker zweistellig" zu machen.
Müller ist zwar in München geboren, lebt aber schon seit 50 Jahren in Niederbayern. Sie wisse um die Herausforderungen im ländlichen Raum, sagt sie. Gegenden, in denen die SPD traditionell schwach ist, wo ihr wenig Kompetenzen für die Probleme der Bevölkerung zugeschrieben werden. Ein Eindruck, dem eine Generalsekretärin vom Land nun offenbar entgegentreten soll. Es gebe Defizite, um die sich die Staatsregierung nicht gekümmert habe, sagt Müller. "Wenn ich von Pfeffenhausen nach Landshut fahre, weiß ich oft nicht, ob ich mehr Schlaglöcher oder mehr Funklöcher habe."
Nasser Ahmed, 34, ist, "wie Sie meinem Namen und vielleicht auch meinen Aussehen entnehmen können - ein waschechter Franke". Er spielt auf die Unterschiede an und auf deren Vorteile. "Das Tandem Müller - Ahmed steht für etwas, wofür die SPD steht: Vielfalt." Er aus der Stadt, sie vom Land; sie Walkerin, er Rennradfahrer; sie weiß, er schwarz. Ahmed schaltet dann auch gleich in den Wahlkampf-Modus und wirft CSU und Freien Wähler vor, auf Ausländer zu schimpfen. Konkrete Belege bleibt er schuldig, wenn die Regierungsparteien jedoch einen rassistischen Wahlkampf führen wollten, werde die SPD dagegen halten.
Ahmed hat in Nürnbergs SPD für Furore gesorgt in den vergangenen Jahren. Nach dem Abtritt des populären SPD-Oberbürgermeisters Ulrich Maly und der verlorenen Kommunalwahl 2020 lag die Partei, die in der historischen Arbeiterstadt traditionell stark ist, böse darnieder. Um den Vorsitz stritten sich die etablierte Bundestagsabgeordnete Gabriela Heinrich, damals 57, als stellvertretende Fraktionsvorsitzende in Berlin klassisches Partei-Establishment. Und der damals 32-jährige Ahmed, promovierter Politologe, ein Mann mit spannender Aufsteiger- und Migrationsgeschichte, der sich zuvor in einem Grundsatzpapier ("für soziale Absicherung von 99 Prozent und gegen die ein Prozent Multimilliardäre, die keine Steuern zahlen, aber auf Kosten des Gemeinwohls leben") am linken äußeren Rand der Sozialdemokratie positioniert hatte - und bei dem mancher eine Kluft wahrzunehmen glaubte zwischen offensiv linker Rhetorik auf der einen und einer Anstellung in der Energiewirtschaft auf der anderen Seite.
Taşdelen hatte die Vorwürfe stets als falsch zurückgewiesen
Im Hintergrund wurde Stimmung gemacht gegen Ahmed. Der aber siegte in der Kampfabstimmung, in der Höhe (126 Stimmen zu 52) sogar sensationell. Seine Eltern, eritreische Einwanderer, hätten ihn in der Gewissheit aufgezogen, dass es in der neuen Heimat nicht darauf ankomme, wo man herkommt, sondern darauf, wie hart man arbeitet, hatte Ahmed in seiner Bewerbungsrede gesagt und die Parteibasis überzeugt. Seither, das hat Ahmed bewirkt, ist Nürnbergs Sozialdemokratie wieder deutlich präsenter.
Die beiden sind zunächst kommissarisch im Amt, ein Parteitag im Mai soll die Personalien bestätigen. Außerdem muss die Satzung geändert werden, da eine Tandem-Lösung für den Generalsekretärs-Posten bislang nicht vorgesehen ist.
Vorgänger Arif Taşdelen hatte sein Amt am Dienstag aufgegeben, nachdem ihn die Jusos im vergangenen Jahr wegen unangemessenen Verhaltens gegenüber jungen Frauen von Veranstaltungen ausgeschlossen hatten. Den Rücktritt begründete er mit der Belastung, die diese Situation für ihn und seine Familie mit sich bringe. Die Vorwürfe hatte Taşdelen stets als falsch zurückgewiesen.
Ein internes Gremium unter der Leitung von Carmen König-Rothemund, die auch der Kontrollkommission der SPD vorsteht, soll die Vorwürfe nun aufklären. Die Parteispitze verhält sich wenig offensiv in der Affäre, Brunn erklärt am Freitag noch einmal schmallippig, dass man Taşdelen dankbar sei für seinen Einsatz und dass man nun nach vorne schauen wolle. Was nun dran ist an den Vorwürfen, die nun immerhin in einem Rücktritt gipfelten? Das bleibt zunächst weiter ungeklärt.