Nürnberg:Wer kann die SPD aus dem Jammertal retten?

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In Nürnberg, der einstigen SPD-Hochburg, wird der Chef-Posten neu besetzt. Die Wahl entscheidet über die künftige Linie der Partei, denn die beiden Kandidaten unterscheiden sich deutlich.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Man könnte es so sehen: Am Samstag wird es in Nürnberg lediglich darum gehen, der örtlichen Gliederung einer in Bayern nicht über die Maßen relevanten Partei einen neuen Chef, respektive eine Chefin zu verpassen. Warum also viel Aufhebens darum machen? Bei der Kampfkandidatur um den SPD-Chefposten in Nürnberg geht es indes um mehr, mindestens gefühlt. Die Partei, die Bayerns zweitgrößte Stadt geprägt hat wie keine andere, liegt nicht nur darnieder. Sie steht auch vor einer Richtungsentscheidung, erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten kommt es zu einem Kampf ums Amt. Und in der Nach-Ulrich-Maly-Ära ringt Nürnbergs SPD nicht allein um Orientierung - sie sucht nach jemandem, der sie aus einem kaum für möglich gehaltenen Jammertal herausführt.

Gabriela Heinrich und Nasser Ahmed treten gegeneinander an, und da können sich die Genossen zumindest über eines nicht beklagen: dass sich da zwei zu ähnlich wären, zu ununterscheidbar für so eine Richtungswahl. Heinrich, 57, steht für solides Parteiestablishment, mit ihr wüssten alle, wen sie bekommen. Die diplomierte Medienberaterin ist tief verwurzelt in der Partei, mit Beharrlichkeit hat sie im Bundestag einen Aufstieg hingelegt, den ihr selbst viele Genossen kaum zugetraut hätten. Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist sie in Berlin für Außenpolitik zuständig, sie gilt als eine, die zuverlässig den Ton trifft, ihr Handwerk gründlich beherrscht, mit dem Kopf der Partei denkt und den Übergang einer schwer geschundenen Formation wenigstens einigermaßen frei von persönlichen Ambitionen krisenfest zu moderieren in der Lage wäre.

Frau gegen Mann: Gabriela Heinrich gegen Nasser Ahmed. (Foto: Privat)

Andererseits steht Heinrich womöglich zu sehr fürs alte Establishment. In den Tagen vor der Wahl gibt's nicht wenige, die daran erinnern, dass auch sie als stellvertretende Parteichefin mitverantwortlich war für eine OB-Kandidatenkür, die in ihrer erstaunlichen Hinterzimmerhaftigkeit einfache Parteimitglieder verstören musste. Kaum hatte OB Maly aus heiterem SPD-Himmel seinen Rückzug aus der Politik erklärt, da präsentierte die Führungsriege aus dem Karl-Bröger-Haus, Nürnbergs imposanter SPD-Zentrale, bereits den vermeintlichen Nachfolger - mit freundlichem Gruß an die Parteibasis.

Dass der erkorene Thorsten Brehm ein Mann mit polithandwerklichem Geschick ist, wollte schon damals niemand bestreiten. Dass aber ein von der sozialdemokratischen Funktionärsriege für würdig befundener Kandidat selbst in Nürnberg noch eine Wahl über sich ergehen lassen muss, geriet dabei offenbar leicht aus dem Blick. Die OB-Wahl wurde zum sozialdemokratischen Fiasko. In der Folge verzichtet Brehm nun auf sein Amt als SPD-Boss in Nürnberg.

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Mit Heinrichs Gegenkandidat, dem promovierten Politologen Nasser Ahmed, würde die Partei offenkundig mehr auf Aufbruch - manche sagen auch: Risiko - setzen. Über den 32-Jährigen gehen die Meinungen stark auseinander. Für die einen hat Ahmed alles, was man sich für einen sozialdemokratischen Siegertyp und womöglich künftigen OB-Kandidaten in der multikulturell geprägten Stadt Nürnberg nur wünschen kann: jung, klug, kommunikativ, spannende Aufsteiger- und Migrationsgeschichte, ein potenzieller Menschenfischer und das auch in den neuen Medien.

Andere versuchen noch kurz vor der Wahl in den Kulissen aktiv Stimmung gegen Ahmed zu machen, was in der in Nürnberg schwer auf Solidarität getrimmten Partei nicht ganz alltäglich ist. Hat sich Nürnbergs ehemaliger Juso-Chef nicht vor drei Jahren erst in einem Grundsatzpapier ("für soziale Absicherung von 99 Prozent und gegen die ein Prozent Multimilliardäre, die keine Steuern zahlen, aber auf Kosten des Gemeinwohls leben") am linken äußeren, dem Populismus nicht gänzlich abholden Rand der Sozialdemokratie positioniert - und wie sollte es da weitergehen mit der in Nürnberg eingeschliffenen schwarz-roten Rathauspragmatik? Gibt es da bei diesem Kandidaten nicht eine Kluft zwischen offensiv linker Rhetorik und lebemännischem Auftritt samt Anstellung in der Energiewirtschaft? Und geht es da einem auch hinreichend viel um die Partei - oder vor allem um die eigene Laufbahn?

In einem auf Facebook veröffentlichten Kandidatenvideo hatte sich Ahmed im Februar als "Sohn von Bürgerkriegsflüchtlingen und Arbeiterkind" vorgestellt und nebenbei demonstriert, wie eindrucksvoll er die sozialdemokratische Klaviatur beherrscht: Deren Politik habe er es zu verdanken, dass er seinen "Lebens- und Bildungsweg" habe einschlagen können - Ahmed ist 1988 als Kind eritreischer Einwanderer in Nürnberg zur Welt gekommen. Heinrich zog mit ihrer Bewerbung deutlich später nach, gegen Ahmed wirkte diese auf manchen Genossen altbacken - auf andere "ohne marktschreierisches Gedöns".

Das Rennen gilt als offen, trotz aller Bedenken aber ist Ahmed favorisiert, das digitale Parteitagsformat für sich zu entscheiden. Dass er mit einem Stellvertreter-Team ins Rennen geht, könnte am Ende den Ausschlag geben, prophezeit ein tief in der Partei verwurzelter Genosse. Mehr noch: Der Niederschlag bei der OB-Wahl sei zu heftig gewesen, als dass die Partei mit einem "Weiter-so" reagieren werde. Er sagt aber auch: "Sicher ist da gar nichts."

© SZ vom 08.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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