Pandemie-Politik:Jetzt führt "Team Augen zu und durch"

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Der öffentliche Nah- und Fernverkehr ist einer der letzten Bereichen, in denen auch von nächster Woche an noch eine Maskenpflicht in Bayern gilt. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Auch im Freistaat fallen am Wochenende fast alle Corona-Maßnahmen. Die Staatsregierung muss den Freedom-Day ausrufen, obwohl sie das gar nicht will. Gesundheitsminister Holetschek appelliert an "alle, die noch vernünftig agieren wollen".

Von Johann Osel, München

Team Vorsicht, Team Augenmaß, Team Freiheit - Namen für die Corona-Politik der bayerischen Staatsregierung gab es in der Pandemie schon viele, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war da gerne kreativ. Jetzt, wo nach dem Bundesgesetz auch im Freistaat fast alle Maßnahmen auslaufen, hat Gesundheitsminister Klaus Holetschek noch einen neuen Begriff erfunden. Am Dienstag nach einer Sitzung des Kabinetts sagte der CSU-Politiker: "Team Augen zu und durch".

Das sollte als Kritik an der Ampel-Regierung in Berlin und dort vor allem an der FDP gemeint sein, auf deren Drängen der Bund den Ländern praktisch keine Handlungsspielräume bei Corona mehr lässt. Es ist aber auch automatisch die passende Beschreibung für den neuen Kurs in Bayern: Trotz landesweit sehr hohen Infektionszahlen laufen an diesem Wochenende die allermeisten Corona-Beschränkungen aus. Bayern wird außerdem die Hotspot-Regel im Gesetz des Bundes nicht anwenden, zumindest auf absehbare Zeit nicht, wie es hieß. Und sich ebenfalls nicht als ganzes Land zum Virus-Krisengebiet erklären. Es bleibt der sogenannte Basisschutz für einige Wochen - und es bleibt weiterhin großer Unmut in München über das Vorgehen in Berlin. Bayern ruft also den "Freedom Day" aus - ohne dies zu wollen.

Nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz und Ablauf einer Übergangsfrist von zwei Wochen enden die Regeln nach dem Samstag. Holetschek hatte bis zuletzt für eine weitere Übergangsfrist in den April hinein geworben, ohne Erfolg. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sagte am Dienstag, Mindestabstände und Maske seien "ein einfaches simples Mittel" bei der aktuellen Infektionslage. Man könne es nur jetzt "nicht mehr verbindlich anordnen".

In Pflegeheimen bleibt die Testpflicht

Nach dem 2. April gilt in Bayern noch konkret: die FFP2-Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr, außerdem in Pflegeheimen, Kliniken, Arztpraxen und weiteren Gesundheitsbereichen sowie in Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkünften. In Pflegeheimen bleibt erst mal eine Testpflicht, ebenso in Schulen (zunächst bis Ende der Osterferien). Sämtliche 2-G- und 3-G-Zugangsregeln, etwa in der Gastronomie oder im Fitnessstudio, sowie die Maskenpflicht im Handel, in Freizeiteinrichtungen und sonstigen Innenräumen fallen weg. Ein Testnachweis muss weiterhin bei Besuchen in Kliniken und Heimen erbracht werden. Die neue Corona-Verordnung des Freistaats wird deutlich kürzer ausfallen als bisherige Versionen.

Für die Schulen will Kultusminister Michael Piazolo (FW) "empfehlen", an Sammelpunkten wie der Aula oder in der Pause weiterhin Maske zu tragen. Wie die Umsetzung genau vonstatten gehen soll, ist noch unklar. Die neue bayerische Verordnung empfiehlt zudem generell Abstand und Maske in Innenräumen. Dies richte sich an die Bürgerinnen und Bürger und an "alle, die noch vernünftig agieren wollen", sagte Holetschek auf Nachfrage. Und nicht an Betreiber von Einrichtungen, Wirtshäusern oder Geschäften, die theoretisch über ihr Hausrecht Masken vorschreiben könnten. Der bayerische Hotel- und Gaststättenverband Dehoga gibt seinen Mitgliedern dazu keine Empfehlung, rechnet nur mit Einzelfällen. Im Einzelhandel könnte die Bitte an Kunden, freiwillig Maske zu tragen, in den nächsten Wochen, häufiger auf Schildern zu lesen sein - wenn es viele Leute nicht ohnehin von sich aus so handhaben.

Lauterbach habe "versagt"

Die Option der Hotspots in Regionen oder gar für das ganze Land nimmt Bayern nicht in Anspruch. Weil das unter den Vorgaben überhaupt nicht möglich sei, wie es hieß. Die Bundesvorlage sei eine, die "eine Regelung nur vortäuscht", sagte Staatskanzleichef Herrmann. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe "versagt", seine Rolle sei "verheerend", ergänzte Holetschek. Die Hotspot-Festlegung wäre die einzige Möglichkeit gewesen, um an der Maskenpflicht in Innenräumen festzuhalten. Dazu müsste etwa eine neue, gefährlichere Virusvariante auftauchen oder eine Überlastung der Kliniken drohen; das ist in Bayern nicht der Fall, trotz weiterhin hoher Inzidenz. Am Dienstag waren 412 Intensivbetten im Freistaat mit Corona-Patienten belegt, stabile Lage - in der vergangenen Sommer beschlossenen bayerischen Warn-Ampel wird der rote, kritische Wert erst bei 600 Betten erreicht.

Am Vortag hatte bereits Söder - beim Spargelanstich am Münchner Viktualienmarkt - die Hotspot-Thematik abgeräumt: "Wir werden in Bayern ein solch schlampiges Gesetz nicht anwenden." Holetschek hatte wiederum an der Konferenz der Gesundheitsminister der Länder teilgenommen und berichtet, für seinen Antrag auf längere Frist sechs Ja-Stimmen und vier Enthaltungen bekommen zu haben. Die Bundesregierung ignoriere diesen fachlichen Rat, das sei "an Absurdität nicht zu überbieten".

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