Geschichte:"Sie verlassen jetzt sofort das Schulgelände, sonst rufe ich die Polizei"

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Die 18-jährige Gymnasiastin Christine Schanderl aus Regensburg mit einem "Stoppt Strauss"-Anstecker im Jahr 1980. (Foto: picture-alliance / dpa)

Mit einem Strafreferat über den Nationalsozialismus ist Hubert Aiwanger einst glimpflich davongekommen. Anderswo waren Schulleiter in den Achtzigern strenger.

Kolumne von Sebastian Beck

Man kommt in diesen Tagen als Journalist ja kaum mehr der aktuellen Nachrichtenlage hinterher. Am Montagnachmittag ist es so, dass laut neuester Mitteilung aus dem Hause Aiwanger & Aiwanger der selbsternannte Flugblattschreiber Helmut Aiwanger erklärt: Sein Bruder Hubert habe die antisemitischen Flugblätter damals möglicherweise nur deshalb in der Schultasche mit sich geführt, weil er sie eingesammelt habe, um die Situation zu deeskalieren. Der Hubert hat nach dieser Darstellung also nicht nur die Strafe für seinen Bruder auf sich genommen, sondern er wollte überdies auch ein gutes Werk tun.

Fest steht, dass Hubert Aiwanger damals ziemlich glimpflich davongekommen ist: Er sollte wegen der Flugblätter im Schulranzen ein Referat über den Nationalsozialismus halten - nachdem man ihm zuvor nach eigener Aussage mit der Polizei gedroht habe. Ein Referat als Buße für eine Hetzschrift im Nazi-Jargon - da können sich die Aiwangers im Nachhinein noch beim Schuldirektor bedanken.

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In den Achtzigerjahren konnte man anderswo schon wegen Kleinigkeiten, die heute lächerlich wirken, von der Schule fliegen. Der bekannteste Fall ist der von Christine Schanderl aus Regensburg. Sie flog 1980 vom Albertus-Magnus-Gymnasium, weil sie einen "Stoppt-Strauß"-Button getragen hatte. Solche Anstecker gehörten neben "Atomkraft - Nein danke" und "Freiwillig 100 dem Wald zuliebe" zu den Standard-Accessoires der linken Jugend.

Da verstand der Schulleiter keinen Spaß - schließlich war 1980 auch noch das Jahr der Bundestagswahl mit dem Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß (CSU): "Schanderl, Sie verlassen jetzt sofort das Schulgelände, sonst rufe ich die Polizei und erstattet Anzeige wegen Hausfriedensbruchs", soll er die 18-Jährige angeherrscht haben.

Das Schuljahr war für Christine Schanderl damit bereits zwei Wochen vor den Ferien zu Ende. Nicht aber ihr Kampf gegen die bayerische Schulordnung, die das Tragen von Stickern als unzulässige politische Agitation einstufte: Sie klagte sich bis vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof - und bekam im Mai 1981 Recht. Ein geradezu historisches Urteil. Seitdem gilt auch an den bayerischen Schulen die Meinungsfreiheit.

Hetzschriften waren und bleiben davon allerdings ausgenommen.

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