Gedankenlos feiern? Das war einmal. Gerade die großen und kleinen Pop-Open-Airs setzen längst nicht mehr allein auf Krawall und Remmidemmi. Gleich neben den Namen der Stars von Kendrick Lamar (Rolling Loud) über Nina Chuba (Puls) bis Foo Fighters (Rock im Park) werben die Festivals mit Schlagworten wie "Nachhaltigkeit", "Awareness" und "Diversity". Inklusionskurse, Mehrweggeschirr, Gender-gerechtes Line-up und Barrierefreiheit bezeugen einen Wandel in der Festival-Branche.
Kein Wunder, dass beim aktuellen Bayerischen Popkultur-Preis gleich drei Open-Airs für ihr Engagement ausgezeichnet wurden: "Modular" in Augsburg, "Der Krater bebt" im Donau-Ries und "Ab geht die Lutzi" bei Schweinfurt. Aber auch in München beim "Superbloom" und in Augsburg beim "Modular" will man gemeinsam die Menschheit und den Planeten retten - und das natürlich in ausgelassener Stimmung. Eine Überblick über besondere Open-Air-Festivals in Bayern (in ihrer zeitlichen Abfolge).
Modular
Pop-Labor? Rollschuh-Disco? Polit-Workshop? Kirmes? Straßentheater? Das "Modular" ist all das und mehr - und daher für den Erstbesucher durchaus verwirrend. Einfach gesagt: Auf drei Bühnen des urban-schicken Augsburger Gaswerk-Geländes spielen Spitzenkräfte vor allem der deutschen Independent-Unterhaltung wie diesmal Ennio (Fr.), Schmyt und Kytes (Sa.) und Kaffkiez, Von wegen Lisbeth und die italophilen Lokal- und Weltmeister Roy Bianco & Abbrunzati Boys (Sa.). Zudem gibt es einen Marktplatz der Mitmachangebote mit Greenpeace, Amnesty, dem Staatstheater, KI-Schreibkurs, einem inklusiven Wohnprojekt und vielem mehr. Der Öko-Faktor des Modular ist vorbildlich, fand die Bayerische Poppreis-Jury und zeichnete es bereits zum zweiten Mal dafür aus.
Modular., Fr.-So., 26.-28. Mai, Augsburg, Gaswerk
Theatron
Das eine Theatron-Festival gibt es gar nicht, es sind zwei, mitten im Münchner Olympiapark an der namensgebenden Seebühne: Während das vierwöchige Sommer-Theatron (exakt: "Musiksommer im Theatron", 28. Juli bis 20. August) noch am bunten Programm zwischen Rock und Klassik bastelt, kann das Theatron-Pfingstfestival schon bald die Münchner Open-Air-Saison einläuten: Drei Abende lang sitzt das Publikum dicht gedrängt mit Picknick-Ausrüstung auf den Stufen des Freilichttheaters und erlebt unten auf der Betonplattform am See ein ebenso kompaktes Subkultur- und Newcomer-Programm. Bei einem Themenabend über die Liebe ("Come Closer)" am Samstag, 27. Mai, interpretieren ein achtköpfiges Orchester und die Sängerinnen Nalan (Berlin), Mira Lou Kovacs (Wien) und Enji (München) "die schönsten Lovesongs der Musikgeschichte". Highlight am zweiten Abend ist Münchens Rap-Popstar Fatoni, der sein neues Album "Wunderbare Welt" vorstellt. Und am Pfingstmontag singt zum Finale Stella Sommer ihre dunkelschönen Lieder. Der Nachhaltigkeitsfaktor: Das Festival wird vom Jugendkulturwerk für die Jugend der Stadt veranstaltet, der Eintritt ist daher frei.
Pfingstfestival im Theatron, Sa.-Mo., 27.-29. Mai, München, Bühne am Olympiasee
Rock im Park
Rock per se ist nicht umweltschonend, eher energieintensiv und plattwalzend. So sah das Areal rund um den Nürnberg Dutzend-Teich meist aus, als sei ein Orkan über Rock im Park hinweggefegt. Musikalisch war das bei ungefähr 80 Konzerten an drei Tagen meist ebenso infernalisch, und so soll und wird es auch heuer wieder sein: Internationale Heroen wie Foofighters, Kings of Leon, Machine Gun Kelly und Limp Bizkit und deutsche Helden wie Die Toten Hosen, K.I.Z. oder Apache 207 werden wieder die Massen auf drei Bühnen rund ums Zeppelinfeld zum Toben und Tosen bringen. Aber danach, so wünscht es sich der Veranstalter von Bayerns größtem, waschechtem Open-Air-Festival, sollen alle 70 000 Gäste zusammenhelfen und das Naherholungsgebiet der Nürnberger wieder in seinen Naturzustand versetzen. Diesmal wirklich - der "Umwelt Rocky" für den bestaufgeräumten Camping-Platz wird schließlich schon seit 2009 verliehen.
Rock im Park, Fr.-So., 7.-9. Juni, Nürnberg, Zeppelinfeld
Puls-Open-Air
Künstlernamen wie Team Scheiße, DJ Fuckofff, Depri Disko oder DJ Schinkensuppe könnten dazu verleiten, zu glauben, hier beim Puls-Open-Air sei die No-Future- oder Alles-wurst-Generation am Zug. Falsch gedacht, denn hier geht es freilich um den Spaß - und um die Zukunft. Für die stehen schon einmal die von der Jugendwelle des Bayerischen Rundfunks Puls mitausgesuchten Bands, Rapper und DJs. Da sind natürlich viele, die nur Puls-Hörer oder Social-Media-Follower in Ekstase versetzen, nehmen wir mal Mola (Bastard-Pop), Bucci (Anti-Alk-Rap) oder Ikan Hyu (Multi-Instrumental-Space-Pop). Aber auch weiterhin bekannte Zugnummern wie OK Kid, Nura (von den Rüpel-Rapperinnen SXTN) oder Nina Chuba ("Wildberry Lillet") sind dabei, um die große Ritterspiele-Arena auf Schloss Kaltenberg zu füllen; Ätna dürfen mit dem Symphonieorchester des BR spielen. Mit neuem Hauptveranstalter - nämlich dem Hausherren Heinrich Prinz von Bayern selbst - macht das Festival auf noch größerem Gelände sich und seine Gäste fit für die Zukunft - mit eigenem Solarpark, Drag-Queen- und -King-Kursen und Unverpackt-Laden.
Puls-Open-Air, Do.-Sa., 8.-10. Juni, Schloss Kaltenberg
Ab geht die Lutzi
Es gibt sie wirklich, die Lutzi, inzwischen mehr als 70 Jahre alt tanzt sie jedes Jahr im Blumenkleid beim Festival, das ihren Namen trägt. So herzlich geht es eben zu bei dem musikalisch eher ruppigen Hip-Hop-Punk-Rock-Open-Air bei Schweinfurt (diesmal mit Madsen, 257ers, The Subway, Großstadtgeflüster, Roy Bianco ...). Das Festival gewann 2022 den Poppreis Bayerns für "Soziale Nachhaltigkeit", weil man dort gemeinsam mit Menschen mit Handicap arbeitet, um die Feier-Erfahrung für beeinträchtigte Menschen zu optimieren (etwa durch Angebote für Blinde und eine Homepage in Leichter Sprache).
Ab geht die Lutzi, Do.-Sa., 22.-24. Juni, Rottershausen
Rolling Loud
Die Münchner Messe-Freifläche ist seit 2022 der Spielplatz für die extragroßen Konzerte (130000 bei Helene Fischer). Und ein solches XXL-Event ist "Rolling Loud", das größte "Hip-Hop-only-Festival" der Welt. 2015 in Florida gegründet, kamen 2021 200 000 Rap-Fans nach Miami. Inzwischen ist "RL" eine Weltmacht, auf Tour um den Planeten, und jetzt erstmals mit einem Ableger in Deutschland. Die Hauptrollen in München spielen Kendrick Lamar, Travis Scott und Whiz Kid.
Rolling Loud, Fr.-So., 7.-9. Juli, München, Messe Riem
Greenfields
Auch Kellerkinder, also gerade die Techno-Kids, lieben die Natur und tanzen gerne durch Wälder und Auen. Seit 20 Jahren schon feiern die Elektro-Club-Fans auf den "Greenfields" in München-Riem und schwärmen vom "elektronischen Klangteppich über den sattgrünen Wiesen". Zum runden Geburtstag beschallen DJ-Paten wie Sven Väth, Karotte oder Ben Klock (Berghain-Resident seit 2004) die Reitanlage, getanzt wird nicht durch die Nacht, sondern von 11 bis 22 Uhr. Die Veranstalter von Dance Planet unterstützen die umweltfreundliche Anreise mit Party-Bussen aus Deutschland und Österreich.
Greenfields, Sa., 8. Juli, München-Riem, Galopprennbahn
Münchner Sommernachtstraum
Streng genommen ist er kein Festival, sondern ein halbtägiges "Open-Air-Event", aber weil er so schön ist, sei an dieser Stelle auf den "Münchner Sommernachtstraum" verwiesen: jedes Jahr ein sympathischer Massenauflauf mit Imbiss, Kunst und zwei Musik-Bühnen rund um den Olympiasee. Hauptattraktion ist auch diesmal wieder das halbstündige Feuerwerk, was an sich nicht wirklich nachhaltig ist. Aber dafür setzen sich die musikalischen Stars Gentleman und Juli sehr für Umweltthemen ein, beteuert die veranstaltende Olympiapark GmbH.
Münchner Sommernachtstraum, Sa., 15. Juli, München, Olympiapark
Der Krater bebt!
Der bayerische Pop-Kulturpreis für das beste Festival ging 2022 an "Der Krater bebt". Die Jury belohnte das Open-Air im Landkreis Donau-Ries damit vor allem für seine soziale Nachhaltigkeit, da man dort beispielsweise ganz selbstverständlich Inklusionsbands im Programm hat. Im 33. Jahr spielen Swiss & Die Anderen, Karin Rabhansl, Die Wilde Westen und viele mehr.
Der Krater bebt!, Fr.-So., 28.-30. Juli, Megesheim
Brass Wiesn
Im Echinger Badeweiher wird auch der letzte Hecht ganz tief abtauchen, wenn die Horde der Blasmusikfreunde sich im Wasser erfrischt oder sogar ein kleines Spontankonzert darin spielt. Bei der "Brass Wiesn" (Motto: "Trompete und Tracht") wird aus allen Rohren geblasen, da bleibt kein Halm stehen. Zwischen 15 000 und 20 000 Gäste werden diesmal wieder erwartet, wenn 80 Gruppen Blechmusikinstrumente in jeder erdenklichen Spielart erklingen lassen: Reggae, Pop, Hip-Hop, Balkanbrass, Volks- und Bierzeltmusik. Diesmal wieder mit Dicht & Ergreifend, Fanfare Ciocarlia, Pam Pam Ida, Ringlstetter & Band, der Kapelle Josef Menzl und erstmals mit Alpen-Alt-Rebell Hans Söllner & Bayaman Sissdem. Der Veranstalter verspricht zudem Hüttengaudi, Traktorenschau, Spiel und Spaß für Klein und Groß ebenso wie Almwiesen und ein Gipfelkreuz - aber nicht enttäuscht sein, Einsamkeit in der Natur wird man nicht finden.
Brass Wiesn, Do.-So., 3.-6. August, Eching, Freizeitgelände
Taubertal-Festival
Das Taubertal könnte, Achtung Kalauer, auch Zaubertal-Festival heißen. So märchenhaft und friedlich breitete es sich seit 1996 auf der grünen Eiswiese neben der Tauber unter der Altstadt von Rothenburg aus, dass man die fast 20000 Gäste gar nicht spürt. 50 Konzerte von Peter Fox, Broilers, Marteria, Electric Callboy, Bilderbuch, Donots, Provinz und anderen gibt es diesmal auf vier Bühnen, von denen eine so lieblich "Sounds for Nature" heißt.
Taubertal-Festival, Do.-So., 20.-13. Aug., Rothenburg ob der Tauber
Superbloom
Der sonst ziemlich grüne Olympiapark treibt beim Superbloom besonders schöne Blüten - mit bunter Neo-Hippie-Deko und fantasievollen Walking Acts an allen Ecken. Das neue Groß-Open-Air war bei der Premiere 2022 mit 50000 Besuchern restlos ausverkauft und gewann gleich einen "European Festival Award". Die großen Namen im zweiten Pop-Potpourri auf fünf Bühnen sind Imagine Dragons, Peter Fox, Jason Derulo, Ava Max, Marteria und Martin Garrix. Ebenso wichtig sind den Veranstaltern aber die "Experience"-Bereiche für Theater, Tanz, Kunst, Mode, Sport, Kinder, Wissenschaft und "Your Planet", wo sich 30 Nachhaltigkeits-Projekte vorstellen.
Superbloom, Sa. & So., 2. & 3. Sep., München, Olympiapark