Streit mit Bund:Das bayerische Familiengeld ist ein Geschenk für Eltern und Juristen

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Sozialministerin Kerstin Schreyer (r.) und Ministerpräsident Markus Söder übergeben Familien den Bescheid fürs Familiengeld. (Foto: dpa)

Die Staatsregierung verteilt mit großer Geste ihre ersten Bescheide für das Familiengeld. Weil der Bund es für rechtswidrig hält, wird es aller Voraussicht nach schon bald die Sozialgerichte beschäftigen.

Von Maximilian Gerl, Anna Günther, Johann Osel und Christian Sebald, München

Ministerpräsident Markus Söder hat eine frohe Botschaft zu verkünden. Deshalb bezieht er Stellung am Rednerpult und nicht in der begehbaren Riesengitarre oder im Planschbecken mit den knallbunten Legosteinen. Der Freistaat also kümmere sich um seine Familien - und investiert viele Millionen. Daher diese Veranstaltung am Donnerstagnachmittag im Kinderreich des Deutschen Museums in München. Zusammen mit Sozialministerin Kerstin Schreyer übergibt Söder symbolisch die ersten Bescheide für das neue bayerische Familiengeld an ausgewählte Familien aus allen Regierungsbezirken. Die Kinder quietschen, die wilderen werfen mit Legosteinen. Söder, selbst Vater von vier Kindern, lächelt viel. Am Ende geht er doch noch ins Lego-Bad.

Es könnte alles ein großer Spaß sein, wenn da nicht noch ein paar offene Fragen wären. Zum Beispiel die, ob das Familiengeld überhaupt rechtlich zulässig ist. Seit Söder im April die neue Wohltat in seiner Regierungserklärung ankündigte, gibt es darüber Streit: Das Bundessozialministerium hat bereits mehrmals gewarnt, dass das Familiengeld bei Hartz-IV-Empfängern auf ihre Bezüge angerechnet werden müsse. Die Staatsregierung freilich hält an ihrem Vorhaben fest und hat die ersten Bescheide verschickt. Für 125 000 Fälle war an diesem Donnerstag das Familiengeld bewilligt worden, sie sollen "umgehend" das Geld ausbezahlt bekommen.

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Unter Experten ist umstritten, wer nun recht hat. Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer wirft Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) Wahlkampfmanöver vor und verweist weiter auf bestehende Ausnahmeregelungen. Sie versteht das Familiengeld als Weiterentwicklung des Landeserziehungsgelds, und das wurde nicht auf Hartz IV angerechnet. Außerdem steht im Sozialgesetzbuch, dass Leistungen, die "zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden", nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien. Die Staatsregierung versteht das Familiengeld als zweckgebundene Leistung und betont im Gesetzestext, dass es eine "Anerkennung der Erziehungsleistung" darstelle, Eltern den "Gestaltungsspielraum" für Erziehung und Bildung ihrer Kinder gebe und daher nicht der Existenzsicherung diene. Deshalb dürfe es auch nicht auf Hartz IV angerechnet werden.

Im Bundessozialministerium ist man da anderer Ansicht: "Die bloße Absicht, mit der Leistungsgewährung Anreize zu setzen und ein bestimmtes Verhalten anzuerkennen, reiche nicht aus", heißt es in einem Brief an das bayerische Familienministerium. Und: "Bundesrechtliche Regelungen, die eine Anrechnung vorsehen, haben Vorrang."

Ähnliche Einschätzungen hört man aus dem Umfeld der bayerischen Sozialgerichte. Woher zusätzliche Einkünfte stammen, sei bei der Anrechnung auf Sozialleistungen wie Hartz IV unerheblich, es sei denn, der Zweck sei so klar definiert wie beim Landesblindengeld, das Blinde bekommen können, wenn sie Fahrer brauchen. Diese zusätzliche Unterstützung wird nicht angerechnet. Das letzte Wort werden vermutlich die Sozialgerichte haben. Thorsten Kingreen, Sozialrechtsprofessor an der Uni Regensburg, hält das Familiengeld zwar persönlich für ein "Wahlkampfgeschenk, eine steuerfinanzierte Sozialleistung, die nicht in die Hände von wohlhabenden Menschen gehört, wenn das Geld anderswo besser investiert wäre".

"Das Familiengeld ist juristisch gesehen Neuland"

Rechtlich aber sieht er die Voraussetzungen des Sozialgesetzbuchs für ein Familiengeld zusätzlich zu Hartz IV für erfüllt an. Das Bundessozialgericht verlange, dass der Wortlaut einer Norm einen anderen Zweck ergebe. "Genau das haben die Juristen des Sozialministeriums gemacht. Im ersten Artikel steht die Zweckbestimmung, ausdrücklicher kann man das nicht tun. Die kannten das Problem und haben sich relativ gut rausgemogelt", sagt Kingreen.

Anderen Experten zufolge können nur betroffene Familien eine rechtliche Klärung des Streits herbeiführen: "Das Familiengeld ist juristisch gesehen Neuland. Es gibt kein Vorbild, anhand dessen entschieden werden könnte, ob es auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden muss oder eben nicht", sagt Ariane Endres, die Leiterin der Stabsstelle Recht bei der bayerischen Caritas. "Deshalb müssen sich eine oder mehrere Familien finden, die Widerspruch einlegen und klagen, wenn ihnen ihr Jobcenter auf Anweisung des Bundes die Hartz-IV-Zahlungen um das Familiengeld kürzt." Rainer Strauch, der Chef der Rechtsabteilung des Sozialverbands VdK Bayern, teilt die Einschätzung. Seiner Überzeugung nach wird der Streit um das Familiengeld für Hartz-IV-Empfänger "nur höchstrichterlich entschieden werden können", wie er sagt - also vor dem Bundessozialgericht.

Zusätzlich kompliziert wird die Sache, weil es in Bayern zwei verschiedene Arten von Jobcentern gibt. In den meisten fungieren Arbeitsagentur und Kommunen als gemeinsame Leistungsträger. Aufsicht über die Arbeitsagentur führt wiederum das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Daneben gibt es aber zehn sogenannte Optionskommunen, die der Staatsregierung unterstehen - und damit auch ihrer Weisung. Die Folge: Von September an gilt in Bayern zweierlei Recht. Wer in einer Optionskommune lebt, soll das Familiengeld zusätzlich zu Hartz IV bekommen. Wer nicht in einer Optionskommune lebt, dem soll das Familiengeld abgezogen werden.

Die Regionaldirektion Bayern der Arbeitsagentur verweist in einer Stellungnahme auf die Rechtsauffassung des Bundes. Kunden müssten sich darauf einrichten, dass die Jobcenter, die als gemeinsame Einrichtung geführt würden, diese Geldleistung "auf die Grundsicherung anrechnen und gegebenenfalls auch zu viel gezahlte Leistungen zurückfordern".

Im Deutschen Museum jedenfalls ist die Stimmung heiter. Die neue Förderung preist Söder als "gute Sache, weil sie Freiheit, Angebot und Geld miteinander verbindet". Auch die Eltern strahlen, nicht nur beim Foto mit dem Regierungschef. Ein Vater erzählt, wofür er das Geld investieren wolle: für Babyschwimmkurse. Man hört bei den Eltern auch: "Nichts gegen Flüchtlinge, aber es ist auch mal gut, wenn junge Familien was bekommen." Söder verteilt noch ein paar Seitenhiebe auf die SPD. Heil solle "nicht die beleidigte Leberwurst spielen". Unterstützung von der SPD wünsche er sich vielmehr im Bundesrat, um gegen den Kindergeldtransfer an Banden in Rumänien und Bulgarien vorzugehen.

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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