Flüchtlinge:Das Helfen frustriert die Helfer

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Alleingelassen fühlen sich nicht nur Flüchtlinge in Bayern, sondern auch ehrenamtliche Helfer. (Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • Mit der Zahl der Asylbewerber ist auch die der Aktiven in den Helferkreisen gesunken.
  • Dabei brauchen viele Menschen Unterstützung bei der Integration.
  • Der Frust aber sitzt bei den Helfern tief - vor allem, weil die Bürokratie immer umfangreicher wird.

Von Thomas Balbierer, Dillingen

Faschingsdienstag im schwäbischen Dillingen. In den umliegenden Gemeinden streifen die Einwohner gerade ihre Kostüme über, auf der Landstraße tuckern bunte Mottowagen zum fröhlichen Umzug. Feiertag in der Region. Das katholische Pfarrheim in Dillingen wirkt dagegen wie ausgestorben, nur einer sitzt im Büro und telefoniert. "Ich schreib' was und schick' dir das", spricht Georg Schrenk ins Handy und legt auf. Immer wieder klingelt auch das Festnetztelefon, alle zehn Minuten kündigt sich eine neue Mail mit klingendem Ton an.

Schrenk, breite Schultern, graue Haare, könnte jetzt auch beim Fasching sein. Oder seiner Leidenschaft nachgehen, der Jagd. Zeit hätte der 70-Jährige seit seiner Pensionierung als Bundeswehr-Oberst. Stattdessen sitzt er im Büro, spricht über Asylpolitik, telefoniert mit dem Landratsamt und schreibt Briefe an Minister. Seit dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise ist Georg Schrenk das Gesicht der Dillinger Flüchtlingshilfe.

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Ohne die Ehrenamtlichen wären viele Kommunen 2015 wohl daran gescheitert, die hohe Zahl an Asylbewerbern würdig zu versorgen. Die Helfer brachten Lebensmittel, Kleidung und Möbel, lehrten Deutsch und unterstützten die Geflüchteten beim Gang zum Arzt und zu Behörden. 120 Bürger engagierten sich allein in der Stadt Dillingen, sagt Schrenk. Heute seien es noch etwa 50 Aktive. Der Rückgang schmerzt den Pensionär, die Helferarbeit werde schwieriger. "Integration ist nach vier Jahren nicht beendet", sagt er und zählt auf, wobei man anerkannte und "geduldete" Asylbewerber unterstützen müsste: Wohnungssuche, Arbeitssuche, aber vor allem beim Zugang zur Gesellschaft. Deshalb organisiert Schrenks Verein zum Beispiel Frauenabende, Fußballspiele, Deutschkurse und Vorträge. Trotzdem nimmt das Interesse ab, sowohl bei den Ehrenamtlichen als auch bei den Flüchtlingen.

In Freising hat sich im vergangenen Jahr der Helferkreis aufgelöst, andernorts schläft das Engagement leise ein. Es gibt zwar keine Statistik über die Zahl der Flüchtlingshelfer in Bayern, aber eine deutschlandweite Untersuchung des Bundesinnenministeriums vom November 2017. Darin steht, dass "viele derjenigen, die meist noch im Jahr 2015 in der Flüchtlingshilfe aktiv wurden, ihr Engagement inzwischen auch wieder beendet" haben. Engagierten sich 2015 noch 25 Prozent der Deutschen, waren laut der Studie 2017 noch elf Prozent in der Flüchtlingshilfe aktiv. Viele Ehrenamtliche hätten ihren Einsatz beendet, als "die drängendsten Aufgaben bewältigt waren". Hinzu komme, sagt Jana Weidhaase vom Flüchtlingsrat, dass viele Helfer gar keinen Zugang zu den Asylbewerbern mehr hätten, da sie in den sogenannten Ankerzentren zentral untergebracht werden.

Georg Schrenk sieht die Integration vor Ort in Gefahr. Im Landkreis Dillingen leben dem Landratsamt zufolge aktuell 676 Flüchtlinge und 237 subsidiär Geschützte. Obwohl das Landratsamt Asylbewerber mit einer eigenen Wohnungslotsin unterstützt, sei die Suche nach günstigen Wohnungen ein großes Problem, sagt Schrenk. Hilfe bräuchten die Geflüchteten vor allem auch bei komplizierten Rechtsfragen, etwa wenn es um Formulare vom Jobcenter oder Abschiebebescheide geht.

Die Bürokratie schreckt viele ab

Doch genau darin liegt der Hauptgrund für das nachlassende Engagement, glaubt der ehemalige Soldat: Der "bürokratische Wahnsinn" schrecke die Bürger ab. "Viele gesetzliche Regelungen sind so kompliziert, dass sie die Ehrenamtlichen nicht mehr verstehen", sagt Schrenk und berichtet von einem Ehepaar, das innerhalb weniger Tage vier Bescheide vom Jobcenter erhalten habe. Es reiche nicht, die nur zur Kenntnis zu nehmen, man müsse sie auch verstehen, sagt Schrenk. In dem Fall habe der Betroffene Geld ans Jobcenter zurückzahlen müssen. Das sei kein Einzelfall, betont der Ehrenamtliche.

Viele Helfer in Bayern sind frustriert und fühlen sich vom Staat alleingelassen. Zum Beispiel, wenn gut integrierte Asylbewerber plötzlich abgeschoben werden. Das sei "psychisch belastend", sagt Sonja Thomas. Sie ist im Helferkreis Lauingen aktiv, einer Nachbarstadt Dillingens. "Wir haben hier viele Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsländern und aus Afghanistan." Diese hätten "überhaupt keine Sicherheit". Die Unsicherheit überträgt sich auf die Ehrenamtlichen. Thomas berichtet von zwei jungen Männern aus Guinea und Senegal, die seit vier Jahren in Deutschland lebten, die Mittelschule abgeschlossen hätten und nun eine Schulausbildung in der Pflege absolvierten. Beide seien derzeit geduldet. "Die haben sich nichts zuschulden kommen lassen", sagt die Helferin. Trotzdem müssten beide fürchten, jederzeit abgeschoben zu werden. Auch für die Helfer bedeute das "Angst und Schmerz".

Georg Schrenk macht weiter. Der frühere Oberst ist das Gesicht der Dillinger Flüchtlingshilfe. Noch immer gibt es viel zu tun. (Foto: Thomas Balbierer)

Bayern gilt als Bundesland, das Asylgesetze streng auslegt. Abgelehnte Asylbewerber, die rechtlich nur geduldet werden, hatten bislang kaum eine Chance, eine Arbeitsgenehmigung zu erhalten, klagen Flüchtlingshelfer. Nun soll gut integrierten, geduldeten Flüchtlingen der Weg in einen Beruf erleichtert werden. Das teilte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Anfang März mit. "Ich denke hier an besonders Engagierte, die beispielsweise überdurchschnittliche Schulleistungen vorweisen können. Auch wer ein besonderes bürgerschaftliches Engagement an den Tag gelegt hat, soll profitieren", sagte Herrmann.

Für Ehrenamtliche wie Sonja Thomas und Georg Schrenk ist das ein positives Signal. Beide erwarten nun konkrete Verbesserungen. Dennoch fühlt sich der Helfer aus Dillingen von der Politik eher gegängelt als gefördert. Schrenk glaubt, dass die Politik die Ehrenamtlichen "los werden" wolle. Anfragen an Behörden würden oft gar nicht beantwortet, Ministerien reagierten häufig nur mit Phrasen. Eine aktuelle Debatte beschäftigt den 70-Jährigen besonders: Helfer, die per Mail oder in sozialen Netzwerken über geplante Abschiebetermine informieren und so eine Abschiebung verhindern, sollen zukünftig bestraft werden können. So steht es in einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums. "So ein Gesetz hätte vor dem Bundesverfassungsgericht keine Chance", ist sich Schrenk sicher. Als Ehrenamtlicher sei er zu keinerlei Geheimhaltung verpflichtet. Auch er verschickt solche Rundmails. "Wenn ich Informationen erhalte, gebe ich sie weiter."

Doch nicht jeder Helfer hat ein so breites Kreuz wie der ehemalige Soldat. In Lauingen seien nur noch zehn Aktive übrig, sagt Sonja Thomas. Mehr als die Hälfte ist inzwischen abgesprungen. "Wir müssen aufpassen, dass nicht noch mehr aufhören", sagt sie und betont, dass eigentlich viel mehr Integrationsarbeit nötig wäre. "Viele Flüchtlinge werden überhaupt nicht betreut." Dabei würden durch die Tätigkeit neue Freundschaften entstehen. "Helfen macht Freude", sagt Thomas. "Es gibt Sinn." Aber, und da spricht die Lauingerin für viele andere Ehrenamtliche in Bayern: Es kann auch "sehr frustrierend" sein.

© SZ vom 15.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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