Asylpolitik:Flüchtlingshelfer fühlen sich im Stich gelassen

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Treffen vor der Gautinger Unterkunft: die ehrenamtliche Helferin und Koordinatorin Claudia von Maltitz und Andrea Betz (rechts) von der Inneren Mission. (Foto: Arlet Ulfers)

Freiwillige übernehmen noch immer zu viele Aufgaben, die vom Staat nicht ausreichend finanziert werden. Obendrein wurde der Personalschlüssel der hauptamtlichen Helfer gekürzt.

Interview von Carolin Fries, Starnberg

Die Aufregung war groß, als kurz vor Weihnachten bekannt wurde, dass der Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch" die Trägerschaft der Flüchtlingsberatung im Landkreis Starnberg abgeben würde. Kurzfristig hat Mitte Januar die Innere Mission München die hauptamtliche Beratung übernommen, in der vergangenen Woche fand ein erstes Treffen mit den ehrenamtlichen Helfern aus den Gemeinden statt. Insgesamt leben etwa 1500 Geflüchtete in 14 Unterkünften im Landkreis. Im Gespräch machen Andrea Betz, die die Abteilung Flüchtlinge, Migration und Integration der Inneren Mission in München leitet, und Helferkreis-Koordinatorin Claudia von Maltitz aus Krailling klar, was sie sich von der Zusammenarbeit erwarten.

SZ: Wie war das erste Kennenlernen?

Andrea Betz: Es gab einen regen, offenen Austausch. Sehr informativ. Es war wichtig, sich gegenseitig kennenzulernen. Extrem faszinierend war für mich aber, wie groß hier im Landkreis das Engagement der Ehrenamtlichen ist und wie gut strukturiert mit Koordinatorinnen und Ansprechpartnern. Das ist ein eindeutiges Signal aus der Gesellschaft für Solidarität und Nächstenliebe.

Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich denn aktuell?

Claudia von Maltitz: Das ist von Unterkunft zu Unterkunft verschieden, ich habe da keine genauen Zahlen. Aus Gauting ist zu berichten, dass es bei den vielen Ehrenamtlichen, die 2013 angefangen haben, sich um Geflüchtete zu kümmern, Ermüdungserscheinungen gibt und Helfer auch abgesprungen sind. Wobei das nicht unbedingt heißt, dass sich diese Helfer nicht mehr engagieren. Insbesondere sind viele Patenschaften entstanden, in denen sich Einzelne um einen bestimmten Flüchtling kümmern. Zwischen Freundschaft und dem Willen zu helfen ist oftmals gar nicht mehr zu unterscheiden. Unsere monatlichen Treffen sind deshalb nicht repräsentativ für das tatsächliche Engagement in der Gemeinde. Sicherlich gibt es weniger Helfer als anfangs, jedoch besteht in den meisten Helferkreisen ein stabiler Kern.

Gab es Sorgen bei den Helfern, als sich "Hilfe von Mensch zu Mensch" aus finanziellen Gründen als Träger zurückzog?

Claudia von Maltitz: Das war eine Irritation, weil flächendeckend zu befürchten war, dass die hauptamtliche Betreuung wegfällt. Diese Sorge haben wir auch umgehend dem Landratsamt mitgeteilt und darauf beharrt, dass keine Lücke entstehen darf. In den Unterkünften ist die Flüchtlingsberatung von hauptamtlicher Seite unerlässlich. Wir sind daher sehr froh, dass die Innere Mission diese Aufgabe übernommen hat.

SZ: Wie funktioniert die Aufteilung der Arbeit zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern?

Andrea Betz: Wir haben uns darauf verständigt, das in den Unterkünften mit den Ehrenamtlichen vor Ort zu besprechen. Das hängt vom Hilfebedarf der Menschen ab. Unser Ziel ist es, eine gute Struktur aufzubauen, regelmäßig vor Ort und damit ansprechbar zu sein. Wie das aussehen wird, wird sich hausspezifisch zeigen.

Claudia von Maltitz: Die Aufgaben und Herausforderungen in den einzelnen Unterkünften sind ganz verschieden. In Häusern, in denen beispielsweise viele neue Ankömmlinge untergebracht sind, gibt es andere Dinge zu tun als in solchen, in denen mehrheitlich endgültig abgelehnte Asylbewerber leben. Auch die Beratungszeiten gilt es daher flexibel zu halten. In Häusern, in denen viele Bewohner tagsüber arbeiten gehen, macht eine solche am Vormittag keinen Sinn. Hier ist es besser, Sprechstunden auch abends anzubieten. Unterm Strich aber wenden sich die Geflüchteten - zeitlich bedingt - meist zunächst an Ehrenamtliche, weshalb es für uns der regelmäßige Austausch mit den hauptamtlichen Beratern besonders wichtig ist.

Wie wichtig ist es, dass hauptamtliche Helfer in den Unterkünften sind? "Hilfe von Mensch zu Mensch" hatte sich zuletzt aufgrund des gekürzten Personalschlüssels auf wenige Beratungsbüros im Landkreis beschränkt.

Claudia von Maltitz: Wir begrüßen es, dass die Innere Mission in den Unterkünften arbeiten will und keine zentralen Beratungsstellen einrichtet. Nur wer die konkrete Situation der Geflüchteten, deren individuelle Probleme und Bedürfnisse kennt, wird ein Gespür für diese Menschen bekommen und in der Lage sein, ein für die Integration und den Erfolg der Hilfe so wichtiges Vertrauensverhältnis aufzubauen. Auch die Verbindung zur Außenwelt ist für viele Geflüchtete nicht immer einfach und mit einer Vielzahl an Unwägbarkeiten verbunden. Wer glaubt, es reiche aus, ein Angebot zu schaffen, das lediglich "abgeholt" werden muss, verkennt schlicht die praktischen Voraussetzungen erfolgreicher Hilfe.

Andrea Betz: Für uns ist es in der Flüchtlingsberatung ein Standard, dass wir in den Unterkünften sind. Wir wollen alle Menschen erreichen, auch jene, die nicht in der Lage sind, ein Büro aufzusuchen.

Inwieweit sind Sie als hauptamtliche Helfer auch für die Betreuung der Ehrenamtlichen da?

Andrea Betz: Betreuung ist der falsche Ausdruck. Das Zusammenspiel aller Beteiligter ist wichtig.

Claudia von Maltitz: Die gemeinsame Arbeit auf Augenhöhe ist tatsächlich ein neuralgischer Punkt, auf den wir Ehrenamtlichen großen Wert legen. Ehrenamtliche, die einige Jahre in der Flüchtlingshilfe arbeiten, haben sich wertvolle Kompetenzen an der Basis erworben, die es zu würdigen gilt. Diese Auffassung teilen wir mit der neuen Flüchtlingsberatung und sind froh, mit der Inneren Mission einen erfahrenen Wohlfahrtsverband mit einer guten Infrastruktur an unserer Seite zu haben.

Bleibt die Personalproblematik: Mit Inkrafttreten der Bayerischen Integrationsrichtlinie (BIR) Anfang 2018 ist ein Betreuer für 250 Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften zuständig.

Andrea Betz: Davon gehen noch die Wegezeiten weg, die das Personal auf den Straßen unterwegs ist. Obendrein sollen laut Richtlinie in dieser Zeit auch die anerkannten Geflüchteten, die in eigenem Wohnraum leben, betreut werden. Formal hat der Landkreis 8,14 Stellen für die Flüchtlingsberatung, eine Stelle davon hat eine Mitarbeiterin des Landratsamtes, 7,14 Stellen besetzt die Innere Mission.

Wie viele anerkannte Flüchtlinge, die aus den Unterkünften ausgezogen sind, gibt es im Landkreis?

Claudia von Maltitz: Erfahrungsgemäß finden leider nur sehr wenige anerkannte Flüchtlinge eine Mietwohnung auf dem freien Markt. Die Unterstützung der Anerkannten ist aktuell wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit, weil unglaublich viel Bürokratie anfällt. Zu unserem Erstaunen und teils auch zu unserer Erheiterung hat uns das Jobcenter bereits Schulungen für Flüchtlingshelfer angeboten, um ihre oftmals auch für Muttersprachler nicht immer einfach zu verstehenden Formulare sachgerecht ausfüllen zu können. Wie sollen Geflüchtete das alleine schaffen? Um es klar auf den Punkt zu bringen: Die meisten von uns Flüchtlingshelfern sind angetreten, geflüchtete Menschen bei ihrem Zurechtkommen und ihrer Integration zu unterstützen. Wir wollen sie in die Mitte der Gesellschaft nehmen. Anstatt uns ganz dieser Aufgabe zu widmen, beschäftigen wir uns leider zu oft mit dem Ausfüllen von Anträgen und der Auseinandersetzung mit der Bürokratie. Dies entspricht nicht unserem Verständnis von ehrenamtlicher Arbeit, die die staatliche Hilfsstruktur doch lediglich ergänzen, nicht ersetzen sollte. Insofern ist es unsere Hoffnung, dass diese Dinge in Zukunft wieder von der hauptamtlichen Beratung übernommen werden.

Andrea Betz: Hier erfüllen Ehrenamtliche Aufgaben, die von staatlicher Seite nicht ausreichend finanziert sind. Das Problem ist, dass die Richtlinie für die Förderung der sozialen Beratung, Betreuung und Integration von Menschen mit Migrationshintergrund die Personal- und Sachkosten nicht ausreichend finanziert. Ganz abgesehen davon, dass die Zusage stets nur für ein Jahr gilt. Es braucht eine Regelförderung. Dann könnten wir als Träger unser Personal auch unbefristet anstellen.

Claudia von Maltitz: Dieser Zustand der Flüchtlingsberatung ist langfristig unhaltbar, da alle Beteiligten zu stark belastet werden. Eine lediglich zweitägige hauptamtliche Betreuung von etwa 85 Geflüchteten in der Ammerseestraße Gauting etwa, ist definitiv zu wenig. Und auch Ehrenamtliche werden die Insuffizienz des staatlichen Angebots langfristig nicht kompensieren können.

Sind denn inzwischen alle Unterkünfte im Landkreis mit Beratern besetzt?

Andrea Betz: In Starnberg haben wir im Januar begonnen und Berg und Pöcking mitbetreut. Seit Mitte Februar sind wir in Gauting, Krailling, Seefeld und Weßling. Inning und Andechs fehlen noch, aber wir sind optimistisch, auch diese Unterkünfte bald besetzen zu können. Bis dahin stehen verstärkt Fachkräfte in Starnberg bereit.

Die Gemeinde Berg hat jüngst auf Drängen des örtlichen Helferkreises selbst Geld in die Hand genommen, um die Haupt- und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsberatung zu unterstützen. Ist das die Lösung?

Claudia von Maltitz: Es ist tatsächlich für die konkrete Hilfsleistung eine große Entlastung, wenn von der Gemeinde zusätzliche finanzielle Mittel für solche Zwecke bereitgestellt werden. Letztendlich ist zu befürchten, dass die Bereitstellung kommunaler Mittel längerfristig kein Mehr an Betreuung absichert, sondern eine Verlagerung der Finanzierung auf die Ebene der Gemeinden mit sich bringt. Nicht alle Kommunen sind in der finanziellen Lage, solche Mittel aufzubringen, so dass ein bedenkliches Betreuungsgefälle zwischen den Gemeinden zu befürchten ist. Es gilt sicherzustellen, dass kommunale Zusatzleistungen nicht dazu führen, dass sich die Regierung aus der Verantwortung zieht, ausreichende Hilfsangebote und Stellen zur Verfügung zu stellen.

Wie sieht es mit der Zusammenarbeit mit dem Landratsamt aus? In der Vergangenheit gab es immer wieder Differenzen mit der Ausländerbehörde bezüglich der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber.

Claudia von Maltitz: Die restriktive Haltung der Behörde bei der Vergabe von Arbeitserlaubnissen ist nach wie vor ein großes Problem, vor allem für die betroffenen Menschen, dene n die Integration damit erschwert wird. Es ist nicht zu tolerieren, dass Frustration über fehlende Arbeitsmöglichkeiten viele Geflüchtete letztendlich in die Isolation zwingt, was nicht selten mit psychischen Problemen verbunden ist. Paradoxerweise entsteht in der Gemeinde oftmals zudem das falsche Bild, Geflüchtete wollten sich nicht integrieren und am Arbeitsleben teilhaben. Viele denken daher, Geflüchtete wären faul und würden sich nur an der Staatskasse bereichern wollen. Die restriktive Politik bezüglich der Vergabe von Arbeitserlaubnissen führt demnach unmittelbar zu Ressentiments und sozialer Spaltung in den Gemeinden.

Andrea Betz: Arbeit zu haben und für sich selbst sorgen zu können, ist einfach sehr wichtig. Außerdem geht es darum, beitragen zu können. Ist das nicht gewollt, frustriert und stresst das. Wir betreuen ja bereits knapp 4500 Flüchtlinge in der Landeshauptstadt und im Landkreis München, und ich würde mir deshalb wünschen, dass auch im Landkreis Starnberg die Spielräume, die die Ausländerbehörde hat, im Sinne der Menschen genutzt werden.

Jüngst hat Bundesinnenminister Horst Seehofer angekündigt, diejenigen Asylhelfer bestrafen zu wollen, die Abschiebungen verhindern. Was sagen Sie zu diesen Plänen?

Claudia von Maltitz: Wir sind der festen Überzeugung, dass ein rechtstaatliches System grundlegende Hilfsleistungen an Bedürftigen nicht unter Strafe stellen darf. Hierzu gehört auch der verwaltungsgerichtliche Instanzenzug, um ein faires Asylverfahren zu ermöglichen. Eine Kriminalisierung der Aufklärung über jene Rechte, die den Kernbereich des Asylrechts darstellen, darf einfach nicht erfolgen. Falls die Pläne Horst Seehofers die Kriminalisierung solcher Aufklärung beinhalten, bedeutet dies einen eklatanten Verstoß gegen unsere demokratischen Grundwerte. Wir hoffen ernstlich, dass solche Ideen nicht umgesetzt werden und gegebenenfalls an der verfassungsgerichtlichen Kontrolle scheitern. Bereits das Andenken solcher populistischen Maßnahmen schürt Vorbehalte gegen ehrenamtliche Hilfe in der Bevölkerung und unterwandert daher einen ganz wesentlichen Eckpfeiler unseres Hilfssystems.

Andrea Betz: Aus unserer christlichen Haltung heraus, stehen wir an der Seite der Menschen. Sind alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft, weisen wir sie in der Beratung auch darauf hin, dass sie aus Deutschland ausreisen müssen. Die scharfen Aussagen von Herrn Seehofer tragen leider nicht zum gesellschaftlichen Frieden bei, sondern spalten erneut.

© SZ vom 25.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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