Wirtschaft in der Krise:Wenn "sofort" recht lange dauert

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Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger will Anträge prüfen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Corona-Hilfe der Staatsregierung lässt bei einigen Unternehmern auf sich warten. Das erregt Unmut, auch über die Formalitäten. Künstler und Solo-Selbständige fühlen sich allein gelassen.

Von Maximilian Gerl, München

Zuerst erinnert Hubert Aiwanger (FW) am Donnerstag daran, was er alles in Gang gesetzt hat. Der Wirtschaftsausschuss des Landtags berät über die Corona-Krise, der Wirtschaftsminister soll über den Stand der Dinge informieren - auch über die "Soforthilfe", die Betriebe vor der Corona-bedingten Pleite retten soll und mit der man "am 17. März losmarschiert" sei, wie es Aiwanger nennt: als erstes Bundesland, noch vor dem Bund. Die Umsetzung habe organisatorisch "massiv herausgefordert". Nun habe man rund 250 000 Anträge bearbeitet, davon 50 000 abgelehnt und an die übrigen insgesamt 1,5 Milliarden Euro ausbezahlt. Damit hätten die meisten der 300 000 Antragsteller Geld erhalten. Zwischen 15. und 25. Mai werde die Bearbeitung weitgehend abgeschlossen, das meiste "über die Bühne sein".

Ein Ende in Sicht? Viele Unternehmer in Bayern werden das erst glauben, wenn sie das Geld auf ihrem Konto sehen. Sie wirken zunehmend verzweifelt, klagen und schimpfen über die Soforthilfe, im Netz, in offenen Briefen, am Telefon. Etliche warten seit Wochen auf eine Hilfe, die ihnen "sofort" versprochen war. Andere haben eine Ablehnung erhalten oder müssen damit rechnen, leer auszugehen. Der Frust wächst. Und die Kommunikation, die dem eigentlich entgegenwirken sollte, ist nur ein, aber vielleicht das größte Problem.

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Aiwanger kennt den Frust, davon darf man ausgehen, schließlich wird seit jenem 17. März viel über die Soforthilfe gestritten. Vor dem Ausschuss spricht Aiwanger ein paar Aspekte an. "Hätten wir nicht noch schneller auszahlen sollen?", fragt er und antwortet selbst: Nein, man müsse die Anträge auf Plausibilität prüfen, um Betrügern Vorschub zu leisten, das dauere. Auch auf die Kritik von Solo-Selbständigen geht er ein. Sie fürchten, außen vor zu bleiben und Hartz IV beantragen zu müssen. Eine Erweiterung der Soforthilfe könne man gern diskutieren, sagt Aiwanger und zeigt sich zugleich skeptisch, ob das sinnvoll sei: Der Bund freue sich, "wenn wir ihm die Grundsicherung abnehmen". Und: "Die Grundsicherung deckt mehr ab, als wir abdecken."

Die Politik, in München wie in Berlin, hatte anfangs breit darum geworben, auch ja schnell die Soforthilfe zu beantragen. Doch wenn sie weder sofort kommt noch wirklich hilft, was bleibt dann übrig? Entsprechend "ernüchternd" nennt der Bund der Selbständigen in Bayern das Ergebnis. Regelmäßig fragt er bei seinen Mitgliedern nach, doch bislang gibt ein Großteil von ihnen an, nur eine Eingangsbestätigung auf ihren Antrag erhalten zu haben. Wenn überhaupt. "Politiker müssen sich an ihren Worten messen lassen", sagt Verbandssprecher Thomas Perzl.

Dabei bescheinigen auch Kritiker der Soforthilfe, dass sie im Grundsatz gar nicht so schlecht ist. Wer schon Geld bekommen hat, darf hoffen, es über die kommenden, womöglich vorentscheidenden Wochen zu schaffen. Auch sind für Betroffene höhere Summen drin, seit das Landesprogramm mit dem des Bundes verschränkt wurde. Die Hilfe lässt sich sogar relativ unkompliziert über ein Online-Formular beantragen, das ist nicht selbstverständlich. Und die Bezirksregierungen und die Stadt München haben zur Bearbeitung der Anträge Hunderte Mitarbeiter abgestellt. Die steigende Zahl abgearbeiteter Anträge deutet darauf hin, dass sich das Prozedere einspielt.

Das Programm wurde notgedrungen hastig gestartet, Anlaufschwierigkeiten sind da normal. Trotzdem ist bis heute nicht ganz klar, warum die Bearbeitung der Anträge so lange dauert. Das Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass viele Anträge unvollständig oder unleserlich ausgefüllt worden seien. Sogar bei den online eingereichten Anträgen liegt die "Fehlerquote" demnach bei 20 Prozent. Bei den "allermeisten Antragstellern", die seit längerer Zeit auf Zusage warteten, seien "Rückfragen von der zuständigen Behörde nötig", auch um einen Missbrauch der Hilfen auszuschließen. Außerhalb des Ministeriums sieht man hingegen ein großes Problem darin, dass Richtlinien ungenau formuliert oder mehrmals geändert wurden. Das habe Mehranträge nach sich gezogen - und unnötige Mehrarbeit.

Am grundsätzlichen Dilemma ändert weder die eine noch die andere Erklärung etwas. Die Erwartung wurde geweckt, aber in vielen Fällen nicht befriedigt. Dabei hatten Wirtschaftsvertreter, Opposition und Gewerkschaften wiederholt angemahnt, dass die Soforthilfe denen zu wenig helfe, die sie mangels Alternativen am meisten bräuchten: kleine Betriebe und Solo-Selbständige. Doch vor allem Letztere - ob Musikerin, Grafiker, Webentwicklerin oder Kameramann - können die Förderbedingungen oft nicht erfüllen. Mal können sie nicht die notwendige Betriebsstätte vorweisen, weil sie von daheim aus arbeiten, mal können sie einen Liquiditätsengpass nicht ausreichend belegen. Ihnen hätte es mehr geholfen, zielte die Hilfe auf unmittelbare Einkommensverluste ab.

Von außen scheint die Lage derzeit seltsam festgefahren zu sein, obwohl sie sich eigentlich ständig ändert. Existenzängste nehmen zu, und damit der Frust. Künstler verweisen auf ihre Nöte - und bekommen zu hören, dass es für sie demnächst ein eigene "Soforthilfe" geben wird, die aber wieder nicht allen hilft. Umgekehrt bittet Aiwanger, Anträge korrekt und nicht auf dem eigenen Briefpapier auszufüllen - was viele Unternehmer so verstehen, dass sie zu blöd sein sollen, einen zweiseitigen Antrag auszufüllen.

Nicht nur der Bund der Selbständigen beobachtet deshalb, dass "die Stimmung unter den Unternehmern kippt". Betroffene formulieren das drastischer. Wo Hilfe fehlt, füllt Spekulation den Raum. Ein Selbständiger sagt am Telefon: "Wahrscheinlich ist es politisch gar nicht gewollt, uns zu helfen." Ein Künstler vermutet: "Die haben uns vergessen und jetzt geht ihnen das Geld aus." Ein Geschäftsführer berichtet vom Kampf um Hilfen und Kredite, dann schiebt er hinterher, dass ihm Geschäftsführer-Kollegen erzählt hätten, künftig die AfD zu wählen. Nicht aus Überzeugung, nicht, weil sie etwas gegen Europa und den Euro hätten, sondern aus Protest.

Ebenfalls am Donnerstag beziehen Ministerpräsident Markus Söder und Staatskanzleichef Florian Herrmann (beide CSU) zur Soforthilfe Stellung, im Radiosender Bayern 1 beantworten sie Fragen von Radiohörern. Beide äußern Verständnis für die Beschwerden, "es heißt ja Soforthilfen und nicht Irgendwann-Hilfen", sagt Herrmann. Wer hier auf Antwort warte, melde ihm das bitte, er werde diese sammeln und an den Wirtschaftsminister weiterreichen. Söder sagt: "Das geht eindeutig zu langsam." Nüchterner kann man Frust kaum formulieren.

© SZ vom 08.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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