Neunburg vorm Wald:Freiwillige vor

Lesezeit: 4 min

Die Neunburger Wiesn fand vorerst zum letzten Mal 2019 statt. (Foto: A. Jonas)

Erst mussten sie in Neunburg wegen Corona ihr Fest absagen, jetzt fehlen die Helfer, um es auf die Beine zu stellen. Ehrenamtliche werden auch im Katastrophenschutz dringend gebraucht. Für manche Organisationen hatte die Pandemie aber auch etwas Gutes.

Von Nina von Hardenberg und Lisa Schnell, Neunburg vorm Wald

Eigentlich war ja schon alles fertig, sagt Georg Schmid, 67, am Telefon und legt den Hörer zur Seite. Man hört ihn Rascheln in seiner Wohnung in Neunburg, wo er Stadtrat ist und seit 30 Jahren die Feuerwehr leitet. Jetzt hat er es. Einen Schnellhefter, ziemlich dick, Aufschrift: "Neunburger Wiesn 2023". Schmid liest vor: Am 18. Mai sollte die Stadtkapelle die "Wiesn" eröffnen - Schießbude, Autoscooter, Prost. Der ganz normale Volksfestspaß, am Samstag hätten die Rotzlöffel gespielt und am Sonntag die Kinder gestaunt über die Modenschau. Die Handballer hätten die Drinks gemixt, die Fußballer das Bier ausgeschenkt und sie von der Feuerwehr Kaffee und Kuchen verkauft, natürlich selbst gebacken. Mit etwa tausend Besucher pro Tag hatten sie gerechnet.

Jetzt aber wird vom 18. bis zum 21. Mai gar nichts los sein am Volksfestplatz im oberpfälzischen Neunburg vorm Wald. Keine Rotzlöffel, kein Bier, kein Kinderlachen. "Es ist uns allen schwergefallen", sagt Georg Schmid, aber es sei nun mal nicht zu ändern. Denn: Wer würde beim Abspülen helfen, wer beim Schweinshaxe ausgeben und wer beim Aufräumen? Hundert Vereine hatten sie angeschrieben, ob sie mit anpacken, zehn haben geantwortet, am Ende waren nur noch vier übrig. Viel zu wenig, sagt Schmid.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Und auch woran es aus seiner Sicht liegt, dass sie die Leute dieses Jahr so schwer zum Anpacken motivieren konnten: "Der Stillstand durch Corona." Fast drei Jahre gab es so gut wie kein Vereinsleben. Und wer drei Jahre nicht zum Fußball geht oder in den Chor, der denke sich jetzt: "Des geht ja so ah." Dass ihnen in Scharen die Mitglieder davonliefen, so sei es nicht. Die Aktiven aber, die die Hand heben, wenn's darum geht auszuhelfen, die seien weniger geworden. Und: Die Vereine konzentrierten sich gerade eher auf sich selbst, um ihre eigenen Strukturen wieder zum Laufen zu bringen, die Bindung zu den Mitgliedern zu stärken. Da bliebe keine Zeit.

Es ist schon verrückt: Erst durften sie ihre "Wiesn" nicht feiern in Neunburg, weil die Corona-Maßnahmen es nicht erlaubten, und jetzt können sie nicht feiern, weil es durch die lange Corona-Pause zu wenig Freiwillige gibt. Aber es geht ja nicht nur um Volksfeste. Es geht auch um Freiwillige, die Krankenwagen fahren, Schwimmkurse geben, einsame Menschen in Heimen besuchen oder Zelte für Flüchtlinge aufstellen. Viele Vereine hatten zuletzt Mühe, genügend ehrenamtliche Helfer für all diese Aufgaben zu finden.

Die Folgen von Corona spüren manche Organisationen gleich doppelt. Der Arbeiter-Samariter-Bund etwa konnte in der Pandemie zahlreiche Dienste - vom Besuch im Pflegeheim bis zum Sanitäter-Zelt beim Rockkonzert - nicht mehr anbieten. Manch einer der Helfer suchte sich da eine neue Aufgabe. In München seien ihnen von den etwa 400 Ehrenamtlern, die sich dort in Sanitätsdiensten und für den Bevölkerungsschutz engagieren, 100 verloren gegangen, berichtet etwa Tobias Gocke, Abteilungsleiter Sanitätsdienste. Es gelänge auch nur mühsam, die Menschen zurückzugewinnen. Gleichzeitig aber wollten jetzt alle ihre Feste und Konzerte nachholen. Die Veranstalter suchten dafür händeringend ihre Unterstützung. Seine Organisation nehme aber nur sehr vorsichtig neue Aufträge an. "Die Arbeit liegt gerade auf weniger Schultern", sagt Gocke.

Auch die Sportvereine hatten Schwierigkeiten, in der Pandemie liefen ihnen Tausende Mitglieder davon. (Foto: Johannes Simon)

Besser ging es da dem Technischen Hilfswerk (THW), das auch im Lockdown weiter viele Einsätze fahren durfte und musste. Das habe die Helfer an das THW gebunden und sogar den Zusammenhang gestärkt. Den Sportvereinen wiederum liefen Tausende Mitglieder davon. Inzwischen haben sich die Mitgliederzahlen aber erholt.

Und dann gibt es die Organisationen, die in der Krise sogar Mitglieder gewannen. Im vergangenen Jahr seien 13 000 aktive Ehrenamtliche dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) beigetreten, so viele wie noch nie, berichtet dessen Pressesprecher. Insgesamt engagieren sich dort bayernweit 200 000 Menschen. Der BRK profitierte von der durch Corona ausgelösten Welle der Hilfsbereitschaft. Menschen gingen für ihre völlig fremden Nachbarn einkaufen. Und mehr als 4000 aktive oder ehemalige Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen trugen sich freiwillig im Pflegepool Bayern ein, um die überlasteten Heime und Kliniken zu unterstützen. Formal waren auch diese Menschen Mitglieder des BRK, unter dessen Dach der Pflegepool aufgehängt war.

Corona hat sich also unterschiedlich auf die Vereine ausgewirkt. Nachwuchs-Sorgen aber kennen sie alle. Denn die Bereitschaft, sich langfristig an eine Organisation zu binden, nimmt ab. "Die Menschen engagieren sich heute nicht weniger, im Gegenteil, aber die Mitarbeit ist individueller und situativer geworden", sagt Birthe Tahmaz vom Stifterverband, der regelmäßig das Engagement der Deutschen erfragt. Es finden sich also Freiwillige, die spontan für ankommende Ukrainer am Hauptbahnhof Suppe kochen. Für den Vereinsvorsitz aber suche man mitunter lange.

Das Ehrenamt ist für viele Bereiche in der Gesellschaft wichtig - etwa bei den Rettungsdiensten, die Hundestaffeln betreuen oder Krankenwagen fahren. (Foto: Florian Peljak)

Für die sieben Hilfs- und Einsatzorganisationen in Bayern, die sich im Bevölkerungsschutz engagieren, ist das ein Problem. Sie investieren in die Ausbildung ihrer Helfer, die dann als Sanitäter im Krankenwagen Einsätze fahren oder Festivals betreuen, bei Hundestaffeln nach Vermissten suchen oder im Hospizdienst Menschen am Lebensende begleiten. Sie brauchen dafür Menschen, die ein paar Jahre dabeibleiben. Früher rekrutierten die Hilfsdienste viele Freiwillige aus dem Pool der Zivildienstleistenden. Heute müssen sie viel aktiver für sich werben. Im Herbst etwa starteten sie gemeinsam mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eine Plakatkampagne. Ob alt oder jung, jeder einzelne könne mitmachen, jeder werde gebraucht, so die Message.

Zurück nach Neunburg vorm Wald und zu Georg Schmid, der gerade von früher erzählt, Anfang der Zweitausender, was sie da alles auf die Beine gestellt hätten. Die Beach-Partys etwa im Freibad. Ameno Signum, die Feuerspucker vom Mittelalter-Verein, kümmerten sich passenderweise um den Grill, sie von der Feuerwehr bauten für die Kinder einen Kletterpark auf. Bis zu 7000 Leute hätten die Vereine mit der Stadt da verköstigt und bespaßt. Früher.

Jetzt packt er erst mal seinen Schnellhefter weg. Aber er will ihn wieder rausholen nächstes Jahr zur "Wiesn 2024". Bis dahin hätten sich die Vereine hoffentlich erholt, sagt Schmid. Er wird dann wieder seinen Brief schreiben und fragen, wer mithelfen könne. Und vielleicht, so hofft er, melden sich von hundert Vereinen dann doch wieder mehr als nur vier.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusLandespolitik
:Bayerns Grüne ringen um die Migration

Auch im Landesverband werden angesichts der überforderten Kommunen die Stimmen lauter, die eine Umkehr in der Flüchtlingspolitik verlangen. Bei vielen stößt das auf harsche Ablehnung. Noch?

Von Andreas Glas und Johann Osel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: