Geschichte in Bayern:Aufs Knie!

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Die Demutsgeste war vor geistlichen Herren lange Zeit üblich. Doch sie hat stets auch eine hochpolitische Bedeutung.

Von Hans Kratzer, München

In so mancher Pfarrei haben Kinder noch in der Nachkriegszeit vor dem Pfarrer eine Kniebeuge machen müssen, wenn sie ihm auf der Straße begegneten. Auch in der Kuratie Neufraunhofen in Niederbayern wurde dieser Brauch praktiziert, wie sich Therese S. erinnert, die dort aufgewachsen ist: "Wenn wir dem Herrn Kuratbenefiziaten Neumeier auf der Straße begegnet sind, dann haben wir ihm die Hand gegeben, uns niedergekniet und dann haben wir Gelobt sei Jesus Christus gesagt." Und wenn man dem Pfarrer mehrmals am Tag über den Weg lief? "Wir haben das bei jeder Begegnung aufs Neue gemacht, als Kinder haben wir uns dabei nichts gedacht." Nur wenn der Herr Pfarrer ein Wirtshaus besuchte, dann brauchten die Kinder dieser Pflicht nicht nachzukommen. Aber da ging es ja auch ums Schafkopfen und nicht um die Religion.

Dann aber änderten sich die Zeiten, spätestens nach den Neuerungen des Vatikanischen Konzils (1962-1965) geriet der Brauch des Niederkniens langsam ins Abseits. Tobias Appl, Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz, weiß ebenfalls noch, dass die Mädchen einst, sich bekreuzigend, vor dem Pfarrer eine Verbeugung machten, die Buben jedoch eine Kniebeuge. Nach dem Konzil empfanden viele Pfarrer diese Praxis als nicht mehr zeitgemäß. Der Pensionär Sigurd Gall wurde als junger Volksschullehrer nach Biburg (bei Abensberg) versetzt, wo er von 1958 bis 1962 nicht nur das Niederknien als gängige Praxis erlebte, sondern auch das Küssen des Rings des Geistlichen. Bis diese Geste dem Pfarrer nach Galls Erinnerung zuwider wurde und er sie schließlich ablehnte. Überdies sei seinerzeit in der Priesterschaft eine liturgische Bewegung erwacht, die Bescheidenheit forderte und diesen überbordenden Klerikalismus ablehnte, wie Appl sagt.

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Ein Blick auf die Gegenwart zeigt indessen, dass die Praxis des Niederkniens nichts von seiner Brisanz eingebüßt hat, mag auch die Demutsgeste der Kinder vor dem Pfarrer längst Vergangenheit sein. Nicht nur im Gottesdienst hat das Niederknien nach wie vor eine Bedeutung, sondern auch in der Politik (Brandts Kniefall in Warschau 1970), im Sport (Proteste von US-Footballern gegen Diskriminierung), im weltlichen bayerischen Brauchtum (Scheitelknien) und sogar als Ertüchtigungsübung. Bundeskanzlerin Angela Merkel empfahl vor Kurzem Schülerinnen und Schülern, in gelüfteten Klassenzimmern "auch mal eine kleine Kniebeuge zu machen", um in der Kälte ein bisschen warm zu werden. Das ist zuträglicher als die bestrafende Variante, die es durchaus auch gab. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war das Knien auf einem Holzscheitl in Schulen eine Form der Kinderbestrafung.

Zweifellos ist das Niederknien eine mühsame Prozedur, die nur jenen Menschen leichtfällt, deren Gelenke noch jung und geschmeidig sind. Als Demutsgeste ist das Niederknien zwar seit Urzeiten bekannt, aber es brachte nicht immer den erwarteten Segen mit sich, sondern auch viel Verdruss, wie das folgende Beispiel belegt.

Im Königreich Bayern hat der Brauch des Niederkniens sogar eine Staatskrise ausgelöst. Vor genau 175 Jahren, im Dezember 1845, musste König Ludwig I. den sogenannten Kniebeugeerlass zurücknehmen, den er einige Jahre vorher befohlen hatte. Der Erlass verpflichtete auch die protestantischen Soldaten, etwa bei der Fronleichnamsprozession, zur Kniebeuge vor dem Allerheiligsten. Bis 1803 war dieser Kniefall im überwiegend katholischen Bayern allgemein üblich. Nachdem 1806 protestantische Gebiete in Franken nach Bayern eingegliedert worden waren, wurde die Vorgabe abgeschafft. Ludwig I., der mit dem Protestantismus fremdelte, führt sie später aber wieder ein. Nun hieß es auch für Protestanten abermals: aufs Knie!

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Diese Zwangsmaßnahme löste in der Bevölkerung Empörung und Proteste aus. Die Ingolstädter Protestanten weigerten sich gar, ihre neue Kirche, wie es geplant war, nach dem König zu benennen. Aber selbst nach der Aufhebung des Kniebeugeerlasses blieb die Stimmung gereizt. Wütende Protestanten in der Rheinpfalz, in Franken und Schwaben forderten während der Märzrevolution 1848 die Trennung von Bayern. Noch 1892 teilte das Protestantische Oberkonsistorium dem Innenministerium mit, Protestanten möchten "zur Spalierbildung bei der Fronleichnamsprozession nicht kommandiert werden".

Bei aller Tragik lieferte dieses Thema manchmal aber auch Anlässe zur Heiterkeit. Als von einem Kniefall unglücklich Betroffener gab sich Hans Niedermayer, der frühere Leiter des Domgymnasiums Freising, in seinem Erinnerungsbuch "Der Pfarrerlehrbub" zu erkennen. Im Sommer 1949 verbrachte der Missionsbischof Berthold Brühl seinen Heimaturlaub bei seinen ehemaligen Mitbrüdern in Landshut. Auch dem Knaben Niedermayer wurde nahegelegt, er müsse vor dem Bischof, wenn er ihm begegne, eine Kniebeuge machen und seinen Ring küssen. Alsbald feierte der Bischof in der Dominikanerkirche einen Gottesdienst, bei dem der ehrfürchtige Bub zum Ministrantendienst eingeteilt war. "Plötzlich stand der Bischof vor mir", erinnert sich Niedermayer. Er erschrak dermaßen, dass "ich ihm mehr vor die Füße fiel, als dass ich mich hinkniete. Ob es zu einem Ringkuss kam, weiß ich nicht mehr". Der Würdenträger half dem armen Buben auf, "gab sich leutselig und wir gingen zusammen in die Sakristei".

© SZ vom 16.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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