Kunstgeschichte:Unser Bild von der weißen Weihnacht

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Weiße Weihnacht herrscht auf Josef Madleners Bildern. (Foto: MEWO Kunsthalle/Stadt Memmingen)

In der kollektiven Erinnerung liegt an Weihnachten Schnee - auch, wenn die Statistik nicht unbedingt dafür spricht. Das könnte zumindest teilweise mit den Werken des Memminger Malers Josef Madlener zu tun haben.

Von Matthias Köpf

Irgendwo leuchtet es immer hell und warm aus dem dämmrigen, blaukalten Weiß. Aus einer offenen Kirchtür etwa, oder aus dem Fester eines kleinen, einfachen Bauernhauses. Die Landschaft drumherum ist tief verschneit, selbst wenn Maria, Josef und das Jesuskind gerade auf Herbergssuche sind. Das sind sie oft auf den Bildern von Josef Madlener, und immer sieht dieses biblische Bethlehem der Weihnachtsgeschichte dann aus, als ob es gar nicht so weit entfernt irgendwo im bayerischen Alpenvorland läge. Meistens liegt es mitten im Allgäu. Denn die Memminger kennen ihren Madlener, und wenn sie sich auch noch ein bisschen in der näheren Umgebung auskennen, dann lassen sich sein Bethlehem oder einzelne, immer neu kombinierte Teile davon noch heute wiederfinden in den Dörfern und Weilern Richtung Berge.

Die Weihnacht ist weiß auf diesen Bildern, sie ist es auch in der kollektiven Erinnerung der Menschen. Die kalte Statistik der Meteorologen spräche nicht unbedingt dafür, schon gar nicht im Tiefland, wo auch in Bayern weitaus die meisten Menschen leben. Dass die Erinnerung an weiße Weihnachten trotzdem jedem einzelnen und allen miteinander so zuverlässig erscheint, das könnte zumindest zu einem kleinen Teil auch mit Josef Madleners Bildern zu tun haben. Nicht weil diese Bilder allüberall in den Museen hingen und zum Kanon der Kunsthistoriker gehörten, ganz im Gegenteil. Und doch haben Madleners Werke vor einem knappen Jahrhundert in vieltausendfacher Reproduktion ihre Wirkung entfaltet. Als fromme Fleiß- und Andachtsbildchen, als Postkartenserien, auf Gebetszetteln, auf Liedblättern und als Illustrationen etlicher Kinderbücher mit Titeln wie "Das Christkind kommt" oder "Die erste Weihnacht".

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Josef Madlener, 1881 als achtes Kind einer Bauernfamilie in dem kleinen, inzwischen längst eingemeindeten Dorf Amendingen bei Memmingen geboren, hat damit in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts einen großen Markt bedient. Zugleich speisen sich diese Bilder aber ganz offenkundig auch aus einer echten, kindlich-naiven Frömmigkeit, die ihre Entsprechung auf dem weiten Feld der Kunst wohl am besten im Begriff des Kitschs fände.

"Natürlich ist das Kitsch", sagt Axel Lapp. Der 53-jährige Kunsthistoriker hat selbst schon einige Kunstbücher verlegt. Seit 2012 leitet er die städtische MEWO Kunsthalle in Memmingen und ist damit zugleich Nachlassverwalter von Josef Madlener. Ungefähr 600 Bilder füllen den allergrößten Teil der schweren Gitterschiebewände im Depot der Kunsthalle, dazu lagern im Museum noch 4500 Madlener-Arbeiten auf Papier. Wie schon sein Vorgänger holt Lapp jedes Jahr zu Weihnachten eine Auswahl aus dem Depot und stellt sie auf der anderen Seite der Altstadt im Erdgeschoss des Memminger Antonierhauses aus. Rund drei Dutzend Bilder waren das heuer, doch zu sehen bekommt sie wegen der Corona-Pandemie nun niemand. In normalen Jahren zählt Lapp bei der Weihnachtsschau vom Advent bis in den Januar um die 4000 Besucher, die sich an Madleners Werken ebenso wärmen können wie am Glühwein, der dazu ausgeschenkt wird. Im Hof des mittelalterlichen Hospiz-Komplexes steht eine Krippe mit Figuren, die aus einer Art großkopiertem Kinderbastelbogen nach Madleners Entwürfen gefertigt sind.

Die Auswahl der passenden Werke für die jährliche Weihnachtssaustellung fällt schwer und leicht zugleich - beides wegen der schieren Zahl an Weihnachtsmotiven und Hirtenszenen. Dass Madlener bei allem Kitschverdacht als Maler ein Könner war, kann Axel Lapp auch leicht vor Augen führen. Ein genauer Blick zeigt etwa, wie Madlener bei der "Herbergssuche" von 1957 auf spätimpressionistische Weise mit vielen kleinen Farbtupfern in Grün und Hellrot die grauenschweren Schneeflocken zum Tanzen bringt. Oder wie er dem Fell der Schafe eine natürliche Filzigkeit gibt, wo es einem geringeren Maler nur zu einer platten Fläche geraten wäre.

Über eine geübte Hand habe Madlener schon früh verfügt, sagt Lapp. Der Allgäuer Bauernbub hat ab 1898 zwei Jahre die Kunstgewerbeschule in München besucht und dort eine Ausbildung in etwas erhalten, das heute Grafikdesign hieße. 1904 versuchte er sich ein erstes Mal an der Kunstakademie und blieb dabei ebenso ein Außenseiter aus der Provinz wie beim zweiten Mal von 1915 bis 1918. Wo sich andere intellektuell und künstlerisch an Avantgardismen wie dem Expressionismus und später der Neuen Sachlichkeit versuchten, verharrte Madlener beim dem, was sich für ihn bewährt hat.

Als Grafiker und Zeichner hat Madlener zeitweise fast wie am Fließband Karikaturen, ländlich-humoristische Genreszenen und Schattenrisse für Zeitschriften wie die Fliegenden Blätter oder Jugend produziert. Doch viel interessanter ist das, was der markenkernige "Maler der schwäbischen Weihnacht" zeitlebens für sich behielt oder nur engsten Vertrauten zu sehen gab: Neben seinem so oft ausgestellten naiven Kindheitsglauben pflegte Madlener im Geheimen eine mystische bis esoterische Religiosität, lud zu spiritistischen Séancen und malte - nach eigener Ansicht teils als Medium eines verstorbenen Pfarrers - streng grafische und knallbunte, fast psychedelische Bilder von überbordender Symbolik. Eines wurde später zu ebenfalls zum Markterfolg: Die nackte, blassblaue "Kristallkönigin" von 1940 bringt laut Lapp bis heute immer wieder Lizenzeinnahmen von Esoterikverlagen ein. Zu indirekter Berühmtheit ist Madleners "Berggeist" gelangt. Eine Postkarte mit dem Motiv hat der Schriftsteller J.R.R. Tolkien ausdrücklich als Vorbild für den Zauberer Gandalf aus dem Fantasy-Zyklus "Herr der Ringe" abgeheftet.

Madlener starb am 27. Dezember 1967 in Amendingen. Sollte es nun an den Weihnachtstagen doch schneien, so hat er daran keinerlei Anteil. Am Bild von der weißen Weihnacht jedoch hat er maßgeblich mitgemalt.

© SZ vom 24.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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