Aschaffenburg:Entsetzen und Wut über Tierquälereien im Schlachthof

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Wegen Tierquälerei in einem Schlachthof in Aschaffenburg ermittelt die Staatsanwaltschaft. (Foto: Heiko Becker/dpa)

Nach dem Skandal in einem Aschaffenburger Betrieb sprechen Stadtpolitiker von einem kriminellen System, in das auch zwei Tierärztinnen verwickelt sein sollen. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf.

Von Christian Sebald

Nach der Aufdeckung der schlimmen Tierquälereien am Aschaffenburger Schlachthof ist das Entsetzen in der unterfränkischen Stadt groß. In einer Sondersitzung des Aschaffenburger Stadtrats, die auch im Internet übertragen wurde, zeigten sich OB Jürgen Herzing (SPD) und Vertreter aller Parteien am Freitag schockiert von den Missständen. "Wir verurteilen aufs Schärfste das Elend und das Leid, das den Tieren zugefügt worden ist", sagte Herzing. Lokalpolitiker wie der Grünen-Sprecher im Stadtrat, Thomas Giegerich, sprachen von einem kriminellen System auf dem Schlachthof, für das auch die Stadt Verantwortung übernehmen müsse. In der Bevölkerung kochen schon seit Tagen die Emotionen hoch, wie ein Blick in die sozialen Medien zeigt.

Besonders empört Bevölkerung und Politiker gleichermaßen, dass zwei amtliche Tierärztinnen, die eigentlich für die Einhaltung der Tierschutz-Vorgaben auf dem Schlachthof zuständig waren, die Schlachtmannschaft vor Kontrollen vorgewarnt hatten, damit diese ihre Praktiken rechtzeitig einstellen konnten. Deshalb konnten die Missstände über längere Zeit unentdeckt bleiben. Den beiden Mitarbeiterinnen hat die Stadt inzwischen fristlos gekündigt. Vielen ist das zu wenig. Sie fordern außerdem, dass die Stadt die Zusammenarbeit mit den Betreibern des Schlachthofs und der Schlachthof-Geschäftsführung sofort aufkündigt. Der Schlachthof selbst ist bis auf Weiteres geschlossen.

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Die Tierrechtsorganisation Soko Tierschutz mit ihrem Chef Friedrich Mülln hatte die schlimmen Verhältnisse auf dem Aschaffenburger Schlachthof über mehrere Wochen hinweg dokumentiert und vor gut einer Woche öffentlich gemacht. Die Aufnahmen der Kamera, die sie in dem Betrieb installiert hatte, zeigen, wie Mitarbeiter Schweine abstechen, ohne dass die Tiere zuvor richtig betäubt worden waren. Die Schweine zucken noch minutenlang mit den Beinen und stoßen lautes Quieken aus, bis sie endlich tot sind. Auch Rinder sind auf dem Schlachthof ohne die vorgeschriebene vorherige Betäubung geschlachtet worden. Außerdem sind die Schlachttiere offenkundig systematisch mit elektrischen Viehtreibern traktiert worden und dergleichen mehr.

Unterdessen hat die Polizei in dem Skandal mehrere Objekte durchsucht, darunter das Rathaus, wie OB Herzing vor dem Stadtrat sagte, und Wohnungen von Tatverdächtigen. Beschlagnahmt wurden bei den Razzien, die am Mittwoch und Donnerstag stattfanden, vor allem Datenträger wie Mobiltelefone. Die genaue Anzahl der Tatverdächtigen sowie Ergebnisse ihrer bisherigen Vernehmungen nannte die Polizei "aus ermittlungstechnischen Gründen" zunächst nicht. Der Schlachthof selbst war schon am Freitag vergangener Woche von Polizei und Staatsanwaltschaft durchsucht worden.

"Das ist ein echter Konstruktionsfehler", sagt der Tierrechtler

Soko-Tierschutz-Chef Mülln lobte derweil ausdrücklich die Arbeit der bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV). Sie ist maßgeblich an der Aufklärung der Vorwürfe gegen den Schlachthof beteiligt. Die Zentralbehörde mit Sitz in Kulmbach, die unter anderem für die Überwachung der Schlachthöfe in Bayern zuständig ist, war in Folge des Skandals um die niederbayerische Firma Bayern Ei und deren mit Salmonellen belastete Eier im Jahr 2018 eingerichtet worden. "Die Leute an der KBLV haben sehr gut und sehr schnell reagiert", sagte Mülln der SZ. "Am Montag haben sie das Filmmaterial über die tierquälerischen Praktiken von uns bekommen, am Dienstag haben sie die Razzia in dem Betrieb gemacht und den Betrieb geschlossen."

Zugleich übte Mülln scharfe Kritik. Seiner Überzeugung nach gab es die schlimmen Missstände in dem Schlachthof über viele Jahre hinweg. "Wir waren schon 2013 in dem Betrieb und haben sie dokumentiert", sagt er. "Aber die Ermittlungen sind dann mehr oder weniger im Sand verlaufen." Bis in die jüngste Vergangenheit ergaben Kontrollen keine Hinweise auf Tierquälereien. Der Grund waren nach Müllns Überzeugung eben jene Vorwarnungen der Schlachthof-Mannschaft vor Kontrollen aus dem Aschaffenburger Ordnungsamt heraus.

"Diese Vorwarnungen waren aber nur möglich, weil die Stadt und damit die beiden amtlichen Tierärztinnen von der KBLV vorab über bevorstehende Kontrollen informiert worden sind", sagt Mülln. "Da ist es dann völlig logisch, dass bei den Kontrollen selbst alles in Ordnung ist. Wenn die Polizei ihre Razzien ankündigen würde, würde sie bei ihnen ja auch nichts mehr finden." Die Vorankündigungen der KBLV kamen freilich nicht von ungefähr. Die Behörde ist dazu gezwungen. Sie sind im bayerischen Gesetz über den gesundheitlichen Verbraucherschutz und das Veterinärwesen vorgeschrieben. "Diese Vorgabe ist ein echter Konstruktionsfehler", sagt Mülln. "Sie gehört dringend abgeschafft, wenn die KBLV wirklich effizient aufklären soll."

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