Erneuerbare Energien:Wie realistisch sind Söders Windkraft-Pläne?

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Markus Söder bei einer Pressekonferenz im Münchner Hofgarten: Im Mittelpunkt der Kabinettssitzung stand die bayerische Klimapolitik. (Foto: Lino Mirgeler/dpa)

Bayerns Ministerpräsident will hundert Windräder in den Staatswäldern aufstellen - wie das trotz der Abstandsregel 10 H gehen soll, bleibt aber rätselhaft.

Von Christian Sebald, München

Man hat sich daran gewöhnt, dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für Überraschungen gut ist. Aber mit dieser Volte hat keiner gerechnet. Hundert neue Windräder sollen in den nächsten zwei bis drei Jahren in den Staatswäldern in Bayern aufgestellt werden. So hat es Söder dieser Tage verkündet. Zugleich hat der Ministerpräsident bekräftigt, dass er an der umstrittenen 10-H-Regel festhält, mit der die CSU 2014 den Ausbau der Windkraft in Bayern faktisch gestoppt hat. In der Windkraft-Szene rätseln sie seither, wie Söder die Ankündigung umsetzen will. "Hundert Windräder und gleichzeitig 10 H", sagt ein Insider, der nicht genannt werden will. "Ich weiß nicht, wie das gehen soll."

10 H, das ist die Vorgabe, nach der der Abstand zwischen einem Windrad und der nächsten Ortschaft das Zehnfache der Höhe der Anlage betragen muss. Nach dem momentanen Stand der Technik sind das etwa zwei Kilometer. 2014 hatten der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer und die CSU die 10-H-Regel nach wütenden Protesten - vor allem in Unterfranken - gegen den Ausbau der Windkraft in Kraft gesetzt. Seither werden kaum noch neue Windräder in Bayern aufgestellt. 2018 waren es acht. Im Spitzenjahr 2013 waren es 400. Im dicht besiedelten Freistaat gibt es kaum Windrad-Standorte, welche die 10-H-Vorgabe erfüllen. Und die wenigen, die das tun, dürften inzwischen so gut wie belegt sein.

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Die letzte Sitzung vor der Sommerpause hat er deswegen zum "Klimakabinett" ausgerufen. Bereits ab Herbst sollen erste Strategien erarbeitet werden. So könnten bald etwa hundert neue Windräder im Freistaat entstehen.

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Das gilt auch für die Staatswälder. Als Seehofer und Söder, der damals Umweltminister war, 2011 den endgültigen Atomausstieg und die Energiewende ausriefen, wollten die Staatsforsten, welche die Staatswälder bewirtschaften, groß ins Geschäft mit der Windkraft einsteigen. Bis zu 1000 Anlagen könnten in den Staatswäldern aufgestellt werden, erklärte der damalige Forstminister Helmut Brunner (CSU). Damit wollte das Staatsunternehmen nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der Erneuerbaren Energien liefern, sondern sich auch hohe Einnahmen durch die Pachterlöse für die jeweiligen Flächen sichern. 30 bis 35 Millionen Euro Zusatzeinnahmen sollten sie den Staatsforsten pro Jahr bescheren. Mit der 10-H-Regel war all das Makulatur.

Sogar in den wenigen Staatswäldern, in denen die 10-H-Vorgabe hätte erfüllt werden können, wurden letztlich keine Windräder aufgestellt. Der Streit um den Wagensonnriegel, der noch keine fünf Jahre her ist, ist das Paradebeispiel dafür. Der Wagensonnriegel ist ein 959 Meter hoher, einsam gelegener Waldrücken nahe Frauenau im Bayerischen Wald. Auf ihm wären bis zu 14 Windräder möglich - alle würden die 10-H-Vorgabe erfüllen. Aber in den Wäldern des Wagensonnriegels leben Schwarzstörche und weitere seltene Vogelarten, dazu Abendsegler und andere besondere Fledermäuse und sogar Luchse. Die Raubkatzen kommen aus dem nur wenige Kilometer entfernten Nationalpark Bayerischer Wald herüber.

Naturschützer sprachen deshalb von einem "verheerenden Signal weit über den Bayerischen Wald hinaus", wenn ausgerechnet auf dem Wagensonnriegel ein Windpark errichtet würde. Also kam es, wie es kommen musste. In einer Bürgerbefragung sprachen sich drei Viertel der Abstimmungsteilnehmer gegen Windräder auf dem Waldrücken aus. Seither hat man nichts mehr von dem Projekt gehört. Und in der Windkraft-Szene verspürt man keine Lust, sich auf neue Konflikte mit Waldschützern einzulassen.

Gleichwohl begrüßt die Branche Söders Ankündigung. "Damit hat er endlich das Tabu gebrochen, mit dem Seehofer und die CSU die Windkraft belegt haben", sagt der Insider. "Jetzt können wir in die überfällige Debatte eintreten, wie wir auch in Bayern die Windkraft so ausbauen, dass die Energiewende und der Klimaschutz vorankommen." Mit hundert Windrädern in zwei bis drei Jahren habe Söder die Messlatte zwar denkbar niedrig gelegt. Aber das sei womöglich erst der Anfang. "Wenn Söder es wirklich ernst meint mit seiner Klimaschutz-Offensive, wird er die Windkraft nicht weiter außen vor lassen können", sagt der Insider. "Und dann wird er die 10-H-Vorgabe überdenken müssen."

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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