Verkehr und Bauen:Kerstin Schreyer führt nun "eines der wichtigsten Ministerien überhaupt"

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Kerstin Schreyer auf dem Weg in die CSU-Vorstandssitzung. Sie selbst sagt über sich, sie sei "sperrig, kantig und anstrengend". Das bestätigen auch andere. Mit ihrer robusten Art hat sie allerdings viel erreicht. (Foto: Sven Simon/imago)
  • Sechs Tage nach dem offiziellen Rücktritt von Bayerns bisherigem Bau- und Verkehrsminister Hans Reichhart stellt Ministerpräsident Markus Söder sein Kabinett um.
  • Der CSU-Chef hat die bisherige Sozialministerin Kerstin Schreyer zu Reichharts Nachfolgerin berufen - den Eid muss sie nicht erneut leisten, sie war ja schon bisher Ministerin.

Von Dietrich Mittler und Lisa Schnell, München

Was da auf Kerstin Schreyer zukommt, das hat am schönsten eigentlich ihre eigene Tochter formuliert. Vierzehn Jahre ist sie jetzt alt, gleich mehrere Bilder von ihr stehen bei Schreyer im Büro. Oder besser: standen. Am Dienstag hat Schreyer im Sozialministerium ihre Kisten gepackt, hinein kamen auch die Bilder ihrer Tochter, die ihr zu ihrer neuen Aufgabe fast so etwas wie eine Drohung mitgegeben hat: Jedes Mal, wenn die S-Bahn in München zu spät kommt, werde sie ihr aufs Handy eine Nachricht schreiben, sagte sie. Jedes Mal!

Wer die S-Bahn in München kennt, der weiß: Schreyers Handy wird ab Donnerstag heiß laufen. Dann wird sie von Ministerpräsident Markus Söder im Landtag zur neuen Bau- und Verkehrsministerin ernannt. Dann richten sich nicht nur all die Flüche über zu spät kommende S-Bahnen und ausgefallene Züge an Schreyer. Sondern auch die Klagen über zu hohe Mieten und fehlende Wohnungen.

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Schreyer hat nicht wenig Erwartungen auf ihren Schultern lasten, aber auch eines der wichtigsten Ministerien überhaupt. So sagte das zumindest Söder. Wohnen gilt als die neue soziale Frage, Verkehr als einer der wichtigsten Schlüssel, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Themen, die vor allem in den Städten bewegen, weshalb Schreyers so etwas wie das Oberbayern-München-Ministerium bezieht, mit dem die CSU Großstadtkompetenz beweisen will.

Unter diesem Aspekt betrachtet passt Schreyer wunderbar. Die 48-Jährige kommt aus Unterhaching: Wie es ist, mit der S-Bahn nach München zu fahren, wird sie nicht nur von ihrer Tochter wissen. Eine andere, nicht ganz unwesentliche Eigenschaft fehlt ihr: Schreyer hat keine Ahnung von Bau oder Verkehr. Als Kreisrätin hat sie zwar schon mal einen Bauplan vor sich liegen gehabt, sogar mehrere, seit über 20 Jahren ist sie in der Kommunalpolitik. Aber das war's dann auch schon.

Schreyer ist Sozialpädagogin und Familientherapeutin, und zwar mit jeder Faser und von Herzen. Das sagen nicht nur die, die ihr wohlgesonnen sind, sondern auch die anderen. Sie leitete die CSU-Familienkommission, war Integrationsbeauftragte im Kabinett Seehofer. Fürs Sozialministerium, an dessen Spitze sie nun zwei Jahre stand, war sie wie geschaffen. Aber Bau? Nicht nur die Opposition höhnte gleich los, auch in der CSU soll es ein paar Skeptiker geben. Schreyer sagt: "Die Statik eines Hauses muss ein Politiker nicht berechnen können." Stattdessen aber: sich Fachwissen holen, Entscheidungen treffen, wissen, wohin die Reise geht. Und das könne sie.

"Sperrig, kantig, anstrengend", sagt Schreyer über Schreyer

Durchsetzungsfähigkeit, das ist das eine Wort, das man immer hört, wenn es um Schreyers Eignung geht. Es heißt: Manche fechten mit dem Florett, Schreyer mit dem Schwert. Die einen meinen es positiv. Im Sozialministerium meinen es manche anders: Beratungsresistent sei Schreyer gewesen, heißt es. Den Kollegen im Bauministerium wünsche man, dass es ihnen anders geht. So gesehen sei das fehlende Fachwissen vielleicht sogar ein Vorteil? Schreyer sagt, sie höre immer intensiv zu, am Ende aber entscheide sie, denn am Ende sitze sie "auf dem Schleudersitz".

"Sperrig, kantig, anstrengend", das sagt Schreyer über Schreyer und es klingt wie ein Lob. Sie kämpfe für ihre Überzeugungen, sie würde übrigens auch zurücktreten für ihre Überzeugungen: "Ich bin nicht in die Politik gegangen wegen der Politik, sondern wegen den Inhalten." Dass sie viel erreicht hat, streitet kaum jemand ab.

Gleich zu Beginn sackte sie den Gesetzentwurf ihrer Vorgängerin zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ein, weil sie die Kritik teilte, dass dieser Kranke stigmatisierte. "Wir verlieren mit Kerstin Schreyer eine hochkompetente, anpackende Sozialministerin, die wusste, um was es geht", sagt deshalb Josef Mederer (CSU), der Bezirkstagspräsident von Oberbayern, der gegen den Gesetzentwurf kämpfte. Im Streit um das Familiengeld mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bewies sie Stehvermögen. Anders als von Heil gefordert, wird das Familiengeld bis heute nicht mit anderen Sozialleistungen verrechnet.

Schreyer sagte: "Wir lassen Wohnungs- und Obdachlose in ihrer Notlage nicht allein." Und sie hielt Wort: Die Hilfsangebote wurden ausgebaut. "Man wusste, dass sie das, was sie sich so vorstellt, mit Nachdruck verfolgt - so etwa geschehen beim Gewaltschutz für Frauen und Kinder", sagt Margit Berndl vom Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Auch Michael Bammessel, der Präsident des Diakonischen Werkes Bayern, meint: "Sie hat in ihrer kurzen Amtszeit relativ viel bewegt." Natürlich nicht auf allen Feldern. Bammessel nennt die Dezentralisierung der Behinderteneinrichtungen, Brendl den Qualitätsausbau bei Kindertagesstätten.

Unterm Strich aber machen Wohlfahrtsverbände keinen Hehl daraus, dass sie ohne Schreyer an der Spitze eine Schwächung des Sozialbereichs befürchten. "Ich hätte mir gewünscht, dass Schreyer Sozialministerin bleibt", sagt Thomas Beyer, Landesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt und früher mal SPD-Landtagsabgeordneter. Aber sie gehe jetzt nun mal den Karriereweg: "Bei allem Brennen für die Sache hat sie durchaus im Blick, in Oberbayern die weibliche Nummer eins der CSU zu werden."

Schreyer wird nachgesagt, dass sie ihre Zeit in der ersten Reihe schon viel früher gesehen hat als andere. Oft wurde sie gehandelt für das Kabinett, oft hat sie den Posten nicht bekommen. Zuletzt konnte sie sich als stellvertretende Vorsitzende der Oberbayern-CSU durchsetzen. Das zielgerichtete Streben nach oben wurde ihr nicht von allen als positiv ausgelegt. Bei Männern sei man gewohnt, dass sie ihren Hut in den Ring werfen, auch wenn ihnen der Posten nicht gewiss sei, sagt Schreyer. Bei Frauen offenbar nicht. "Frauen sind immer zu weich oder zu hart, zu jung oder zu alt", sagt sie. In ihrem Fall lautet der Vorwurf wohl eher: zu hart.

Dass sie nach Ilse Aigner die erste Frau ist, die ein so großes Ministerium leitet, mit Themen, die traditionell nicht weiblich sind, das habe auch "eine zutiefst frauenpolitische Dimension", sagt Schreyer. "Es ist wichtig, dass wir zeigen, wir können nicht nur sozial."

Was sie inhaltlich vorhat? Sie habe den Zettel mit den Wünschen des Ministerpräsidenten gerade nicht da, sagt Schreyer. Die werde sie abarbeiten. Die Erneuerung der Imby, zuständig für die Immobilienverwaltung, steht da etwa drauf. Wenn sie neben dem Ministerpräsidenten steht, meinen manche ihr Selbstbewusstsein nicht mehr ganz so wahrzunehmen wie sonst. Schreyer stand im Lagerkampf zwischen Seehofer und Söder immer klar an Seehofers Seite. Ihrer Zusammenarbeit soll das nicht geschadet haben.

Wenn er ihr am Donnerstag zum dritten Mal die Ernennungsurkunde aushändigt, wird sie danach ziemlich sicher eine Nachricht von ihrer Tochter haben. Zunächst wohl nur zum Gratulieren, die S-Bahn-Beschwerden kommen dann später.

© SZ vom 06.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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