Mitten in Regensburg:Doch kein Anne-Frank-Zimmer

Lesezeit: 1 Min.

Architekt Ferdinand Weber zeigte im Dezember 2022 den Geheimgang im Wiedamannhaus in Regensburg. (Foto: Lisa Schnell)

In einer alten Zinngießerei in Regensburg wird ein Geheimzimmer gefunden. Womöglich ein Versteck für Juden in der Nazi-Zeit, dachte man laut bei der Stadt nach. Das war wohl etwas voreilig.

Kolumne von Lisa Schnell, Regensburg

Schon mal vom Arzt Sensationen attestiert bekommen? Doch, das gibt es. Auf der einen Seite ist eine Sensation ein aufsehenerregendes Ereignis. Das kennt man ja. Etwa, wenn man in einem Haus steht, sagen wir mal in einer alten Zinngießerei wie dem Wiedamannhaus in Regensburg und dann ist da hinter einer Garderobe ein Regal und hinter dem Regal ein Raum. Ein Versteck, für verfolgte Juden gar in der Nazi-Zeit, ein Anne-Frank-Zimmer in Regensburg. Das wäre eine Sensation!

Ein Ereignis, so aufsehenerregend, dass Zeitungen darüber berichteten ("Sensationsfund") und der Kulturreferent ankündigte, aus dem Zimmer so etwas wie ein kleines Museum zu machen: "Die Frage, ob, stellt sich also nicht mehr, sondern wie."

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Und dann gibt es da noch die medizinische Sensation, eine "subjektive körperliche Empfindung", also: ein Gefühl. Etwa das Gefühl, dass es doch wahnsinnig aufregend wäre, wenn dieses Geheimzimmer in Regensburg ein zweites Anne-Frank-Zimmer wäre, aber halt - und das ist entscheidend - nicht sicher. Regensburg hat eine Sensation, das ist klar, die Frage ist nur, welche.

Man muss hier genau sein: Niemand hat behauptet, im Geheimzimmer des Wiedamannhauses seien ganz sicher Juden versteckt worden. Aber es klang doch als eine durchaus wahrscheinliche Variante der Wirklichkeit, was Vertreter der Stadt da vermuteten, und eher weniger wie ein "Produkt der Medien", wie es später aus dem Rathaus hieß. Man ist vorsichtig geworden. Mittlerweile nämlich hat ein Journalist von regensburg digital einiges herausgefunden.

Die Wiedamanns produzierten im Krieg Munition, beschäftigten Zwangsarbeiter und Richard Wiedamann, der damalige Juniorchef, soll es zu seinen "stolzesten Erfolgen" gezählt haben, dass der "Führer" bei ihm kaufe. Er wurde von den Amerikanern aufgrund seiner Mitgliedschaften in Nazi-Organisationen offenbar als belastet angeklagt. Zu seiner Entlastung soll ein Freund ihn als judenfreundlich beschrieben haben. Nur: Warum hat er nicht von einem Versteck für Juden erzählt, obwohl das doch die beste Entlastung gewesen wäre?

Wie es wirklich war, soll nun eine von der Stadt beauftragte Historikerin herausfinden. Das wäre sensationell!

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRaubtiere
:Mein Freund, der Bär

Seit dem tödlichen Bärenangriff auf einen Jogger in Italien und den Schafsrissen in Bayern ist die Politik alarmiert: Muss das Raubtier geschossen werden? Ein Besuch bei Tierpfleger Christoph Denk, der seit neun Jahren mit Braunbären arbeitet und lebt.

Von Thomas Balbierer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: