Bayerns Corona-Politik vor Gericht:221 Siege, acht Niederlagen, ein Remis

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Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Staatskanzleichef Florian Herrmann (r, CSU) sind mit den Bilanzen ihrer Verfahren zu den Corona-Maßnahmen zufrieden. (Foto: dpa)

Kitas, Biergärten, Saunen: Die Corona-Politik beschäftigt die bayerischen Verwaltungsgerichte. Nach einer Rechnung von Staatskanzleichef Florian Herrmann gewinnt die Regierung fast alle Verfahren.

Von Andreas Glas, München

Wenn bei Markus Söder der Wecker klingelt, stellt man sich das zurzeit ein bisschen so vor wie in der Neunzigerjahre-Kinokomödie "Und täglich grüßt das Murmeltier". In dem Film springt im Hotelzimmer eines Wetteransagers tagtäglich um sechs Uhr früh der Radiowecker an, tagtäglich dieselbe Musik, dieselben Nachrichten. Anders als der Wetteransager ist der Ministerpräsident natürlich nicht wirklich in einer Zeitschleife gefangen. Die Nachrichten, die ihn zurzeit regelmäßig erreichen, ähneln sich aber schon ziemlich murmeltierartig. Erst kippte ein Gericht die 800-Quadratmeter-Regel für Geschäfte, dann wischte ein Gericht die Corona-Sperrstunde weg, dann wurde das Wellness-Verbot in Hotels aufgehoben - und gerade hat ein Gericht den beschränkten Kitazugang für unverhältnismäßig erklärt.

So murmeltierartig die Richtersprüche, so murmeltierartig kommen dann die Reaktionen der Politik daher. Auf der einen Seite spricht die Opposition genüsslich davon, dass die Staatsregierung eine juristische Watschn nach der anderen kassiere. "Blamage", "Klatsche", das ist so das Vokabular von FDP-Fraktionschef Martin Hagen. Auf der anderen Seite verweist Ministerpräsident Söder (CSU) inzwischen fast wöchentlich darauf, wie viele Gerichtsverfahren "wir gewonnen haben" - und betont damit indirekt, dass die paar verlorenen Fälle ja nun wirklich nicht groß ins Gewicht fallen. Die Corona-Verordnungen seien "juristisch vertretbar und verhältnismäßig", sagt Söder gerne. Wer diesen Streit um die Deutungshoheit von außen betrachtet, fragt sich: Wer hat nun recht?

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Auf der Suche nach Antworten sollte man sich zuerst die nackten Zahlen anschauen. Von 353 Klagen bei verschiedensten Gerichten sprach Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Dienstag nach der Kabinettssitzung, davon seien 230 erledigt. Der Freistaat habe acht Fälle nicht gewonnen, einen teilweise nicht. Herrmann findet das "nicht blamabel", sondern einen Beleg dafür, dass die Maßnahmen "nicht nur von breiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen werden", sondern auch von der Mehrzahl der Gerichte. Und die Verordnungen, die gekippt wurden? Die habe man teils "ohnehin ändern" wollen, nur eben etwas später als die Gerichte, da "wir unsere Maßnahmen immer befristet haben auf zwei Wochen, um wieder am Infektionsgeschehen die Verhältnismäßigkeit zu prüfen", sagt Herrmann.

Das ist dann auch das zentrale Argument der Staatsregierung: Eine Corona-Verordnung, die heute sinnvoll und juristisch in Ordnung ist, könne morgen schon unverhältnismäßig sein, falls die Zahl der Neuinfizierten weiter gesunken ist - und damit auch das Ansteckungsrisiko, das die Regierung mit ihren Maßnahmen begrenzen möchte. Dass manche Verordnung von vornherein überzogen gewesen sein könnte? Dass die Verordnungen von den Verwaltungsbeamten des Freistaats zu schlampig formuliert sein könnten? Diese Vorwürfe weist die Staatsregierung sehr vehement zurück. Wer sich an Bayerns Verwaltungsgerichten umhört, der hört vor allem Stimmen, die den Regierungskurs stützen - auch an Gerichten, die Verordnungen gekippt haben. "Beachtlich", was die Juristen des Freistaats in kurzer Zeit an Verordnungen verfasst hätten, "Respekt", heißt es. Und man hört, dass sich auch die Gerichte am Infektionsgeschehen orientieren, wenn sie über Klagen entscheiden. Soll heißen: Manche Verordnung, die heute gekippt wurde, wäre womöglich eine oder zwei Woche zuvor noch nicht gekippt worden. Hier deckt sich die Sicht der Verwaltungsgerichte also weitgehend mit der Argumentation der Staatsregierung.

Kritik aus der Opposition

FDP-Fraktionschef Hagen überzeugt das nicht, er bleibt dabei: "Wenn ich Gesetze und Verordnungen mache, muss ich Gesetze und Verordnungen so machen, dass sie auch rechtsstaatlich sauber sind." Und wenn sich das Infektionsgeschehen ändere, müsse die Staatsregierung ihre Verordnungen eben "regelmäßig überprüfen, ob sie noch verhältnismäßig sind", sagt Hagen. Stattdessen warte die Regierung ab, bis "sie von Gerichten getrieben wird", bestimmte Verordnungen aufzuheben. Das untergrabe das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik und führe zu "enormen Kollateralschäden", sagt Hagen. Weil es für Eltern, die in der Corona-Krise schon genug belastet seien, einen großen Unterschied mache, ob sie ihr Kind eine Woche früher oder später wieder in die Kita schicken dürfen. Oder weil es für die ohnehin gebeutelten Wirte einen großen Unterschied in der Kasse mache, ob sie ihr Lokal eine Stunde länger aufsperren dürfen.

Der Streit um die Gerichtsentscheidungen dürfte nun Schwung bringen in eine andere Debatte, die im Landtag schon seit einigen Wochen schwelt: die Debatte um die Parlamentsbeteiligung in Krisenzeiten. Schon länger beschwert sich die Opposition, dass Ministerpräsident Söder zwar Woche für Woche vor die Presse tritt, um Verschärfungen oder Lockerungen der Corona-Maßnahmen zu präsentierten - aber nicht vor die Abgeordneten, jedenfalls nicht, um sich deren Zustimmung abzuholen. Ihre Entscheidung trifft die Staatsregierung auf Basis des Infektionsschutzgesetzes. Ein Bundesgesetz, das die Landesregierungen ermächtigt, eigene Rechtsverordnungen zu erlassen.

Den Vorschlag der FDP, das Parlament stärker zu beteiligen, hat die schwarz-orange Regierung kürzlich abgelehnt. In dieser Woche will die SPD einen neuen Anlauf unternehmen, mit einem entsprechenden Gesetzesentwurf. Wie die Staatsregierung in der Corona-Krise mit der Opposition umspringe, "ist eines Parlaments unwürdig", sagt SPD-Fraktionschef Horst Arnold. Er spricht von "Rechtsbruch" und verweist darauf, dass die Opposition bei Kita, 800-Quadratmeter-Regel oder Sperrstunde immer wieder auf Lockerungen gedrängt habe. Doch gelockert habe am Ende nicht die Staatsregierung, sagt Arnold. Sondern ein Gericht.

© SZ vom 24.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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