Der künftige Gerd-Müller-Platz ist rot illuminiert, die Gerd-Müller-Statue noch mit rot-weißem Tuch verhüllt. Offenbar gibt es nicht viele Nördlinger, die am Donnerstagabend zu Hause geblieben sind, die engen Gassen der Altstadt wirken so voll, wie die Straßen in München es bei einer Meisterfeier des FC Bayern schon lange nicht waren. Die meisten Zuschauer sehen gar nichts vom Festakt, dabei stehen ganz vorne, direkt bei der gleich zu enthüllenden Statue all die Fußballgranden: Uli Hoeneß, Sepp Maier, Franz "Bulle" Roth.
Aber die Kinder in der ersten Reihe, die schreien nicht Uli, die schreien nicht Sepp, ist halt doch eine andere Generation. Sie skandieren: "Markus, Markus!" Da ist sogar der Ministerpräsident verdutzt, mit so viel Ehre hat er offenkundig nicht gerechnet. Markus Söder also hebt zaghaft die Hand zum Gruß, dann merkt er, dass die Jungs es ernst meinen. Also kommt er rüber - und signiert ihre Bayern-Trikots.
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Eins zu null für den Club, gewissermaßen, dessen erklärter Fan der Franke Söder ja ist. Das hat keiner kommen sehen, am Ehrentag für den, wie hier alle versichern, größten Stürmer aller Zeiten. Nördlingen ehrt seinen berühmtesten Sohn mit einer Statue, die zwar, was die Haare anbelangt, eher entfernt an Gerd Müller erinnert, aber das macht nichts: Die Oberschenkel und die Waden sind historisch korrekt voluminös dargestellt, Verwechslungsgefahr gebannt. Und sowohl Müller als auch der FC Bayern kommen im weiteren Verlauf des Abends noch zu so viel Ehre, dass die fernen Franken im nördlichen Schwaben auch gleich wieder vergessen sind. Wolle er seine Ministerpräsidenten-Kollegen bei Videokonferenzen ärgern, kalauert etwa Söder, wähle er die Allianz Arena als Hintergrundbild. Erfolg, soll das heißen, ist im Freistaat zu Hause. "Geht es dem FC Bayern gut", säuselt Söder, "geht es auch Bayern gut."
Und dem FC Bayern wiederum geht es heute nur deshalb so gut, weil Gerd Müller früher eben seine Tore geschossen hat. Viele Tore. Als "wertvollsten Spieler", den der Verein je hatte, bezeichnet ihn in seiner Rede etwa der Präsident des FC Bayern, Herbert Hainer, in Anlehnung an einen Satz von Franz Beckenbauer. Tatsächlich erinnern sich die Nördlinger aber nicht nur der Tore wegen noch heute gerne an Gerd Müller, sondern weil er bodenständig und zeitlebens in Kontakt mit seinen Freunden in der Heimat blieb. Das mag andernorts eine Floskel sein, ist in diesem Fall aber verbrieft, unter anderem durch Helmut Wurm. Der Kindheitsfreund des berühmten Stürmers steht auf zwei Stecken gestützt vor dem Denkmal und erzählt, dass sein Kumpel immer mal wieder in Nördlingen vorbeischaute. Sie sind dann ein Bier trinken gegangen. Nur wenn er gegen ihn im Tischtennis gewann, war der Hadde, wie Gerd Müller in Nördlingen genannt wird, nicht so glücklich. "Er hat nicht gern verloren", sagt Wurm.
Musste er auch nicht, vor allem im Fußball. Die Statue des Aschaffenburger Künstlers Herbert Deiss stellt seinen wohl berühmtesten Treffer dar, den Drehschuss im WM-Finale 1974 gegen die Niederlande zum 2:1-Erfolg. Es hatte ja etwas Zoff gegeben in Nördlingen, was den Standort der Statue anbelangt. Die Nördlinger beharrten darauf, Gerd Müller einen Platz in der historischen Altstadt zuzuweisen. Nach einigen Diskussionen einigte sich die Stadt schließlich nach Konsultation mit Witwe Uschi Müller auf den jetzigen Standort nahe dem Geburtshaus des Stürmers. Hier bespielte Gerd Müller früher quasi jeden Pflasterstein, wie Oberbürgermeister David Wittner erzählt.
Wittner ist offenkundig ein mutiger Mann. Natürlich ehrt auch er in seiner Ansprache Müllers Tore und Müllers Oberschenkel. Es ist ihm in seiner Rede aber schon auch ein Anliegen, zu betonen, dass der Fußball sich verändert hat, siehe die anstehende, unter anderem wegen der dortigen Menschenrechtslage umstrittene Weltmeisterschaft in Katar. Das trauen sich nicht viele anzusprechen, hinter deren Rücken in nächster Nähe der ausgewiesene Verteidiger von Katar-Sponsorverträgen, Uli Hoeneß, steht.
Hoeneß lässt es gut sein, lieber sagt er brav, was alle sagen: "Gerd Müller hat die Statue verdient." Nicht einmal die zur modernen Gelfrisur modellierten Haare will er kritisieren, die auch in der Dynamik des Torschusses nicht annähernd so ausgesehen haben. Das erledigen andere Weggefährten wie "Bulle" Roth und Sepp Maier, die auch darüber flachsen, dass die bronzenen Fußballschuhe eher wie Nike statt wie Adidas aussehen. So was hätte der Hadde nicht getragen. "Ziemlich große Schlappen", befindet auch Uschi Müller nach der Zeremonie, als die Statue längst enthüllt ist. "Der Gerd hatte kleine Füße, 40er."
Egal, sagen die Nördlinger, von denen sogar die Rentner vielfach mit FC-Bayern-Fähnchen erschienen sind. Die Kapelle spielt "Dann macht es Bumm", den Gerd-Müller-Song aus seiner aktiven Zeit. Der Stürmer, im August 2021 nach langer Krankheit gestorben, wäre am Donnerstag 77 Jahre alt geworden. Nun haben sie den Mann mit dem goldenen Torriecher an seinem Geburtstag verewigt - in Bronze.