Nördlingen:Die mühsame Sanierung der Kirche St. Georg

Nördlingen: St. Georg in Nördlingen ist komplett aus den steinernen Überresten eines Asteroideneinschlags erbaut.

St. Georg in Nördlingen ist komplett aus den steinernen Überresten eines Asteroideneinschlags erbaut.

(Foto: Florian Fuchs)

14,5 Millionen Jahre ist das Suevit-Gestein alt, aus dem St. Georg in Nördlingen gebaut wurde. Damit das Gotteshaus nicht zerbröselt, wird es seit knapp zehn Jahren erneuert - mit Handarbeit, historischen Werkzeugen und viel Geduld.

Von Florian Fuchs, Nördlingen

Der schwerste Stein, den er unten an der Kirche eingesetzt hat, wog 1,2 Tonnen. Matthias Wittner hat den Block mit sieben Millimetern Spiel zwischen die anderen Blöcke geschoben, in Handarbeit. Dazu braucht es Geduld, viel Geduld, aber das gehört zum Geschäft. Und eigentlich ist es auch egal, ob ein Stein 300 Kilogramm oder 800 Kilogramm oder noch mehr wiegt. "Die Hebelgesetze", sagt Steinmetz Wittner, "spielen bei uns eine ganz große Rolle."

Es ist keine gewöhnliche Sanierung, die hier in Nördlingen stattfindet. Aber St. Georg mit dem Turm Daniel, schon von weitem sichtbar, ist auch keine gewöhnliche Kirche. Vor mehr als 500 Jahren wurde der monumentale Bau im gotischen Stil fertiggestellt: Es ist die weltweit einzige große Kirche, die aus Mondgestein erbaut ist, das bei dem Einschlag eines Asteroiden im Nördlinger Ries vor 14,5 Millionen Jahren entstand. Die Bauherren damals wussten davon nichts, deshalb war ihnen auch nicht klar, dass der Suevit, wie das Gestein genannt wird, nicht unbedingt ein Material für die Ewigkeit ist. "Teilweise bröckelt es schon herunter, wenn man nur über den Stein streicht", sagt Nördlingens Stadtbaumeister Jürgen Eichelmann.

Und so lässt Nördlingen die Kirche eigentlich seit Jahrzehnten immer wieder sanieren. Seit 2014 führt Wittner die Arbeiten für die Fassade aus. Er ist nicht allein Steinmetz, er hat auch Restaurierung studiert und ist auf mittelalterliche Bauten spezialisiert. Für die Sanierung von St. Georg bearbeitet Wittner mit seinen Mitarbeitern jeden Stein von Hand, in einer eigenen Schmiede in seiner Werkstatt stellt er nach historischen Aufzeichnungen sogar das Werkzeug dafür selbst her: Sprengeisen, Spitzeisen, Schlageisen, auch ein Gerät, das Zahnfläche genannt wird. So kann er den Stein grob bearbeiten, die Ränder sauber ausarbeiten und die Flächen einebnen, wie es seine Vorgänger vor Jahrhunderten gemacht haben. "Ein paar tausend Hiebe sind es schon pro Stück", sagt Wittner. Für die Bearbeitung eines Steins braucht es mitunter einen Tag.

Nördlingen: Steinmetz Matthias Wittner muss alle Steine passgenau einfügen und immer wieder nachmessen.

Steinmetz Matthias Wittner muss alle Steine passgenau einfügen und immer wieder nachmessen.

(Foto: Florian Fuchs)

Ein paar tausend Hiebe oder mit modernem Gerät drüber schleifen, das ist ein Unterschied. Wenn es dem Bauherren nicht so wichtig ist oder das Bauwerk nicht so hochrangig, geschieht Letzteres auch täglich bei Sanierungen in Deutschland. Am Daniel käme dies aber weder für die Stadt Nördlingen noch für das Landesamt für Denkmalpflege in Frage. St. Georg soll seine Strahlkraft bewahren - dann dauert die Sanierung eben ein Jahrzehnt. Stadtbaumeister Eichelmann, Architekt Rainer Heuberger und Steinmetz Wittner orientieren sich aber auch an dem, was die Erbauer vor Jahrhunderten gemacht haben, weil Nachbesserungen sonst zu Schäden führen könnten. So ist es notwendig, dass die Fenster undicht sind, sonst würde sich Kondenswasser bilden. Einfach mit Beton sanieren, wie noch im vergangenen Jahrhundert, kommt ebenfalls nicht in Frage. "Am Übergang vom Chor zum Langhaus bewegt sich die Kirche im Wind bis zu 14 Zentimeter", sagt Architekt Heuberger. Wenn man einfach reinbetoniert, wird das Gebäude zu starr - und durch die Bewegungen im Wind entstünden Schäden.

Eichelmann, Heuberger und Wittner besprechen jeden einzelnen Stein der Kirche. Indem sie daran klopfen, hören sie oft schon, ob er beschädigt ist und ersetzt werden muss. Klingt er dumpf, hat er meistens einen Kernbruch. Diese Steine werden dann mit einem Kreuz markiert. Während die Blöcke früher mit dem Presslufthammer rausgeschlagen und somit zerstört wurden, setzt Wittner inzwischen eine Mauersäge ein. So holt er den Stein im Ganzen raus, der vielleicht nur an einer Stelle beschädigt ist. Den Rest vom Suevit kann er dann für kleinere Ausbesserungen an anderer Stelle wieder verwenden.

Nördlingen: Das historische Werkzeug für die Steinbearbeitung hat Matthias Wittner selbst gefertigt.

Das historische Werkzeug für die Steinbearbeitung hat Matthias Wittner selbst gefertigt.

(Foto: Florian Fuchs)

Als der Asteroid einschlug, wurden gerade die Steine im Zentrum der Katastrophe stark verbacken durch Hitze und Druck. Das sind die guten Steine, die auch heute noch noch intakt sind. Sie sehen dunkler aus, glasig. "Dann haben wir Steine aus den Bereichen, die nach außen gefallen sind", sagt Heuberger. "Sie sind im Wesentlichen durch Druck zustande gekommen." Diese Steine sind nicht glasig, nur sandig, sie haben leichte Risse nach Jahrhunderten, die sie der Witterung ausgesetzt waren. Immer wieder ist es vorgekommen, dass sich an der Kirche einzelne Brocken gelöst haben und heruntergefallen sind. Zu Personenschäden ist es trotzdem nie gekommen.

Bei der Sanierung kommt auch Sandstein zum Einsatz

Bereits im Jahr 2012 hat Nördlingen aus einem Steinbruch in Bamberg für 600 000 Euro Sandstein gekauft. Er ist heller als das Mondgestein, hat aber eine saubere Struktur und ist als Ersatz am besten geeignet. Corona, Lieferschwierigkeiten, damit haben sie an der Baustelle von St. Georg deshalb heute keine Probleme, die Arbeiten liegen im Plan. In seinem Unternehmen schneidet Wittner aus dem Bamberger Sandstein mit einer elektrischen Säge einen großen Block heraus. Etwas zu viel Material lässt er dabei drauf, das er dann von Hand mit den selbst geschmiedeten, historischen Werkzeugen bearbeiten kann. "So eine Werkzeugführung wird heute fast nicht mehr gelehrt", sagt Wittner. Hingehen, aufmessen, dann in der Werkstatt nacharbeiten, das ist in den meisten Handwerksbereichen nicht mehr üblich. Dort werden Normen verarbeitet, für Grabsteine zum Beispiel gibt es Schriftprogramme am Computer, dann kommt eine Strahlfolie drauf - fertig. "Das lerne ich einmal und dann kann ich das 40 Jahre lang machen."

An der Kirche steht Wittner nun mit einem Mitarbeiter auf dem Gerüst und holt einen beschädigten Stein heraus. Mit einem Hebeisen lösen sie den Stein vorsichtig, nachdem sie ihn mit der Säge bearbeitet haben. Dann fassen sie ihn mit einem Gurt und lupfen ihn mit Ketten an. Vorne hat der Stein Kontur, hinten beließen ihn die Steinmetze vor knapp 600 Jahren unbearbeitet und bucklig. "Das störte ja nicht, das hat nie jemand zu Gesicht bekommen", sagt Wittner. Anschließend kommt der neue Stein hinein, eine schweißtreibende Arbeit: Wittner führt seitlich von hinten ein Hebeisen unter den Stein, dann schiebt er ihn Millimeter um Millimeter nach hinten, indem er das Hebeisen unter dem Stein kreisen lässt. "Gängeln" nennt er das. Schließlich müssen Wittner und sein Mitarbeiter den Block ausrichten: Wieder und wieder wird der Stein in Position geklopft. Bevor Wittner zufrieden ist, hält er ein ums andere mal die Wasserwaage an die Außenwand.

Nördlingen: Architekt Rainer Heuberger beschäftigt sich seit 2011 mit St. Georg.

Architekt Rainer Heuberger beschäftigt sich seit 2011 mit St. Georg.

(Foto: Florian Fuchs)

Langweilig wird ihm das nicht, Stein für Stein die riesige Fassade der Kirche abarbeiten zu müssen. "Im Gegenteil, es ist ein Privileg, acht Jahre an einem solchen Projekt arbeiten zu dürfen", sagt der Steinmetz. Die Handgriffe sind nun eingeübt, auch wenn jeder Stein anders in Angriff genommen werden muss. Auch Architekt Heuberger, der seit 2011 an St. Georg beschäftigt ist, hält die Kirche für sein spannendstes Projekt. "Man benötigt ein Gefühl dafür, das man nur mit der Zeit bekommt."

Als letztes werden Heuberger, Wittner und Stadtbaumeister Eichelmann die Sakristei bearbeiten. "Das war der letzte Bauabschnitt damals, da haben sie das Material genommen, das sie noch bekommen haben", sagt Heuberger. Die Fassade ist inzwischen gelblich und besonders bröselig. "Da bohren sich sogar die Wespen Löcher." Doch auch nach Abschluss dieser Arbeiten voraussichtlich im kommenden Jahr wird St. Georg nicht fertig saniert sein. Die Stadt wird dann mit der evangelischen Kirche darüber sprechen müssen, wie sie die Renovierung im Inneren stemmen können. "Da besteht dringender Handlungsbedarf." Nördlingen würde die Arbeiten bis zum Jubiläumsjahr 2027 gerne abschließen: 600 Jahre zuvor, am 17. Oktober 1427, hatte der Rat der Reichsstadt Nördlingen den Bau der Kirche beschlossen.

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