Auch im Landtag mehren sich die Indizien, dass Weihnachten nicht mehr allzu fern ist. Im Steinernen Saal leuchten elektrische Kerzen an einer haushohen Weißtanne aus dem Westallgäu. Weit mehr Abgeordnete als sonst sind mit dem Rollkoffer unterwegs, ein untrüglicher Hinweis auf die letzte Sitzung vor einer längeren Pause. Und im Plenarsaal wird über ein Thema debattiert, das keinerlei Aufschub bis ins nächste Jahr duldet, zumindest aus Sicht der Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler. So offen sagen das allerdings nur Redner der Oppositionsparteien.
Fast drei Stunden beharken sich die Abgeordneten am Mittwoch zum Nachtragshaushalt 2019/20, der im Turboverfahren ins Parlament eingebracht wurde. Der Grund für die Eile liegt in der radikalen Abkehr der Staatsregierung von ihrer bisherigen Finanzpolitik. Die Schuldentilgung wird auf jährlich 50 Millionen Euro zurückgefahren. Statt einer Milliarde Euro in den kommenden beiden Jahren wird der Freistaat damit 900 Millionen Euro weniger zurückbezahlen. Das selbst gesteckte Ziel vom schuldenfreien Bayern bis 2030 ist nun endgültig Geschichte. Um das frei werdende Geld für Investitionen einsetzen zu können, muss es also schnell gehen zum parlamentarischen Jahresabschluss.
Nachtragshaushalt:Glückwunsch ans Volk
Markus Söder will deutlich mehr Jubilaren als bisher Grußkarten zukommen lassen. Das kostet fünf Millionen Euro zusätzlich. Die Grünen kritisieren, der Ministerpräsident schaffe sich mit Steuergeldern einen "aufgeblasenen Kampagnenapparat".
Man wüsste gerne, ob der Finanzminister - ein Freund solider Haushaltsarithmetik - wirklich hinter jedem der zig Einzelposten steht. So engagiert, wie Albert Füracker die Debatte eröffnet, lässt sich an seiner unverbrüchlichen Loyalität zum ausgabenfreudigeren Ministerpräsidenten Markus Söder nicht zweifeln. "Ein Zukunftsprogramm erster Güte" sei der Nachtragshaushalt, geprägt von Innovationen und Investitionen, dem "Traumpaar der Zukunft". 60,3 Milliarden Euro beträgt das Haushaltsvolumen für das nächste Jahr, 8,8 Milliarden oder 14,6 Prozent würden für Investitionen aufgewendet, betont Füracker. 346 Millionen Euro entfielen auf Söders insgesamt zwei Milliarden teure Hightech-Agenda, 72 Millionen zusätzlich auf den Artenschutz, 60 Millionen auf Klimaschutz, fast 10,3 Milliarden Euro auf den kommunalen Finanzausgleich. Kaum ein Projekt, kaum eine Berufsgruppe lässt der Finanzminister aus, ein besonderes Plädoyer hält er für den Stand der Bauern.
Ein Haushalt ist mehr als ein düsteres Gerippe aus Zahlen, er bildet die Schwerpunkte einer Regierung ab. Entsprechend leidenschaftlich geht es am Mittwoch zur Sache. "7,5 Milliarden Menschen leben auf dieser wunderbaren Erde. Mindestens sieben Milliarden beneiden uns um unser Leben in Bayern", behauptet Füracker. Der Freistaat sei "Kraftzentrum und Lokomotive" in Europa. Aber jeder müsse wissen: "Wohlstand ist nicht konservierbar, indem man einfach nichts mehr verändert." Auch Bayern müsse auf einen "technologischen Epochenumbruch" Antworten finden.
Die erste Antwort auf Fürackers Rede kommt von den Grünen. "Reines Alibi" sei die Tilgung von jährlich 50 Millionen, "da hätten Sie auch einen Euro reinschreiben können", kritisiert deren Haushaltssprecherin Claudia Köhler. In Wahrheit setze die Staatsregierung von den eingesparten 900 Millionen im Nachtragshaushalt nur 248 Millionen Euro für Investitionen ein. Pflegegeld, Familiengeld, Baukindergeld und vieles mehr: Etwa acht Milliarden gebe die Regierung Söder bis 2023 aus, rechnet Köhler vor. "All das sind Zuschüsse, keine Investitionen." Stattdessen bräuchte es mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr, für Hochschulen, Klimaschutz und Kinderbetreuung. Für die Grünen-Politikerin Köhler ist es "eine Kunst, nicht darin zu investieren in diesen Zeiten".
Porträt über Albert Füracker:Der Mann, der Söder alles sagen darf
Albert Füracker gilt als eher zurückhaltend - als Finanzminister und Vertrauter von Markus Söder aber hat er großen Einfluss. Zweifel an seiner fachlichen Eignung hat Füracker längst zerstreut.
Auch die AfD stört sich am abnehmenden Ehrgeiz, Schulden zu tilgen. "Wie soll es weitergehen, wenn die Einnahmen nicht mehr so sprudeln?", fragt der Abgeordnete Ferdinand Mang. Harald Güller (SPD) konstatiert einen "massiven Bruch" mit der Haushaltspolitik von Horst Seehofer, die CSU schmeiße "die Monstranz" der Schuldenfreiheit "mit voller Wucht in den Graben". Einen "Blenderhaushalt erster Rangordnung" habe Füracker vorgelegt, findet Güller. Er beklagt zu wenig Aufbruch und zu viel Politik mit der Gießkanne. Die Maßnahmen für Arten- und Klimaschutz seien der Regierung nur durch das Volksbegehren aufgezwungen worden. FDP-Mann Helmut Kaltenhauser wirft der Staatsregierung "Volksverdummung" und "Etikettenschwindel" vor. Nicht nur der Schuldenabbau werde jetzt faktisch aufgegeben, sondern auch der Pensionsfonds werde nicht stärker bedient, obwohl dies eigentlich wieder der Fall sein sollte.
Dass die Freien Wähler in der Regierung angekommen sind, beweist ihr haushaltspolitischer Sprecher Bernhard Pohl. "Wir haben deutschlandweit die beste Wirtschaft, die beste Industrie." Warum? "Weil Bayern seit Jahrzehnten die beste Wirtschaftspolitik macht", sagt Pohl, als wäre er gestern noch CSU-Mitglied gewesen. Die Koalition gebe Geld aus für die Zukunft, für die Regionen und die Mitte der Gesellschaft. Nur wer jetzt investiere, werde langfristig hohe Steuereinnahmen erzielen, sagt Josef Zellmeier (CSU), der Vorsitzende des Haushaltsausschusses.
Investieren wollen irgendwie alle, nur worin? Grüne und SPD fordern etwa mehr Geld für den Nahverkehr, die AfD für Brücken und neue Straßen. "Die einen werden sagen: Hier ist zu viel und da zu wenig Geld vorgesehen", ahnte Füracker. "Aber das muss man aushalten als Finanzminister."