Geschichte:Wissen statt Hass

Lesezeit: 3 min

Die Synagoge der Kultusgemeinde Floß (Oberpfalz). Die Aufnahme der Innenansicht mit Thoraschrein stammt aus dem Jahr 1934. (Foto: Central Archives for the History of the Jewish People)

Die Archive von 200 ausgelöschten jüdischen Kultusgemeinden in Bayern werden in Jerusalem verwahrt. Nun werden die wertvollen Bestände digitalisiert und ins Netz gestellt.

Von Hans Kratzer

Dass der frühere Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) nicht nur schöne und entspannte Tage erlebt, das liegt nicht zuletzt an seinem jetzigen Amt als Beauftragter der Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Auch in Bayern bewegt sich die Zahl der antisemitischen Straftaten auf konstant hohem Niveau. Am Montag aber strahlte Spaenle bei einem Pressetermin im Bayerischen Hauptstaatsarchiv übers ganze Gesicht. "Ich freu mich heute wirklich aus tiefstem Herzen", sagte er gleich bei der Begrüßung, und er hatte allen Grund dazu. Schließlich konnte er den Start eines Projekts vermelden, auf das er und die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns mit Unterstützung des Wissenschaftsministeriums seit Jahren hingearbeitet haben.

In Zusammenarbeit mit den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jersusalem werden nun 200 Archive jüdischer Gemeinden in Bayern vollständig digitalisiert. Am Montag wurden die ersten drei Bestände ins Netz gestellt. Bis 2028 soll das Projekt abgeschlossen sein.

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Auch wenn dieses Ziel zunächst unspektakulär klingen mag, so bilden die Archive der jüdischen Kultusgemeinden eminent wichtige Quellen für die Forschungen zur jüdischen Geschichte in Bayern und in Deutschland. Sie ermöglichen tiefe Einblicke in das jüdische Leben im 18., 19. und 20. Jahrhundert, von dem vieles noch unbekannt ist. Es besteht kein Zweifel, dass diese Gemeinden bis zum Holocaust das Leben in Bayern mitgestaltet und bereichert haben. Man denke nur daran, dass viele in Amerika ansässige Weltunternehmen fränkisch-jüdische Wurzeln haben. Es sei exemplarisch Levi Strauss erwähnt, der 1829 als Löb Strauss in Buttenheim bei Bamberg geboren wurde und 1847 nach Amerika auswanderte, wo er einen Stoffhandel betrieb und die Jeans erfand. Das Potenzial dieser Menschen konnte freilich in Bayern durch restriktive Gesetze oft nicht zur Entfaltung kommen.

Wer bislang Einblick in die jüdischen Archive nehmen wollte, musste eigens dafür nach Jerusalem reisen. "Dass die Akten noch existieren, ist ein Zufall der Geschichte", sagte Bernhard Grau, der Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns. Die meisten Bestände wurden nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 durch Gestapo-Dienststellen beschlagnahmt oder von Behörden und Polizei entwendet. Viele Akten überdauerten den Krieg in den Staatlichen Archiven Bayerns. Nach dem Kriegsende wurde das Gros der Archivbestände von der US-Militärregierung beschlagnahmt und Anfang der 1950er-Jahre an die CAHJP in Jerusalem übergeben. Dort sollte ein zentraler Ort für die Überlieferung der jüdischen Gemeinden entstehen und den durch den NS-Unrechtsstaat ausgelöschten Gemeinden und ihren Mitgliedern ein würdiges Denkmal gesetzt werden.

In 13 bayerischen Städten existieren noch jüdische Gemeinden

Ein freier Zugang zu den Beständen über das Internet war seit Langem ein Wunsch der lokalen wie der überregionalen Forschung. In 13 bayerischen Städten existieren heute noch jüdische Gemeinden. Das ist nur ein Bruchteil früherer Stärke. Deshalb zeigt sich Spaenle überzeugt davon, "dass wir über Protokollbücher, Mitgliederlisten und Bauunterlagen vielfältige Informationen über das gesellschaftliche und religiöse Leben in Bayern erfahren werden".

Schon im Sommer 2022 schloss die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns eine Kooperationsvereinbarung mit den CAHJP ab, deren Ziel die vollständige Digitalisierung von rund 200 Archiven jüdischer Gemeinden und Rabbinate und ein Online-Zugang über die Findmitteldatenbank der Staatlichen Archive Bayerns ist. Die gut 7600 Archivalien erstrecken sich zeitlich vom 18. Jahrhundert bis in die 1930er-Jahre.

"Gebet für die glückliche Entbindung ihrer königlichen Majestät Theresia zu Baiern" in deutscher und hebräischer Sprache, überliefert im Archiv der Kultusgemeinde Wallerstein (Schwaben). (Foto: Central Archives for the History of the Jewish People)

Der Umfang der einzelnen Gemeindearchive ist sehr unterschiedlich. Viele Bestände bestehen nur aus wenigen Akten, andere aus 200, vereinzelt sogar aus mehr als 500 Archivalien, wie etwa im Fall der Kultusgemeinden Bamberg und Fürth.

Als erstes Ergebnis wurden am Montag die Archive der jüdischen Gemeinden Floß (Oberpfalz), Treuchtlingen (südliches Mittelfranken) und Wallerstein (Schwaben) online gestellt. Die Überlieferung aus Wallerstein reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück und bricht Mitte des 19. Jahrhunderts ab. Jene aus Treuchtlingen konzentriert sich vor allem auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hingegen erstrecken sich die Archivalien der Gemeinde Floß über den Zeitraum vom 18. Jahrhundert bis in die 1930er-Jahre. Inhaltlich decken die Unterlagen zahlreiche Bereiche des Gemeindelebens ab: Statuten und Protokollbücher, Rechnungsunterlagen, Akten über das Schul- und Begräbniswesen, über Wirtschaft, Handel und Abgaben, Recht, Rabbinat und Kultus, Bausachen und Nachlässe.

"Die geschichts- und kulturpolitische Bedeutung der Digitalisierung der Archive der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Bayern ist nicht hoch genug einzuschätzen", betonte Spaenle. "Wir werden wichtige neue Erkenntnisse gewinnen - im Sinne von Bausteinen von Wissen, das wiederum eine wichtige Grundlage gegen Judenhass ist."

Die Unterlagen der jüdischen Gemeinden in der Findmitteldatenbank der Staatlichen Archive Bayerns unter www.gda.bayern.de/service/

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGeschichte
:Sternstunde der Demokratie

Vor 75 Jahren begannen Sachverständige auf der Insel Herrenchiemsee mit der Ausarbeitung des Entwurfs für das Grundgesetz. Es dauerte nur 14 Tage, bis ein Ergebnis vorlag, auf das Deutschland auch heute noch stolz sein darf.

Von Hans Kratzer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: