Der Kühlturm dampft einfach weiter, als wäre die Nacht von Dienstag auf Mittwoch eine Nacht wie jede andere gewesen im Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut. Nur, es war keine normale Nacht, nicht wenn man das Ultimatum kennt, das Carsten Müller neulich im Landtag formuliert hat.
"Es wird höchste Eisenbahn", sagte Müller, der Isar 2 für die Eon-Tochter Preussen-Elektra leitet. Seine Botschaft war klipp und klar: Will die Politik das letzte bayerische Atomkraftwerk, das Ende Dezember abschalten soll, über 2022 hinaus laufen lassen, muss schleunigst eine Entscheidung her. Um Personal zu beschaffen, Brennstäbe zu besorgen, Sicherheitsprüfungen nachzuholen. Die Deadline? Ende Mai, sagte Müller. War's das jetzt also mit der Renaissance der Kernkraft in Bayern?
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"Eine neue Sachlage gibt es aus unserer Sicht nicht", sagt eine Sprecherin der Preussen-Elektra GmbH an diesem Mittwoch, 1. Juni, nachdem die Deadline verstrichen ist. Und: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu dieser Debatte nicht weiter äußern möchten." Man darf das vermutlich so übersetzen: Ja, das war's.
Und wie sieht man die Dinge in der Staatskanzlei, im Haus des Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), der in den vergangenen Wochen praktisch keine Gelegenheit sausen ließ, um für eine befristete Laufzeitverlängerung der Kernkraft zu trommeln? Er warnt vor Stromengpässen, sollte sich die Energiekrise wegen des Krieges gegen die Ukraine noch verschärfen. Auf Nachfrage verweist ein Sprecher der Staatskanzlei am Mittwoch auf Gutachten des bayerischen Umweltministeriums und des TÜV, wonach ein Weiterbetrieb von Isar 2 realistisch sei. Das wiederum klingt nach: Nein, das war's noch nicht.
Was gilt denn nun? Womöglich ist man gut beraten, am Ende der Atom-Deadline mal der ganz grundsätzlichen Frage nachzuspüren, ob die Kernkraftdiskussion der vergangenen Wochen jemals echte Substanz hatte. SPD-Landtagsfraktionschef Florian von Brunn hat das für sich schon beantwortet. Dass Söder den Bund zur Atom-Renaissance drängt, war für ihn von Beginn an eine "PR-Strategie". Ein "politisches Ablenkungsmanöver", sagt Brunn. Um zu kaschieren, dass die CSU die bayerische Energiepolitik "in eine Sackgasse geführt" habe, "versucht man, den schwarzen Peter nach Berlin zu schieben". Statt sich "substanziell und inhaltlich reinzuarbeiten", habe Söder zuletzt nur Volksfeste besucht, lästert Brunn.
Tatsächlich füllt Söder seinen Instagram-Kanal seit Wochen sehr fleißig mit Bierzeltbildern. Er hat den Augsburger Plärrer besucht, das Nürnberger Volksfest, das Münchner Frühlingsfest, das Passauer Maifest, zuletzt war er im Zelt auf der Truderinger Festwoche. Das Gespräch mit den Betreibern des Kernkraftwerks Isar 2 hat der Ministerpräsident dagegen nicht gesucht, kein einziges Mal.
"Das bestätigt mich nur", sagt SPD-Mann Brunn über seinen Verdacht, dass hinter Söders Trommeln für die Kernkraft mehr Schaufensterpolitik stecken könnte als Substanz und ernsthaftes Interesse für die Energiepolitik. Alles nur Bluff, um hinterher die Schuld auf Berlin schieben zu können, falls der Strom doch knapp wird? Nach dem Motto: Hättet ihr mal auf Bayern gehört und die Kernkraftwerke laufen lassen?
Tatsache ist: Entscheiden kann nur der Bund, Gespräche zwischen Söder und den Isar-2-Betreibern wären eher symbolisch gewesen. Tatsache ist auch: Die Chance auf eine Laufzeitverlängerung der drei noch verbliebenen deutschen Kernkraftwerke war schon zu Beginn der jüngsten Debatte minimal. Dass ausgerechnet die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke und der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Atom-Renaissance anzetteln, das konnte niemand ernsthaft erwarten, auch Söder nicht.
Es gab allerdings schon vor dem Krieg gegen die Ukraine Umfragen, in denen sich viele Menschen offen zeigten für eine Zukunft der Atomkraft, um sich unabhängiger von russischer Energie zu machen. Diese Umfragen haben Söder beeindruckt, heißt es in der CSU. Blanken Populismus will ihm deshalb aber nicht mal der SPD-Fraktionschef unterstellen. In einer "Ausnahmesituation" sei es "notwendig und legitim, dass man auch alle Möglichkeiten noch einmal diskutiert", sagt Florian von Brunn.
Keine Stromengpässe
Selbst Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte ja zunächst gesagt, dass er eine weitere Nutzung der Atomenergie nicht "ideologisch abwehren" werde und sein Ministerium dies prüfe. Manche interpretierten dies als zartes Anzeichen einer Kehrtwende in der grünen Energiepolitik - doch schon im März erteilten Habeck und Umweltministerin Lemke der Atom-Renaissance eine Absage.
Mitte Mai erläuterte Habecks Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit die Argumente der Bundesregierung auch im bayerischen Landtag. "Wir sehen in einer Laufzeitverlängerung eine Risikoerhöhung, die angesichts der Stromversorgungssituation nicht gerechtfertigt ist", sagte Gerrit Niehaus. Auch Johannes Kemper von der Bundesnetzagentur nannte den Beitrag der Kernenergie an der Gaseinspeisung "marginal" und sah für den kommenden Winter keine drohenden Stromengpässe, die eine Laufzeitverlängerung rechtfertigen könnten.
Der Bund sperrt sich, die Kernkraftbetreiber winken ab. Trotzdem feuert die Staatsregierung die Debatte weiter an. Noch am Dienstag, dem Tag vor der Isar-2-Deadline, warb Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) in seiner Regierungserklärung für ein Laufenlassen, "wenigstens um mehrere Monate", um Engpässen vorzubeugen. Dass die Bundesnetzagentur gar kein Risiko für Engpässe sieht, zweifelte Aiwanger erneut offen an - und verlangte von der Bundesregierung, bei der Kernkraft ihre "ideologischen Scheuklappen" abzulegen.
"Technisch möglich"
Auch im bayerischen Umweltministerium will man die Laufzeitverlängerung nicht abhaken, Deadline hin oder her. "Es liegt jetzt in der Hand der Bundesregierung, die geeigneten rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen und mit den Betreibern die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auszuhandeln", lässt ein Sprecher wissen und sagt, dass das Ministerium "regelmäßige Gespräche" mit den Betreibern geführt und dabei "auch Fragen einer möglichen Laufzeitverlängerung diskutiert" habe.
Laut hauseigenem Gutachten, das SPD-Mann Brunn "politisch eingefärbt" nennt, sei ein Weiterbetrieb "technisch möglich", teilt der Ministeriumssprecher noch mit. Dass Preussen-Elektra gar keine Chance mehr für den Weiterbetrieb sieht? Scheint im Umweltministerium nicht sonderlich zu interessieren.