Einzelhandel in Bayern:Volle Lager, leere Kassen

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In Bad Reichenhall demonstrierten am Freitag Einzelhändlerinnen und Einzelhändler gegen den Lockdown. In der Branche wächst die Verzweiflung. (Foto: privat)

Angesichts des monatelangen Lockdowns wachsen unter den Einzelhändlern Wut und Verzweiflung. Die Hoffnungen auf eine Besserung der Situation im März sind gering.

Von Maximilian Gerl, Elena Kolb, Matthias Köpf und Clara Lipkowski

Weil das erhoffte Wunder ausblieb, haben sie irgendwann angefangen, wenigstens Wundertüten zu packen. Pakete mit Winterware in jeweils einer bestimmten Kleidergröße, garantierter Warenwert mindestens 200 Euro. Die Kunden konnten diese Wundertüten für 50 Euro haben, ohne Rückgaberecht, aber dafür eben mit einem Rabatt von mindestens 75 Prozent. Die Tüten waren begehrt bei den Bad Reichenhallern, das eigentliche Wunder ist aber immer noch nicht geschehen. Alles bleibt zu.

Das mitten in der Reichenhaller Fußgängerzone gelegene Kaufhaus Juhasz hat die Saisonware mit der Aktion unter dem Einkaufspreis losgeschlagen, rechnet Geschäftsführer Ulrich Wassermann vor. Man habe also draufgezahlt, aber immerhin habe man so im Geschäft und im Lager wieder Platz geschaffen für die Frühjahrsmode. Vor allem aber habe man wenigstens wieder ein bisschen "Liquidität geschaffen", wie Wassermann das ausdrückt. Also Geld eingenommen, um die laufenden Lieferungen für das Frühjahr überhaupt bezahlen zu können.

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Wassermann will die aktuelle Ware diesmal im Haus haben. Während des ersten Lockdowns im vergangenen Frühjahr war die bestellte Ware zunächst beim Lieferanten im Lager geblieben - und als die Händler dann doch wieder aufsperren durften, sei sie dann fast zu spät im Kaufhaus angekommen. Darauf, dass ihnen die Staatsregierung irgendwann wieder das Aufsperren erlaubt, will Wassermann dieses Mal aber nicht mehr warten. Die zweite Zwangsschließung dauert hier im Berchtesgadener Land wegen des frühen lokalen Lockdowns im Oktober inzwischen schon mehr als vier Monate.

Die Umsatzausfälle sind gewaltig, aber in diesem Fall spielen wenigstens die Banken noch mit, denn zumindest eine Sicherheit ist da: Im Gegensatz zu vielen anderen gehört der Firma Juhasz das eigene Kaufhaus, sodass wenigstens kein Vermieter bedient werden muss. Das Personal ist überwiegend in Kurzarbeit, aber eine Dauerlösung ist auch das nicht. Wassermann hat sich deshalb der bundesweiten Initiative eines Frankfurter Modelabels und einer Werbeagentur abgeschlossen.

Die hat unter dem Namen "freundschaftsdienst.eu" bereits mit mehreren Kampagnen die Öffnung der Läden gefordert. Am Freitag wollte auch Wassermann wieder dabei sein: "Wir stehen auf_Recht" heißt der aktuelle Slogan. Die Initiative sammelt mit einer Anwaltskanzlei Kläger aus der Modebranche gegen die Ladenschließungen. Denn besonders die Modehändler sitzen auf zahllosen Stücken, die sie selbst für "verderbliche Ware" halten, weil sie im kommenden Winter nicht mehr gefragt sein wird und derzeit sowieso nur die Lager und Kleiderständer für die Frühlingssaison verstopft.

Das analoge "Click and Collect" funktioniert - doch der Aufwand ist immens

Die vage Aussicht, am 7. März wieder aufsperren zu dürfen, sieht Wassermann jedenfalls für das Berchtesgadener Land nicht. Dass die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Neuinfektionen bis dahin stabil unter 35 liegt, damit rechnet im ehemaligen Corona-Hotspot kaum jemand. Drüben in Salzburg, wo die Inzidenzen auch nicht besser sind, haben die Geschäften inzwischen wieder offen. An den großen Grenzübergängen werde zwar streng kontrolliert, aber an kleineren Fußgänger- und Radwegstegen sehe man immer wieder Menschen mit voll gepackten Einkaufstüten über die Saalach kommen.

Am Montag dürfen in Bayern Friseure, Baumärkte und Blumenläden wieder aufsperren. Das gönnen viele Händler zwar den Kollegen, sie fühlen sich aber benachteiligt, schließlich seien auch Modeartikel "verderbliche Waren". Einen erste Eilantrag gegen die aktuellen Schließungsmaßnahmen wies am Donnerstag der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ab, ein Textilhändler hatte geklagt. Weitere Verfahren dürften folgen, denn es vergeht kein Tag ohne Proteste verzweifelter Geschäftsleute, die inzwischen nervlich und finanziell am Ende sind.

Auch Andrea Walter leidet unter dem Lockdown. Im Herzen der Grenzstadt Freilassing betreibt sie das traditionsreiche Schuhhaus Baumgartner. Immerhin sei mit der Corona-Situation jetzt stets ein Parkplatz vor ihrem Laden frei, sagt sie. Dort können die Stammkunden parken, für die Walter Pakete zum Abholen packt. "Click and Collect" funktioniert bei ihr analog. Ihr Angebot kann im Schaufenster begutachtet werden. Die Kunden können sich dort Schuhe aussuchen, Walter verpackt dann verschiedene Modelle und Größen zum Anprobieren. "Kunden aus Salzburg haben durch die geschlossenen Grenzen gar nicht die Möglichkeit, meine Ware anzusehen", sagt Walter. Nach Österreich könne sie auch keine Pakete verschicken, da die Versandkosten für sie einfach zu teuer seien.

Andrea Walter, die im Herzen der Grenzstadt Freilassing das traditionsreiche Schuhhaus Baumgartner betreibt, leidet unter dem Lockdown. (Foto: privat)

Das Konzept des analogen "Click and Collect" funktioniere bei ihr zwar ganz gut, "aber der Aufwand, den ich dafür betreibe, ist unverhältnismäßig groß", sagt Walter. Sie hat 2020 circa 40 Prozent Verluste gemacht. Auch in ihrem Lager stapeln sich die Winterschuhe, die sie wahrscheinlich bald verramschen muss. Trotzdem hat sie Frühjahrsware liefern lassen. Sie hofft, dass ihr Geschäft zu Ostern wieder öffnen darf. "Es wäre natürlich fatal, dann keine passenden Schuhe anbieten zu können", erzählt sie.

Walter führt das Schuhhaus schon in dritter Generation. "Mein Großvater hat das Geschäft 1930 zum Verkauf von Lebensmitteln gegründet. Seit 1965 verkaufen wir nur noch Schuhe", sagt Walter. Sie selbst ist seit 2001 Inhaberin. Wie lange sie noch weitermachen will, das weiß sie nicht. "Ich habe das Gefühl, dass die Regierung gerade den inhabergeführten Einzelhandel kaputt macht und wir wohl bald vor leeren Innenstädten stehen."

In Augsburg verkauft Claudia Michl Kleidung in Übergrößen. "Unsere Kunden brauchen individuelle Beratungen. Da funktioniert kein Online-Handel", sagt Michl. Sie biete "Click and Collect" nur an, um ihren Kunden etwas Gutes zu tun. Die wenigen Bestellungen, die sie bekommt, seien dann oft solidarische. Damit lässt sich nicht all die Ware verkaufen, die Michl im Lager hat: "Wir befinden uns in einem Meer von Kartons", sagt sie. Eigentlich hatte sie auf den Frühlingsverkauf gehofft. "Im Frühjahr haben die Leute Laune, und wenn dann auch noch die Sonne rauskommt, wollen sie neue Farben kaufen", so Michl. Mit den Einnahmen von März und April würde ihr Geschäft normalerweise die schlechten Monate finanzieren.

Am 13. März wird Michl trauriges Jubiläum feiern: ein Jahr Arbeit, keinen Cent Verdienst

Doch Michl blickt zurück auf ein ganzes Jahr mit schlechten Monaten. 2020 hat sie 30 Prozent weniger Umsatz gemacht. Um ihr Geschäft über Wasser halten zu können, hat sie Schulden aufgenommen und ihre Altersvorsorge aufgebraucht. Am 13. März wird sie das traurige Jubiläum feiern, "365 Tage gearbeitet zu haben, ohne einen Cent plus zu machen", so Michl. Je länger der Einzelhandel zubleiben muss, desto weniger Verständnis hat auch sie für die Maßnahmen. Gerade im Hinblick auf die Supermärkte, die auch Kleidung verkaufen. Während bei Michl die Türen geschlossen bleiben, "prügeln sie sich bei Aldi am Donnerstag um die Angebote", sagt sie.

Auch in Nürnberg bangt die Hut- und Mützenverkäuferin Marie-Luise Schneider um die Existenz ihres Ladens, den sie vor knapp fünf Jahren übernommen hat, der aber bereits seit 1878 in Nürnberg besteht. Das Weihnachtsgeschäft im "Herr Bromme und das tapfere Schneiderlein" sei komplett weggebrochen, sagt die 32-Jährige, und auch im Hochwinter, an den Tagen, an denen es mit Temperaturen weit unter null sehr kalt war, sei "so gut wie gar nichts weggegangen". "Click and Collect" mache nur "einen Bruchteil" des Umsatzes aus, sagt sie. Ihr Laden unweit des Hauptmarkts in der Nürnberger Innenstadt lebe davon, dass Kundinnen und Kunden zum Probieren vorbeikämen, für die richtige Hutgröße vermesse sie schließlich auch Köpfe.

In Nürnberg bangt die Hut- und Mützenverkäuferin Marie-Luise Schneider um die Existenz ihres Ladens. (Foto: privat)

Weil sie auf viel Ware sitzen geblieben ist - sie kann sie nicht an Lieferanten zurückgeben -, lagert sie nun vieles ein und arbeitet es nächstes Jahr für den Verkauf um, die 32-jährige Designerin ist auch gelernte Schneiderin. Immerhin sei viel ihrer Ware zeitlos, sagt sie. Dennoch werde sie einiges zu deutlich reduzierten Preisen verkaufen müssen. Um der Situation etwas Gutes abzuringen und anderen zu helfen, hat sie hundert Mützen an die Obdachlosenhilfe in Nürnberg gespendet.

Finanziell gehe es derzeit noch, sagt Schneider, ihre Mutter hilft gelegentlich im Laden mit, wurde aber eigentlich freigestellt, weil sie als Rentnerin kein Kurzarbeitsgeld erhält. Ihre Lieferanten seien "sehr fair" und haben Zahlungen teils um zwei, drei Monate verschoben. Nach einer staatlichen Finanzhilfe im ersten Lockdown, die Schneider relativ reibungslos bekommen hat, hofft sie nun auf weitere Unterstützung - und vor allem darauf, dass sie wieder aufsperren kann.

© SZ vom 27.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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