Landgericht:"Medizinskandal von bundesweiter Tragweite"

Lesezeit: 2 min

Der wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte Anästhesist beim Prozessauftakt. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Ein Anästhesist hat 51 Patienten mit Hepatitis C angesteckt, weil er süchtig nach Schmerzmitteln war und eklatant gegen Hygieneregeln verstieß. Das Augsburger Landgericht verurteilte ihn nun zu zwei Jahren Haft auf Bewährung.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Dass dies kein alltäglicher Prozess sei, daran erinnerte der Vorsitzende Richter Christoph Kern gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung. "Ein Medizinskandal von bundesweiter Tragweite" sei hier zu verhandeln gewesen, der das Vertrauen in die Ärzteschaft national massiv geschädigt und auch die Reputation der Donau-Ries-Kliniken beschädigt habe. 51 Patienten, stellte das Landgericht fest, hat der angeklagte Anästhesist mit Hepatitis C infiziert, weil er sich für sie bereit gelegte Narkosemittel abgezweigt habe, um seine Schmerzen wegen einer chronischen Krankheit zu lindern und seine Sucht zu stillen - und dabei eklatant gegen Hygieneregeln verstoßen habe. Das Landgericht verurteilte den 61-Jährigen, der seine Approbation zurückgegeben hat, wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung mit strengen Auflagen.

Kern war es offensichtlich ein Anliegen, das Urteil ausführlich zu begründen, weil er ahnte, dass nicht nur Geschädigte die Strafe als zu mild empfinden könnten. Als "Lachnummer" bezeichnete eine Zuschauerin dann auch die Strafe. Zwei Jahre Haft für einen Mann, der sich zuvor nie etwas zu schulden kommen ließ, sei tatsächlich aber eine massive Strafe, betonte Kern. Zur Bewährung habe das Gericht die Freiheitsstrafe ausgesetzt, weil sich der Arzt im Verlauf des Prozesses geständig und ehrlich reuig zeigte. Er habe sich wiederholt entschuldigt, lebe in geordneten Verhältnissen, vor allem sei aber nicht davon auszugehen, dass er erneut strafbar werden könnte. Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer drei Jahre Haft ohne Bewährung gefordert.

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Die über allem stehende Frage, wie der 61-Jährige die Patienten zwischen Februar 2017 und April 2018 anstecken konnte, war nicht eindeutig zu klären. Offenbar steckte der Anästhesist sich selbst bei einem Patienten an, als er sich Schmerzmittel abzweigte, bemerkte die Infektion aber nicht. Wiederholt hat er Nadeln zweimal benutzt, teils verletzte er sich selbst wegen seiner zittrigen Hände, wenn er mit Spritzen hantierte. So war es nicht verwunderlich, dass es zu Blut-zu-Blut-Kontakt mit Patienten kam, wobei der Arzt in solchen Fällen nicht den üblichen Meldeweg ging, sondern die Vorfälle seinen Kollegen verschwieg. Am Ende überraschte ihn eine OP-Schwester, als er sich selbst eine Spritze mit Narkosemittel setzte, worauf er umgehend vom Dienst freigestellt wurde.

Der Arzt litt seit vielen Jahren unter Depressionen, dann auch unter einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung. Er griff zu immer stärkeren Schmerzmitteln, bevor er auf die Idee kam, sich selbst Narkosemittel abzuzweigen. Die für Patienten bereitgelegten Spritzen füllte er mit Kochsalzlösung auf, um seine Taten zu vertuschen. Er selbst fühlte sich durch die Mittel schmerzfrei, antriebsstark und euphorisiert. Die betroffenen Patienten sind zwar von Hepatitis C körperlich geheilt und haben eine Entschädigung erhalten. Bis heute leiden sie jedoch psychisch unter der Infektion und fühlen sich teils stigmatisiert. Insgesamt 1700 Frauen und Männer wurden aufgefordert, sich auf Hepatitis C testen zu lassen. Sie alle wurden im untersuchten Zeitraum in dem Krankenhaus von dem Narkosearzt behandelt.

Als Bewährungsauflagen legte das Gericht fest, dass der 61-Jährige seine Therapie fortsetzen sowie Urin- und Bluttests zulassen muss, er muss 6000 Euro an Ärzte ohne Grenzen spenden und 200 Stunden Sozialarbeit leisten. Richter Kern sagte: "Wir sind der Überzeugung, dass Sie der Gesellschaft einen Teil dessen, was sie angerichtet haben, zurückgeben können."

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