Bayerischer Landtag:AfD-Abgeordneter löst Eklat beim Gedenken an Lübcke aus

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Ralph Müller, Abgeordneter der AfD, bei der Plenarsitzung im Bayerischen Landtag im Plenarsaal. (Foto: dpa)
  • Bei einer Gedenkminute für den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im bayerischen Landtag ist der AfD-Abgeordnete Ralph Müller auf seinem Platz sitzen geblieben.
  • Einen Fehler vermag Müller in seinem Verhalten nicht zu erkennen.
  • Die Redner vor und nach Müller warfen dem AfD-Mann eine gezielte Provokation vor. Auch Ministerpräsident Söder zeigte sich empört.

Von Wolfgang Wittl, München

Für einen Moment sieht es so aus, als würde sich die interne und externe Aufregung, mit der sich die AfD in den vergangenen Tagen wieder mal hingebungsvoll selbst beschäftigt hat, ein bisschen legen. Am Mittwochvormittag trifft sich die Fraktion im Landtag zu ihrer nächsten Sitzung. Statt neuer Streitereien berichten die meisten Abgeordneten hinterher von einer unerwartet "sachlichen Atmosphäre". Der nächste Eklat, so scheint es, ist abgewendet. Doch dann kommt die Plenarsitzung. Und mit ihr der denkwürdige Auftritt des AfD-Mannes Ralph Müller.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner eröffnet die Sitzung mit einer Gedenkminute für den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), der von einem Rechtsextremisten mutmaßlich ermordet wurde. "Wer mit Worten Tabus bricht, leistet der Verrohung in unserer Gesellschaft Vorschub und hat Anteil daran, wenn es zu Gewalttaten kommt", mahnt Aigner: "Unser Umgang miteinander hat Vorbildcharakter." Gut zwei Minuten spricht Aigner, alle Abgeordneten stehen auf, wie es sich beim Totengedenken gehört. Nur der Mann in der ersten Reihe der AfD-Bank bleibt sitzen: Ralph Müller. Erst als Aigner bereits zwanzig Sekunden lang an einen weiteren Verstorbenen erinnert, den früheren SPD-Abgeordneten Horst Haase, erhebt sich Müller von seinem Platz.

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Der AfD-Abgeordnete Ralph Müller hat sich im Bayerischen Landtag bei einer Gedenkminute für den ermordeten Walter Lübcke ungeheuerlich verhalten. Schon einmal hat die Fraktion offen ihre Gesinnung gezeigt.

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Einen Fehler vermag Müller nicht zu erkennen. "Ich kann in dem Verhalten keine Schuld sehen", sagt er Minuten später am Rednerpult. Wegen des Vorfalls war die Tagesordnung kurzfristig geändert worden, alles dreht sich jetzt um die verweigerte Ehrbezeugung. Müllers Beitrag dient nicht dazu, die Situation zu entspannen. Dass er "ein paar Sekunden" sitzen geblieben sei, liege an einer "Unachtsamkeit", da er noch an einer Rede gearbeitet habe. Sehr wohl achte er Lübcke und dessen Familie. Eine Entschuldigung, wie sie die Abgeordneten aller anderen Fraktionen fordern, kommt Müller zunächst nicht über die Lippen. Selbst als Aigner dezidiert darum bittet, folgt: nichts. Stattdessen sagt Müller: "Diese moralingetränkte Hexenjagd weise ich zurück, weil sie auch nicht angebracht ist."

Die Redner vor und nach Müller werfen dem AfD-Mann eine gezielte Provokation vor. "Das ist schändlich, das ist ehrlos und lässt auf Ihren Charakter ganz tief blicken", donnert Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Man wisse nicht, was schlimmer sei, schimpft Margit Wild (SPD): Müllers Verhalten beim Gedenkakt oder seine vermeintliche Rechtfertigung. "Ihre Erklärung war scheinheilig, dreist und verlogen." Er sei von Müllers Verhalten "menschlich angewidert", wettert Fabian Mehring von den Freien Wählern. FDP-Fraktionschef Martin Hagen erkennt eine "Pietätlosigkeit sondergleichen". Die AfD-Fraktion müsse jetzt Konsequenzen ziehen, sonst müsse sie sich "diese widerwärtige Aktion" anrechnen lassen.

Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigt sich empört: "Einem Verstorbenen das Totengedenken demonstrativ zu verweigern, ist ehrverletzend, respektlos und ein beispielloser Fehltritt im bayerischen Landtag aus den Reihen der AfD." Dieses Verhalten zeige "wieder einmal die wahre Gesinnung". CSU-Generalsekretär Markus Blume sekundiert: "Diese AfD und ihre Vertreter sind eine Schande für den bayerischen Landtag." Viele Parlamentarier verlassen demonstrativ den Plenarsaal, als Müller erneut ans Pult tritt. Sogar AfD-Abgeordnete raunen mit Blick auf den Kollegen: "Das wird ein Nachspiel haben."

Der Vorfall überdeckt für ein paar Stunden den Machtkampf, der innerhalb der AfD-Fraktion tobt. In einer Krisensitzung am Montag hatte eine Abstimmung über die umstrittene Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner ein Patt ergeben: Zehn Abgeordnete votierten für sie und Geschäftsführer Christoph Maier, zehn gegen sie. Die Chefin kann also nicht mehr auf das Vertrauen der Fraktion bauen. Das liegt wohl auch daran, dass Ebner-Steiner in der Sitzung interne E-Mails von acht Abgeordneten verliest, die sie kritisch sehen und offenbar an ihrer Ablösung arbeiten. Die vertraulichen E-Mails wurden vom AfD-Server heruntergeladen und Ebner-Steiner nach eigener Aussage anonym zugespielt. Das hindert sie nicht daran, den Schriftverkehr der Kollegen ins Netz zu stellen.

Für die Abgeordnete Anne Cyron ist klar: Die Chefin muss zurücktreten. "Frau Ebner-Steiner ist für die Fraktion verantwortlich als Vorsitzende, damit hat sie die Konsequenzen zu tragen." Auch der Kollege Franz Bergmüller fordert den Rücktritt, denn damit würde der Weg für einen Neuanfang frei werden. Der Abgeordnete Uli Henkel sagt, es sei legitim, zu sondieren, ob man ein neues Team brauche. Und Ebner-Steiner? "Wir haben heute sehr konstruktiv zusammengearbeitet, von daher schaue ich positiv in die Zukunft."

Ob Ebner-Steiner vor der turnusmäßigen Wahl im Oktober zurücktritt, interessiert am Nachmittag kaum jemanden. Ilse Aigner führt ein deutliches Gespräch mit Ralph Müller, zweieinhalb Stunden nach dem Eklat spricht er abermals zum Parlament: "Ich entschuldige mich ausdrücklich für dieses Verhalten, dass ich gegebenenfalls zu lange sitzen geblieben bin." Zum Mord sagt Müller: "Wir lehnen ein solches politisches Mittel selbstverständlich ab."

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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