In der Überstellungsliste aus dem KZ Flossenbürg wird Jakob Bamberger als "Aso" diffamiert, als sogenannter "Asozialer" - und als Artist. Geboren 1913 in Königsberg, war Bamberger als Boxer erfolgreich, als "Nicht-Arier" strichen die Nationalsozialisten ihn dennoch aus dem Kader für die Olympischen Spiele 1936. Drei Jahre später errang Bamberger noch die Vizemeisterschaft im Fliegengewicht, 1941 wurde er verhaftet. Im KZ Dachau musste er Meerwasser-Trinkversuche über sich ergehen lassen, später kam er in die Halle 116 nach Augsburg, Stadtteil Pfersee. Etwa 4000 Zwangsarbeiter durchliefen das Außenlager des KZ Dachau, bis zu 2000 von ihnen waren von 1944 an gleichzeitig dort untergebracht. Nun ist die Halle 116 ein Gedenk- und Erinnerungsort - mit einer eindrücklichen Ausstellung.
"Ein ähnliches Projekt solch einer Dimension gibt es sonst nicht in Schwaben", sagt Felix Bellaire von der Augsburger Fachstelle für Erinnerungskultur. Es soll auch als Leuchtturm für andere ehemalige Außenstellen des KZ Dachau in Schwaben dienen und diese vernetzen. Auf 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche lernen Besucher nicht nur die Geschichte der Halle von der Luftnachrichtenkaserne der Wehrmacht über ein Zwangsarbeiterlager bis zur Nachkriegsnutzung durch die US-Armee kennen. Sondern auch die Geschichte des Nationalsozialismus von der Machtergreifung bis zur Niederschlagung und den folgenden Umbrüchen, alles mit Bezug zu unmittelbaren Geschehnissen in Augsburg. Und über Schautafeln, Videos, Hörbeispiele von Zeitzeugeninterviews und Installationen verknüpft mit konkreten Biografien wie jener von Bamberger - aber auch von Tätern.
"Für die Erinnerung ist es wichtig, Ereignisse an konkreten Lebensgeschichten festzumachen", sagt Thomas Weitzel, Leiter der Stabsstelle Kultur in der Augsburger Stadtverwaltung und gemeinsam mit Bellaire Gesamtprojektleiter. Die Namen aller Männer, die in der von den Nazis so getauften "Halle 116" interniert waren, sind in dem zweiten von drei Ausstellungsräumen aufgeführt. Auf zwei historischen Bildern aus der Zeit des Nationalsozialismus dagegen kehrt die damalige Augsburger Stadtgesellschaft den Namen der Gefangenen symbolisch den Rücken zu. Die Augsburger, soll das heißen, haben gewusst von diesem und zwei anderen KZ-Außenlagern in der Stadt, sie haben gesehen, wie die Gefangenen täglich durch die Straßen marschierten, hin zu ihren Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie. Sie haben sich bloß mehrheitlich nicht dafür interessiert.
Viele der vor allem polnischen und sowjetischen Kriegsgefangenen, die dort zur Arbeit getrieben wurden, schufteten in der Messerschmitt AG am Bau von Jagdflugzeugen. Auch MAN profitierte vom Zwangsarbeitersystem, in den Michel-Werken mussten 500 jüdische Ungarinnen Dienst verrichten. Die Ausstellung erzählt von der "Rüstungsstadt Augsburg" und benennt die Lagerführer, zeigt auch ihre Fotos und Entnazifizierungsprotokolle. "Weder Kommandanten noch Wachpersonal der Augsburger Lager wurden nach dem Krieg für Verbrechen an den hiesigen Häftlingen zur Rechenschaft gezogen", heißt es auf einer Schautafel.
Umso bedeutsamer ist das bürgerschaftliche Engagement, ohne das die Halle längst abgerissen worden und eine Erinnerung in dieser Form nicht mehr möglich wäre. Seit dem Abzug der US-Armee 1998 setzten sich Bürger vehement für den Erhalt der Halle ein, und dafür, einen Lern- und Erinnerungsort einzurichten. Anfang 2020 erwarb die Stadt das Areal, das in seiner Erscheinung nahezu unverändert blieb. Bürgerinnen und Bürger brachten ihre Themen und Inhalte in die Ausstellung ein.
Wie erfolgreich das Konzept des Gedenkorts ist, zeigt sich bereits in den ersten Tagen seit der Eröffnung. Viele Schulklassen sind schon zur Besichtigung gekommen, darunter Mittelschulen, Pflegeschulen. "Wir erreichen einen breiten Querschnitt der Bevölkerung", sagt Bellaire. Schulklassen haben im letzten Raum der Ausstellung, in dem es um die Demokratisierung und die Umbrüche nach dem Weltkrieg geht, Gelegenheit, einzelne Themen der Ausstellung mit bereitgestelltem Material aus verschiedenen Boxen zu vertiefen. Immer wieder halten sogenannte "Interventionen" die Besucher auf dem Weg durch die Ausstellung an, etwa darüber nachzudenken, welche Handlungsspielräume die Augsburger im Nationalsozialismus hatten - mitmachen oder nicht?
Die wichtigsten Informationen der Schau sind in leichter Sprache zusammengetragen, für Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, für Lernbehinderte - aber auch für Besucher, die es eilig haben und nicht jeden Themenblock ausführlich studieren wollen. "Das Feedback zeigt uns, dass dieses Angebot sehr gut ankommt", sagt Bellaire. Thomas Weitzel will den Lernort noch weiter ausbauen, mit einem Seminarraum, vielleicht einer Präsenzbibliothek oder auch einer Möglichkeit für Filmvorführungen. Auf jeden Fall, findet der Leiter Stabsstelle Kultur, braucht es eine Fläche für Wechselausstellungen, um das Interesse am Gedenkort zu verstetigen. Platz genug wäre vorhanden in der Halle 116 - nur braucht es noch finanzielle Mittel, um weitere Räume zu erschließen.