Überraschende Verbindung:Ex-Polizeipräsident als Türöffner

Lesezeit: 2 min

Die Zentrale der Wirecard AG in Aschheim bei München. (Foto: ANDREAS GEBERT/REUTERS)

Waldemar Kindler vermittelte führenden Wirecard-Vertretern einen Termin bei Staatskanzleichef Herrmann. Das wirft für die FDP Fragen auf.

Von Cerstin Gammelin, Andreas Glas und Klaus Ott, München

Bayerns früherer Polizeipräsident Waldemar Kindler hat den Türöffner für Wirecard bei der Staatsregierung gespielt und vor knapp einem Jahr ein Treffen mit Staatskanzleichef Florian Herrmann arrangiert. Diesen ungewöhnlichen Vorgang hat jetzt die FDP-Landtagsfraktion zutage gefördert, die sämtliche Verbindungen zwischen der Regierung und dem pleite gegangenen Skandalunternehmen offengelegt wissen will.

Auf Anfrage des FDP-Abgeordneten Helmut Kaltenhauser teilte das Innenministerium mit, Kindler habe "für die Wirecard AG" ein Gespräch am 20. November 2019 in der Staatskanzlei initiiert. Daran habe neben Staatskanzleichef Herrmann, dem Wirecard-Finanzvorstand Alexander von Knoop und dem früheren Finanzvorstand Burkhard Ley auch Kindler selbst teilgenommen.

SZ PlusFinanzskandal
:"Ich lass Wirecard im Lebenslauf stehen"

Wirecard, das war für die Angestellten Rock 'n' Roll und große Welt. Jetzt stehen sie auf der Straße und blicken zurück, auf diesen Albtraum in Aschheim.

Von Josef Wirnshofer

Kaltenhauser findet es "erstaunlich", dass Kindler das Treffen arrangiert und selbst daran teilgenommen habe. "Warum nimmt ein Experte für organisiertes Verbrechen an einem Gespräch mit einem Unternehmen teil, dessen Geschäftszweck die Abwicklung von Finanzdienstleistungen ist?", fragt er. Nach Darstellung des Innenministeriums, das für die Staatsregierung zahlreiche FDP-Landtagsanfragen zu Wirecard beantwortet hat, war das Treffen harmlos. Knoop und Ley hätten Wirecard als neu in den Deutschen Aktienindex (DAX) aufgerücktes Unternehmen vorgestellt. "Konkrete Anliegen wurden nicht vorgebracht." Kindlers Einsatz für Wirecard und der Termin des Treffens werfen dennoch Fragen auf.

Wie kam es dazu, dass der Ex-Polizeipräsident sich für Wirecard engagierte? Zu einem Zeitpunkt, als das Unternehmen wegen öffentlich erhobener Vorwürfe so unter Druck geraten war, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Oktober 2019 eine Sonderprüfung in Auftrag geben mussten? Wirecard stand damals schon unter Verdacht, seine Bilanzen künstlich aufzublähen. Das bewahrheitete sich später, Luftbuchungen in Milliardenhöhe führten im Juni 2020 zur Pleite. Gegen Knoop, Ley und weitere Beschuldigte wird wegen mehrerer Verdachtsmomente ermittelt. Ley sitzt in Untersuchungshaft; er bestreitet alle Vorwürfe.

Dass die Staatsanwaltschaft München I gegen Knoop und Ley ermitteln würde, war im November 2019 nicht absehbar. Aber wer Zeitung las, war im Bilde um die schweren Vorwürfe gegen Wirecard und hätte einen Bogen um das Unternehmen machen können. Kaltenhauser will nun alles wissen. Warum setzte sich Kindler für Wirecard ein? Bekam der Ex-Polizeipräsident dafür ein Honorar oder hatte er sogar einen Beratervertrag? Was wusste das Innenministerium? Auf SZ-Anfrage äußerte sich das Innenministerium zunächst nicht. Kindler teilt auf Nachfrage mit, Wirecard sei über "einen vertrauenswürdigen Bekannten" auf ihn zugekommen, habe "um Unterstützung bei der Vermittlung von Kontakten" und eines Termins in der Staatskanzlei gebeten, "zur Vorstellung und Präsentation als DAX-Unternehmen". Er sei davon ausgegangen, dass es sich bei Wirecard "um eine seriöse Firma handelt".

"Etwaige Schadensersatzansprüche behalten wir uns vor"

Den richtigen Riecher für den Umgang mit Wirecard hatten die Verantwortlichen der Bayerischen Landesbank. Laut einer Antwort des Finanzministeriums war die BayernLB in den Jahren 2016 bis 2018 an einem Gemeinschaftskredit mehrerer Geldinstitute für Wirecard beteiligt. Im Juni 2018 sei die BayernLB dann ausgestiegen. 16 andere Banken haben Wirecard hingegen vertraut und insgesamt 1,7 Milliarden Euro verloren. Darunter mit der Landesbank Baden-Württemberg und der KfW in Frankfurt zwei öffentliche Geldinstitute.

Einen verhältnismäßig kleinen Schaden hat der Bayerische Pensionsfonds im Fall Wirecard erlitten. Der Pensionsfonds, der Rücklagen für die Beamtenversorgung schafft, hat einen Teil seines Vermögens in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro in DAX-Aktien angelegt. Durch den Kurssturz der Wirecard-Aktien nach Enthüllung der Luftbuchungen dort ist laut Finanzministerium vorübergehend ein Wertverlust in Höhe von 7,7 Millionen Euro entstanden. "Etwaige Schadensersatzansprüche behalten wir uns vor - hier sind die Prüfungen noch nicht abgeschlossen", teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Der Pensionsfonds hatte nicht speziell Wirecard gekauft, sondern einfach den DAX nachgebildet. Und durch die Entwicklung des DAX sei der vorübergehende Wertverlust bereits kompensiert worden. Schadenersatzansprüche werden trotzdem geprüft.

© SZ vom 05.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWirecard
:Liebesgrüße aus Bad Vöslau

Am Abend des 18. Juni wähnten manche Jan Marsalek bereits auf dem Weg nach Moskau. Dabei saß der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand noch mit einem österreichischen Ex-Agenten in München beim Italiener. Wurde dort die Flucht geplant?

Von Cathrin Kahlweit, Frederik Obermaier, Jörg Schmitt und Jan Willmroth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: