Mitten im ungeklärten Richtungsstreit wählt die AfD im Landtag an diesem Freitag überraschend ein neues Führungsteam. Wie in Fraktionskreisen zu hören war, will die bisherige Chefin Katrin Ebner-Steiner wieder antreten. Sie war 2018 in einer Doppelspitze mit Markus Plenk gewählt worden, der die Partei im April im Zwist verlassen hat. Er wolle nicht mehr "bürgerliche Fassade" einer "im Kern fremdenfeindlichen und extremistischen Partei" sein, sagte Plenk. Seither führt Ebner-Steiner, Frontfrau des völkischen "Flügels" in Bayern, die Fraktion alleine. Nun stellt sich die Frage: Kommt es am Freitag zur großen Abrechnung zwischen den Lagern? Wird Ebner-Steiner ihr Amt verlieren? Oder setzt sich der Flügel auf ganzer Linie durch? Wer Wahlen in der AfD kennt, weiß nur: Alles ist offen.
Während andere Fraktionen ihre Spitze erst zur Halbzeit nach zweieinhalb Jahren wählen, hatte die AfD-Fraktion schon bei ihrer Gründung eine erneute Wahl nach einem Jahr angekündigt. Dass die Abstimmung bereits in der ersten Landtagswoche und damit nach nur gut zehn Monaten stattfindet, könnte daran liegen, dass sich der Flügel einer Mehrheit sicher ist und klare Verhältnisse schaffen will. Oder hat die Herbstklausur im schwäbischen Wemding, wo Ebner-Steiner "ein Pflänzchen" der Versöhnung gesät sah, geholfen, die Wogen zu glätten? Aus dem Inneren der Klausur drang kaum etwas nach außen. Gleichwohl heißt es jetzt in der Fraktion, es könnte wieder eine Doppelspitze geben - angeblich mit einem gemäßigtem Part an Ebner-Steiners Seite. Ob es so kommt?
Die Abgeordneten hielten sich am Mittwoch bedeckt. Telefonanfragen blieben unbeantwortet, im Landtag strebten sie eiligen Schrittes in den Plenarsaal. Vielleicht "später" wolle sie etwas sagen, erklärte Ebner-Steiner. Dann war sie verschwunden. Zuletzt lag die Zahl ihrer Unterstützer und Gegner gleichauf, auch weil sich die Vertrauenskrise im ersten Jahr dramatisch verschärft hatte. In einer Sitzung im Juni, in der es um Prüfberichte der Kassenkontrolleure sowie um Kritik an Ebner-Steiner und dem parlamentarischen Geschäftsführer Christoph Maier ging, endete eine Vertrauensfrage zehn zu zehn: Patt. Wobei die Grenze nicht nur zwischen Flügel und Gemäßigten verläuft, sondern auch durch menschliche Motive bestimmt ist.
Mit 22 Mandaten war die AfD ins Maximilianeum eingezogen, 20 sind es nach den Austritten von Raimund Swoboda und Plenk. Sie hatten sich an nationalistischen Losungen, vor allem aber am Führungsstil gestoßen. In der Kritik standen auch kaum nachvollziehbare Ausgaben etwa für kostspielige Möbel sowie Zulagen für mutmaßliche Günstlinge der Fraktionsspitze. Zudem gab es eine Anzeige wegen Geheimnisverrats, über allem schweben teils massive persönliche Animositäten - auch gegen den parlamentarischen Geschäftsführer Maier, der am Freitag ebenfalls zur Wahl steht. Als rechte Hand der Chefin bringt er die Fraktion mitunter rustikal auf Linie.
Für den Posten neben Ebner-Steiner fällt öfter der Name von Gerd Mannes. Der schwäbische Abgeordnete wurde unlängst als Vize im Landesvorstand und damit als ein Stellvertreter der neuen Chefin Corinna Miazga bestätigt. Mannes werden durchaus Ambitionen nachgesagt. In einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen kritisierte er, der Flügel habe "ein Eigenleben entwickelt", das für die "politische Schlagkraft der AfD nicht zielführend" sei. Es sei zudem "wichtig, dass alle Strömungen innerhalb der Fraktion und des Fraktionsvorstands angemessen vertreten sind".
Mannes gilt als für AfD-Verhältnisse liberal, zumindest erregten seine Äußerungen bislang keinen sonderlichen Anstoß. Der unterfränkische Abgeordnete Christian Klingen hat sich im Interview mit seiner Lokalzeitung in Kitzingen Mannes an der Spitze gewünscht. Klingen gilt inhaltlich als Flügel-Mann. Er hat sich aber massiv von Ebner-Steiner abgesetzt, sah "Anzeichen eines stalinistischen Herrschaftssystems". Klingen gilt als gut vernetzt in der AfD. Inwiefern das Patt vom Frühsommer noch besteht, ist offen.
Auch beim Landesparteitag vor knapp zwei Wochen wurde deutlich: Berechenbar ist in der AfD nur die Unberechenbarkeit. Ebner-Steiner trat als Landesvorsitzende an, obwohl sie dies über Monate ausgeschlossen hatte. Letztlich galt sie sogar als Favoritin, ehe die Bundestagsabgeordnete Miazga reüssierte, die niemand auf der Rechnung hatte. Miazga sagte nach der Wahl, sie werde sich "in die Fraktion nicht einmischen". Allerdings, meinte sie als Seitenhieb auf baldige Neuwahlen des Fraktionsvorstands, werde es auch im Maximilianeum womöglich "Veränderungen" geben.
Bei der Fraktionsklausur in Wemding hat die AfD ein umfassendes Oppositionsprogramm verfasst, ein Indiz für inhaltliche Arbeit. Allerdings fehlten drei Abgeordnete, darunter Klingen. Er wolle sich nicht mit Leuten zusammensetzen, die mit Wort und Tat "gegen die Ordnung der Partei verstoßen haben", sagte Klingen - eine Stichelei gegen Maier und Ebner-Steiner. Am Mittwoch wurde dem Vernehmen nach eifrig telefoniert, wer am Freitag antreten soll. Ein Kandidat müsste das gemäßigte Lager hinter sich wissen, um sich aus der Deckung zu wagen. Ob eine Doppelspitze wirklich kommt, schien keineswegs ausgemacht. Die kurzfristige Einladung zu Neuwahlen könnte darauf hindeuten, dass sich die Machtverhältnisse wieder zu Ebner-Steiners Gunsten verschoben haben.