Fahrrad:Wilde Sprünge, steile Kurven

Fahrrad: So leer ist der Pumptrack in Germering bei München fast nie. Und so beeindruckende Sprünge wie Tobias Engelmann kriegt auch kaum sonst jemand hin.

So leer ist der Pumptrack in Germering bei München fast nie. Und so beeindruckende Sprünge wie Tobias Engelmann kriegt auch kaum sonst jemand hin.

(Foto: Julian Oswald)

Auf Pumptracks treffen sich echte Fahrrad-Akrobaten und solche, die es werden wollen. Besuch auf einer Bahn, die gerade sehr gefragt ist - aus mehreren Gründen.

Von Sebastian Herrmann

Aus der Gruppe auf dem Hügel löst sich ein Radfahrer. Er steht auf den Pedalen, die Ellbogen nach außen gestellt, die Schultern breit. Mit geducktem Oberkörper taucht er in die asphaltierte Bahn und nimmt an der kurzen, steilen Einfahrt Tempo auf. Geschmeidig drückt er das Dirtbike über eine Bodenwelle und schießt am folgenden Sprung in die Luft. "Alter!", tönt es anerkennend aus der Gruppe auf dem Hügel. Der Bewunderte springt über den zweiten, darauf folgenden "Table", wie die Schanzen hier genannt werden, und saust weiter durch den Rundkurs.

Dann startet ein Sechsjähriger aus der Gruppe und fährt kaum langsamer als sein Vorgänger auf die Sprünge zu. Die Bodenwelle vor dem Absprung beutelt ihn durch. Es ist nicht ganz klar, wer hier das Kommando hat: der kleine Junge im neongelb-schwarzen Langarmtrikot oder das große schwarze BMX-Rad. An der Schanze hebt das Duo aus Menschlein und Maschine nur ein bisschen ab. Macht nichts, der Junge stürzt sich mit dem Rad in die steile Gegenrampe, jauchzt und zischt weiter.

An anderer Stelle auf der Bahn schwärmen Kinder-Rudel auf Scootern über die Asphaltwellen. Ein Kleinkind auf einem Laufrad, schützend verfolgt von seinem Vater, kullert durch die Bahn, zwei Skateboarder sind unterwegs, außerdem ein Mädchen mit einem Fahrrad samt Gepäckträgerkorb, ein paar BMX-Fahrer und das Hügel-Geschwader auf ihren Dirtbikes. Auf den Bänken neben der Bahn sitzen Eltern und anderes Betreuungspersonal. Sie lesen, ratschen, reichen geschnittene Äpfel und Karotten aus Tupper-Dosen herum, stehen Ängste wegen der waghalsigen Manöver ihrer Kinder aus und staunen über die unfassbaren Tricks und Sprünge der Könner, mit denen sie keine Fürsorgepflicht verbindet.

Im Hintergrund rauscht der Verkehr der A96 zwischen München und Lindau. Hinter dem Hügel liegt der Skatepark, Hip-Hop dröhnt aus einer fetten Bluetooth-Box herüber. Vom nahen Golfplatz und dem Wertstoffhof auf der Gegenseite dringen keine Geräusche. Hier, ganz am Rande Germerings, einer Reihenhaus-Wohnsilo-Häufung von stattlicher Größe im Speckgürtel Münchens, befindet sich seit gut zwei Jahren eine jener Anlagen, um die es hier gehen soll: ein asphaltierter Pumptrack. Es handelt sich um den einzigen vollständig asphaltierten Pumptrack in München und Umgebung - und deshalb zieht die Anlage wie ein starker Magnet Publikum an: Aus Germering, aus München, aus dem Umland, aus Augsburg oder sogar Ulm kommen Leute angefahren, um hier in der Vorstadt im Westen Münchens Dirtbike, BMX, Scooter oder Skateboard zu fahren.

Steilkurven und Bodenwellen im Garten

Zwar sind Pumptracks wie jener in Germering noch recht selten zu finden, aber sie werden plötzlich mehr - da ist etwas im Gange. "Das Thema Pumptrack ist ungefähr um das Jahr 2009 aufgekommen", sagt Claudio Caluori, ehemaliger Mountainbike-Downhill-Profi und einer der Gründer der Schweizer Firma Velosolutions, die auch die Anlage in Germering gebaut hat. Vermutlich sind die Pumptrack-Urformen einst in der BMX-Szene Kaliforniens entstanden: Um an Sprüngen und Tricks zu üben, bauten sich die Fahrer Steilkurven, Bodenwellen und Sprünge in den Garten. "Weil es auf den Flächen zu eng war, um in den Kursen in die Pedale zu treten, haben sie anders Tempo gemacht", sagt Caluori. Es ist die reine Bewegung des Körpers, mit dem auf den Wellen und in den Steilkurven - "Anliegerkurven" heißen diese im Fachjargon - auf einem Pumptrack Geschwindigkeit aufgenommen wird. Für Scooter oder Skateboards gilt das gleiche Grundprinzip. Es wird: gepumpt.

"Das ist eine rhythmische Push-Pull-Bewegung", sagt Kathi Kuypers, die seit zehn Jahren für das Team Trek als Mountainbike-Profi fährt und unter anderem auch auf Pumptrack-Wettbewerben startet. Die Fahrer stehen auf den Pedalen, die Ellbogen nach außen gestellt, die Schultern offen, der Schwerpunkt möglichst nah über dem Tretlager. Hebt sich der Boden zu einer Welle an, macht sich Kuypers auf dem Rad klein und zieht den Lenker quasi heran. Sobald ihr Dirtbike über den Buckel ist, streckt sich die 31-Jährige und drückt - oder pumpt eben - das Rad mit Beinen und Armen in die Kuhle. Mit Rhythmus und Fahrtechnik treibt dies das Rad auf enormes Tempo.

Die Profi-Fahrerin aus Rosenheim fliegt mit einer geschmeidigen Mühelosigkeit durch den Pumptrack und springt mit lässigem Understatement über die beiden Tables: Sie fährt deutlich langsamer als andere und fliegt dennoch über die Hindernisse hinweg. "Es geht um Technik und Timing", sagt sie. Kathi Kuypers gibt ein paar Fahrtechniktipps und unterhält sich dann mit ein paar Kindern, die ihr Dirtbike bestaunen und viele, viele Fragen haben.

So ein Pumptrack ist ein Mehrgenerationen-Spielplatz

Eine Fahrt durch den Pumptrack mag mühelos aussehen, wer es selbst versucht und seine Nervosität wegen steiler Kurven und zahlreicher Zuschauer überwindet, merkt: Es ist irre anstrengend, und ohne Fahrtechnik geht gar nichts. Es ist ein wenig, wie neu Skifahren zu lernen. Zu Beginn ist die Hürde hoch, dann irgendwann werden Bewegungen selbstverständlich - und die Könner spielen trotzdem stets in einer eigenen, unerreichbaren Liga.

Neben dem Pumptrack in Germering stehen BMX-Veteranen, drei Männer, vermutlich jenseits der 50. Sie tragen Integralhelme, quatschen, lachen und drehen immer wieder gut gelaunt eine Runde. Ihre Sicherheit auf dem Rad und der Stil ihrer BMX-Trikots verrät, dass sie schon eine ganze Weile dabei sind, hier aber einen neuen Ort gefunden haben, um sich auszutoben. Auf dem Hügel sind fast alle Altersgruppen vertreten, Kinder, Pubertierende im Griff der Hormone, die im Sommer noch ironiefrei mit nacktem Oberkörper fahren und mit grellem Gepose ihre Runden drehen. Daneben warten junge Erwachsene, ältere Erwachsene und Väter oder Mütter auf dem Hügel, die den Spaß auf dem Pumptrack in Germering nicht nur ihren Kindern überlassen wollen. Man könnte sagen: Vordergründig mag das hier ein Pumptrack sein, tatsächlich handelt es sich aber um einen Mehrgenerationenspielplatz. "Das ist auf den meisten Pumptracks so", sagt Claudio Caluori, "das ist ja das Schöne."

Das liegt wesentlich an einem Faktor, der zunächst marginal erscheinen mag: Asphalt. Die meisten Pumptracks waren einst aus Erde, Sand und Dreck zusammengeschaufelt. "Wir haben uns früher selbst Sprünge und Bahnen gebaut", sagt Tobias Engelmann, ein begnadeter Fahrer, der für den Fahrradhersteller Scott arbeitet und gemeinsam mit anderen die asphaltlose Bikeanstalt in Söcking bei Starnberg angelegt hat. Doch so eine Anlage aus Erde benötigt ständige Wartung. "Wenn es mal richtig regnet, musst du alles wieder ausbessern", sagt Engelmann. Würde der Bürgermeister einer Kommune über die Anlage eines Pumptracks nachdenken, wäre das gewiss ein Ausschlusskriterium. Zu wartungsintensiv.

Bei Bahnen aus Asphalt ist das anders. "2012 haben wir in Chur in Graubünden zusammen mit einer Straßenbaufirma den weltweit ersten asphaltierten Pumptrack angelegt", sagt Caluori von Velosolutions. Mittlerweile hat die Firma weltweit mehr als 400 solcher Anlagen gebaut, auf allen Kontinenten, in Europa gut 300, alleine in der Schweiz mehr als 100. Asphaltiert sind die Tracks im Vergleich zu Bahnen aus Erde weitgehend wartungsfrei. "Außerdem hat man als Fahrer fast immer die gleichen Bedingungen", sagt Tobias Engelmann. Wenn es nicht gerade sehr nass ist, verhält sich das Rad auf dem Untergrund, anders als auf Erde, stets vorhersehbar. "Das ist perfekt und deswegen ist auf den asphaltierten Pumptracks auch meistens sehr viel los", sagt Engelmann.

Zu den Stoßzeiten am Wochenende wimmelt es auf der Anlage in Germering. Dann sind vor allem Kinder unterwegs, was für die guten Fahrer ein Risiko ist. Das Verhalten der Kleinen lässt sich nicht immer einschätzen. Und wenn die Schnellen immer wieder ausgebremst werden, leidet der Spaß. Dennoch funktioniert das Miteinander auf der Anlage meist ziemlich gut, trotz gelegentlichem Pubertätsgepöbel, das wohl halt dazugehört. Die guten Fahrer weichen ohnehin auf die Nebenzeiten aus, früh am Morgen, in der Dämmerung am Abend - und wenn es zum Beispiel in Germering eine Flutlichtanlage gäbe, wäre auch im Winter bis spät abends etwas los.

Es tut sich was, gewiss wird es bald mehr gute Mountainbiker geben - nicht nur auf dem Pumptrack in Germering, sondern auf allen Anlagen. "Auf dem Pumptrack zu fahren, bringt dir spielerisch die besten Basics bei", sagt Engelmann. Wer die Bodenwellen und Sprünge auf den Bahnen beherrscht, besteht auch im Bikepark oder bei Abfahrten durch freies Gelände. Zudem gibt es Helden und Vorbilder, die von den Kindern auf dem Pumptrack verehrt werden. Fabio Wibmer oder Danny MacAskill zum Beispiel, deren Youtube-Videos ein gigantisches Publikum erreichen. Da wächst etwas heran auf Pumptracks wie jenem, der ganz am Rand dieser sonst so unspektakulären Schlafstadt namens Germering liegt.

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