Project LiveWire:Sie tuckert nicht, sie surrt

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Moderner, sportlicher Roadster: Die LiveWire von Harley-Davidson, die derzeit vorgestellt und getestet wird. Ob sie in Serie gebaut wird, ist noch offen. (Foto: Harley-Davidson)

Probefahrt mit dem Prototyp: Das Elektro-Motorrad von Harley-Davidson beschleunigt in vier Sekunden von null auf hundert. Nicht das einzig Beeindruckende am Fahrerlebnis.

Von Thilo Kozik

Harley-Davidson hat einen Prototypen mit Elektroantrieb entwickelt, die LiveWire. Auf einer groß angelegten Roadshow checken die Amerikaner seit Monaten weltweit die Reaktion der Motorradfahrer auf eine Elektro-Harley. Nach Amerika und Südostasien hat der Tross der "LiveWire Experience Tour" nun Europa erreicht, und die Resonanz nach über 7000 Testfahrten ist vielversprechend.

Harley und Elektro-Bikes - damit hätte wohl kaum einer gerechnet. Denn die Traditionsfirma aus Milwaukee steht mit ihrem markanten V2-Motoren wie kein anderer Hersteller für die traditionelle Art des Motorradfahrens, und technologische Innovationen war bisher beileibe kein Markenzeichen von Harley-Davidson.

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Für das LiveWire-Projekt rekrutierte Harley-Davidson ein Spezialistenteam, das die Aufgabe anders als bislang üblich anging: Anstatt das Zweirad um Batterie und Motor herum zu entwickeln, ging es Harley darum, den Elektroantrieb unter größtmöglicher Wahrung traditioneller Motorrad-Merkmale zu integrieren. Gleichzeitig kümmerte sich das Design-Team um eine Modernisierung der klassischen Harley-Optik, schließlich soll man die Innovation ja auch sehen.

Optisch geschickt integrierte Motor-Batterien-Einheit

Heraus gekommen ist ein Roadster, un-gewohnt modern und richtig sportlich mit einem knappen Solositz. LED-Scheinwerfer und in die Spiegel integrierte LED-Blinker schaffen zusätzliches modernes Flair, als Anzeigeinstrument fungiert ein farbiges TFT-Display. Erstmals verwendet Harley einen gut sichtbaren Leichtmetall-Gussrahmen, der die zentrale Motor-Batterien-Einheit umgibt. Diese ist optisch geschickt ins Ensemble integriert und tritt durch verschiedene Farben und ein Alu-Motorgehäuse nicht so dominant auf wie bei anderen Elektro-Zweirädern.

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Harley verwendet einen Dreiphasen-Induktionsmotor mit Ölkühlung, der tief unten im Rahmen unterhalb der Lithium-Ionen-Batterie sitzt und von einem flüssigkeitsgekühlten Hochleistungs-Motorcontroller gesteuert wird. Die Einheit ist für 74 PS bei 8500 Touren und ein Drehmoment von 70 Newtonmeter gut, mit denen die LiveWire in vier Sekunden von null auf hundert beschleunigen und mehr als 160 Kilometer pro Stunde schnell sein soll.

Welche Kapazität der Akku besitzt, war den Verantwortlichen nicht zu entlocken, wohl aber die hohe Betriebsspannung von 300 Volt, die eine besondere Schulung für das Wartungspersonal voraussetzt. Interessanterweise wurden die etwa dreißig LiveWire-Prototypen mit heimischen Bauteilen und nicht von asiatischen Spezialisten von Hand aufgebaut - alle Komponenten des E-Antriebs inklusive der Batterie sollen aus der Gegend von Milwaukee kommen.

Für eine schmale Taille ist der Motor längs eingebaut, daher muss seine Kraft über ein Kegelradgetriebe umgelenkt werden, damit der Zahnriemen das Hinterrad antreiben kann. Entsprechend "normal" sitzt es sich auf der Elektro-Harley: Der niedrige, schmale Einzelsitz nimmt den Fahrer in einer sportlichen Haltung auf und platziert ihn recht nah der breiten und tiefen Lenker. Mit angenehmen Kniewinkeln wirkt die LiveWire wie ein Mittelklasse-Naked-Bike, ist aber mit 210 kg deutlich schwerer.

Zum Starten wird der Killschalter umge-legt und nach dem Druck auf den Startknopf kann es losgehen. Das TFT-Display leuchtet auf, hier lässt sich per Touchscreen der Fahrmodus - Power oder Economy - wählen. Da die LiveWire ohne Kupplung oder Getriebe auskommt, bringt jeder Dreh am Gasgriff eine unmittelbare Kraftentfaltung - das funktioniert wie eine Automatik, nur viel dynamischer.

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Beeindruckendes Fahrerlebnis

Das Fehlen von Motorengeräusch und Vibrationen und vor allem die nahtlose Tempozunahme ohne Gangwechsel machen das LiveWire-Fahren zu einem beeindruckenden Erlebnis. Völlig lautlos ist die Elektro-Harley aber nicht: Die Umlenkung des Kegelradgetriebes und der Zahnriemen lassen die LiveWire deutlich vernehmbar surren. Das Schließen des Gasgriffs bewirkt ein abruptes Abbremsen, deutlich stärker als bei herkömmlichen Motorrädern. Die Motorbremse wirkt so stark, da sie als Energierückgewinnung zur Speisung der Batterie genutzt wird. Voll geladen soll die Reichweite übrigens bei 48 (Power) beziehungsweise 96 Kilometern (Economy) liegen.

Insgesamt machen die LiveWire-Modelle nicht den Eindruck von Vorserienfahrzeugen, vielmehr sehen und wirken sie bis ins Detail schon sehr fertig - hinreichend agil und stabil, und auch beim Bremsen ausreichend effektiv. Was noch fehlt, wären ein ABS und eine Traktionskontrolle, denn der E-Schub am Kurvenausgang überfordert die Reifen ein wenig. Den US-Amerikanern ist es tatsächlich gelungen, einen Elektroantrieb zu integrieren, ohne zu viel Motorrad opfern zu müssen.

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Der Türöffner für jüngere Kunden?

Ob die LiveWire demnächst wirklich ge-baut wird? Angesichts der positiven Reaktionen sollte man davon ausgehen, auch wenn sensible Themen wie Preis, echte Reichweite und Lebensdauer der Akkus noch ausgeklammert werden. Frank Klumpp, Marketing Director bei Harley-Davidson Germany sagt: "Sollte Milwaukee das Projekt absegnen, dürften die ersten E-Harleys 2019 oder 2020 zu haben sein." Vom klassischen Motorrad würden sich die Traditionalisten aus Milwaukee aber nicht verabschieden, so Klumpp: "Ich sehe hier ganz klar ein Sowohl-als-auch und kein Entweder-oder."

Für Harley-Davidson hätte die Realisierung der LiveWire aber noch einen anderen, unschätzbaren Wert: Sie wäre vermutlich der Türöffner zu jüngeren Kundenkreisen, die die immer älter werdende Gruppe der V-Twin-Getreuen ersetzen könnten.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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