Fahrerlose Züge:Dann eben ohne Lokführer

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In Nürnberg fährt Deutschlands einzige fahrerlose U-Bahn. Die Züge stammen von Siemens. (Foto: dpa)

Fahrerlose Züge sind technisch längst machbar. In vielen Städten, darunter in Nürnberg, fahren schon seit vielen Jahren U-Bahnen ohne Lokführer. Im Fernverkehr bleiben sie dennoch eine Zukunftsvision. Das liegt vor allem an den Fahrgästen.

Von Thomas Harloff

Das autonome Fahren ist derzeit eines der Lieblingsthemen der Automobilingenieure. Schon heute halten einige Modelle im Kolonnenverkehr selbständig die Spur und den Abstand zum Vordermann. Von 2020 an, so die Pläne der Industrie, sollen die ersten Autos dann ganz ohne Hilfe eines Fahrers durch den Straßenverkehr finden.

Die Hersteller von Zügen und Bahnen sind den Autobauern in dieser Hinsicht aber weit voraus. In mehr als drei Dutzend Metropolen weltweit sind bereits automatisierte Züge unterwegs. In Europa beispielsweise in Barcelona, Kopenhagen und Paris, dazu in zahlreichen asiatischen und amerikanischen Städten. Weitere Ballungsräume, etwa die finnische Hauptstadt Helsinki oder im Nahen Osten, sind mit ihren Plänen für Bahnen schon weit vorangekommen.

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Fahrerlose Transportmittel sind längst etabliert

Die bislang einzige deutsche Stadt, die solche Züge einsetzt, ist Nürnberg. Seit Sommer 2008 verkehren auf den Linien U2 und U3 automatisierte Bahnen - mit großem Erfolg. Die Technik funktionierte in den bislang mehr als sechs Jahren reibungslos. Auch fahrerlose Transportmittel an Flughäfen, die Passagiere zwischen Terminals, Parkhäusern und Bahnhöfen hin und her chauffieren, sind lange etabliert.

Bei einem Ereignis wie dem aktuellen beispiellosen Lokführerstreik stellt sich daher zwangsläufig die Frage, ob automatisch gesteuerte Züge nicht auch im Fernverkehr eingesetzt werden könnten, wenn die an den U-Bahnen bereits erprobte Technik adaptiert würde.

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Tatsächlich ist die Herausforderung dabei aber größer und geht - wie auch in der Autoindustrie - weit über die technischen Eckpunkte hinaus. Denn es sind die andere Einflüsse, die für Unwägbarkeiten sorgen. Die fehlenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für Züge, die nicht von entsprechend ausgebildeten Menschen kontrolliert werden, sind nur eine davon.

Besonders sensible Gleisüberwachung

Fahrerlose Züge brauchen derzeit noch ein weitgehend geschlossenes System, um sicher funktionieren zu können. In Tunneln wie bei den U-Bahnen oder bei Hochbahnen wie an den Flughäfen Düsseldorf und Frankfurt sind kaum Störfaktoren zu befürchten. Fällt ein potenzielles Hindernis auf die Schienen oder steigt ein Mensch ins Gleisbett, schlagen die Sicherheitssysteme Alarm. "Unsere Gleisüberwachung registriert auch kleinste Unregelmäßigkeiten und stoppt sofort den Zug, wenn es gefährlich wird", sagt Elisabeth Seitzinger, Sprecherin des Nürnberger Verkehrsbetriebes VAG. Sie hält die fahrerlosen Bahnen gar für sicherer, weil es bei ihnen keine verzögerten Reaktionszeiten gäbe und ihre Reaktionen nicht tagesformabhängig seien.

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Lediglich an den Bahnhöfen bestehe eine erhöhte Unfallgefahr. Doch auch hier würden die Überwachungssysteme besonders sensibel auf potenzielle Gefahren reagieren. Zudem müssen sich U-Bahnen die Gleise nicht mit anderen Zügen teilen - ganz anders als im überregionalen Verkehr, wo Regional-, Güter- und Schnellzüge dieselben Schienen nutzen.

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Die nötigen Voraussetzungen, etwa bessere Leit- und Sicherheitssysteme und ein ausnahmslos eingezäuntes Schienennetz, müsste die Bahn erst schaffen. "Wir nutzen allein in Deutschland etwa 30 000 Streckenkilometer", sagt ein Bahn-Sprecher. "Man kann sich vorstellen, welchen Aufwand das bedeuten würde." Zumal die runderneuerte Infrastruktur nicht an der Landesgrenze enden dürfte und auch intelligentere Fahrzeuge nötig sind. Hier schaue sich die Bahn genau die Entwicklungen im Autosektor an, heißt es.

Im Nahverkehr lassen sich automatische Züge sehr wirtschaftlich betreiben und flexibel einsetzen. Allein für die Linien U2 und U3 müsste die VAG wegen Schicht- und Wochenenddiensten 90 Lokführer anstellen, sagt Sprecherin Seitzinger. Ein Teil dieses Personals sei nun im Kunden- und Systemservice beschäftigt und unter anderem für die Technik der fahrerlosen Bahnen zuständig - beispielsweise, um Störungen zu beheben.

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Flexibler und effizienter

Die Bahnen können auch deutlich häufiger fahren, ohne dass dadurch der Personalaufwand steigt. So fahren die Nürnberger Bahnen zu Stoßzeiten im 100-Sekunden-Takt. Auch auf kurzfristige Engpässe können die Verkehrsunternehmen schnell reagieren und einfach einen zusätzlichen Zug aus dem Depot auf die Gleise schicken. Automatisch betriebene Bahnen bieten noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Weil sie sanfter beschleunigen und bremsen, brauchen sie weniger Energie als von Menschenhand gesteuerte Züge. Experten von Siemens, einem der größten Bahnhersteller Europas, sehen Einsparpotenziale von bis zu 30 Prozent.

Allerdings ist es keineswegs sicher, dass sich diese spezifischen Vorteile auch überregional widerspiegeln. Rein von der technischen Seite betrachtet könnten laut Siemens fahrerlose Fernverkehrszüge in fünf bis zehn Jahren einsatzbereit sein. Die Deutsche Bahn hält diese Prognose für zu optimistisch und reagiert noch zögerlich auf den Trend aus dem Nahverkehr. "Lokführer sind ein wesentlicher Bestandteil in unserem Sicherheitssystem. Sie haben in unserer Philosophie einen festen Platz", sagt ein Sprecher.

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Auch Leitstellen-Personal kann streiken

Vor allem befürchtet die Bahn aber ein psychologisches Problem - bei den Fahrgästen: "Hier geht es vor allem um das Sicherheitsempfinden unserer Kunden, die gerne einen Menschen vorne sitzen haben möchten." In Nürnberg haben sich solche Vorbehalte inzwischen aufgelöst. "Am Anfang waren unsere Fahrgäste noch skeptisch, aber das hat sich gelegt", sagt VAG-Sprecherin Seitzinger.

Ganz ohne Personal kommen aber selbst die modernsten fahrerlosen Bahnen nicht aus. In der Nürnberger Leitstelle gewährleisten zwischen zwei und drei Angestellte den reibungslosen Ablauf bei der U-Bahn. Eine Garantie, dass diese nicht streiken, gibt es freilich nicht. Volle Bahndepots und leere Gleise gäbe es dann ebenfalls - ganz ohne Arbeitskampf der Lokführer.

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