Zukunft der Arbeit:Der Mensch schafft sich ab

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Der Wettlauf Mensch gegen Maschine geht in die nächste Runde. Gewinnt der Computer, droht eine Massenarbeitslosigkeit. (Foto: dpa)

Klüger werdende Roboter vertreiben Arbeiter aus Fabriken und Büros. Weil das Menschliche überflüssig wird, droht Massenarbeitslosigkeit - Empathie allein kann die Gesellschaft auf Dauer nicht retten.

Essay von Alexander Hagelüken

Nehmen Computer und Roboter den Menschen die Jobs weg? Und spalten die Gesellschaft? Ob die Digitalisierung wirklich eine soziale Frage schafft, hängt davon ab, ob sich die Technologien grundlegend anders auswirken als bisher. Skeptiker fürchten einen Generalangriff auf Jobs und Löhne, bei dem Arbeiter und Akademiker gleichermaßen unter Druck geraten. Optimisten argumentieren, Angst vor Technik habe sich historisch stets als übertrieben erwiesen. Sind die Gewissheiten von gestern die Gewissheiten von morgen?

Es häufen sich Anzeichen, dass diesmal wirklich schwere Zeiten für Arbeitnehmer anbrechen: Die Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael Osborne halten in ihrer bahnbrechenden Studie in den nächsten zwei Dekaden jeden zweiten US-Job für ersetzbar.

Neue Erfindungen kreieren häufig neue Jobs

Wäre die Geschichte der Schiedsrichter über die Zukunft, wäre der Fall geklärt. Schon oft bangten die Menschen um ihren Broterwerb, meist aßen sie danach besser. Anfang des 19. Jahrhunderts zerstörten die Maschinenstürmer Webstühle, am Ende brachte die Industrialisierung mehr Arbeit. Auch die Verbreitung der Computer führte in den 80er-Jahren nicht zum erwarteten Kahlschlag in den Büros.

Dabei zeigten sich stets ähnliche Mechanismen. Zwar kostete die Automatisierung reichlich Jobs, doch sie machte die Arbeit der Verbliebenen produktiver und steigerte ihre Löhne. Weil Maschinen die Herstellung verbilligten, konnten Verbraucher mehr andere Produkte kaufen - und schufen so zusätzliche Stellen. Zudem ließ die Technik neue Dinge wie Autos oder Handys entstehen, die auch Jobs kreierten. So war der Stellen-Saldo am Ende positiv.

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Schwierig wurde es ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Geringqualifizierte. Von Maschinen aus den Fabriken gedrängt, flüchteten sie in mäßig bezahlte Dienstleistungen. In der öffentlichen Debatte, die die höheren Schichten prägten, spielte das keine Rolle. Die Mittelschicht fühlte sich sicher und hielt ihre Kinder an, in der Schule gut zu sein, um den Abstieg in die Billiglohn-Unterwelt zu vermeiden.

Sachbearbeiter werden bald überflüssig sein

Mit diesen Gewissheiten könnte es vorbei sein. Maschinen eignen sich in ungeheurem Tempo Fertigkeiten an, die lange Zeit Menschen vorbehalten zu sein schienen. Software scannt Röntgenbilder nach Tumoren. Selbststeuernde Autos, vor zehn Jahren ins Reich der Fabel verwiesen, fahren auf den Straßen. Es gibt zumindest vier Gründe, warum diesmal eine ernsthafte Erosion von Jobs und Löhnen droht.

Finanz-Start-ups führen längst vor, wozu sie den Menschen nicht mehr brauchen. Computer stellen Anlagedepots zusammen oder prüfen Immobilienkredite. Das händische Übertragen von Papierdaten, Beschäftigung für Zehntausende, wird gleich mitabgeschafft. Wer sich im Büro sicher vor dem fühlt, was Fabrikarbeitern passiert, täuscht sich. Das gilt weit über die Finanzbranche hinaus für Industrie und Dienstleistungen, für Personal- und Vertriebsabteilungen, für Sekretärinnen und kaufmännische Angestellte. Osborne/Frey schätzten, bald würden neun von zehn Sachbearbeitern überflüssig.

Aber nicht nur sie, auch jeder zweite Programmierer. Erstmals stehen Hochqualifizierte im Fokus. Technologie lernt, versteht Muster, scannt in Sekunden Millionen Daten. Sie kann also Studenten unterrichten, Patienten diagnostizieren, Rechtsfragen klären. "Sie ersetzt Professoren, Ärzte, Anwälte", erkennt die VWL-Professorin Dalia Marin. Ausgerechnet im Land von Facebook und Google, wo die gefeierten Geschäftsmodelle des Internets entstehen, wurden mehr Akademiker arbeitslos.

Aber blieben qualifiziertere Jobs historisch nicht immer von der Automatisierung verschont? Diese Gewissheit, in der sich die Mittelschicht behaglich eingerichtet hat, ist geschichtlich falsch. Der mechanische Webstuhl ersetzte mit den Webern keine einfachen Arbeiter, sondern ausgebildete Handwerker. In der Industrialisierung entwertete die Technik immer wieder Handwerkerberufe und schuf Stellen speziell für Ungelernte. Als Ford 1914 für die Massenproduktion des Model T das Fließband einführte, war es auf Ungelernte abgestimmt. Erlerne einen Beruf, schon können dir Maschinen nichts anhaben? Diese beruhigende Logik hat sich schon mal als falsch erwiesen.

Bisher profitierten die Menschen davon, dass die Technologie stets zwei Gesichter zeigte. Ja, sie rationalisierte reichlich Jobs weg. Sie verbilligte aber auch die Produktion, wodurch Konsumenten mehr andere, von Menschen gemachte Waren kauften - und ermöglichte ganz neue Produkte, die Menschen herstellten. Doch werden diese anderen Waren genau wie ganz neue Produkte in der digitalen Ära womöglich auch von Maschinen hergestellt?

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Für einfache Dienstleistungen braucht es den Menschen nicht mehr

Das ist die Frage. Maschinen dringen in nie gekanntem Tempo vor, weil sie sehen und verstehen. Roboter sortieren faule Salate aus und klettern zur Wartung auf Windräder. Die digitalen Assistenten der Industrie 4.0 rationalisieren die Produktprozesse vom Design bis zum Verkauf. Und das Verschwinden physischer Waren macht noch mehr Menschen überflüssig.

Wenn sich Kunden Musik herunterladen, muss keiner CDs herstellen, ausfahren und im Laden verkaufen - ebenso bei E-Books oder E-Tickets. Marcel Fratzscher verweist in seinem Buch "Verteilungskampf" auf VW mit der sehr physischen Ware Autos - und 350 000 Euro Umsatz von jedem der 600 000 Mitarbeiter. Facebook schafft ohne physische Ware mit einem Bruchteil Beschäftigter pro Kopf vier Mal so viel Umsatz.

Maschinen räumen aber nicht nur Fabrikhallen leer, sie übernehmen auch einfache Dienstleistungen - die einstige Zuflucht für Millionen Geringqualifizierte, die aus der Produktion verdrängt wurden. Jetzt putzen Maschinen, sie liefern Pakete aus und bringen Patienten das Essen vorbei. Dazu kommt, dass sich Dienstleistungen nicht nur leichter ersetzen, sondern durch Technologie auch leichter auslagern lassen: an Programmierer, Übersetzer oder Call-Center in Billigländern. Alan Blinder, Ex-Vizechef der Notenbank Fed, hält jeden dritten amerikanischen Arbeitsplatz für verschiebbar.

Es droht Massenarbeitslosigkeit

Technologie greift in der digitalen Ära auf mehreren Ebenen an. Sie übernimmt gleichzeitig geistige und körperliche Tätigkeiten, gleichzeitig Produktion, Dienstleistungen und den Jobtransfer in Billigländer. So droht tatsächlich Massenarbeitslosigkeit. Oder ein ungekannter Lohnverfall, den Harvard-Ökonom Richard Freeman fürchtet: "Sobald Roboter oder Computer etwas billiger erledigen, nehmen sie Menschen die Stelle ab. Außer die sind zu weniger Lohn bereit. Die Digitalisierung könnte die guten Stellen wegnehmen und Menschen schlecht bezahlte Jobs lassen."

Muss das alles wirklich so kommen? Optimisten setzen darauf, dass sich die Angst vor der Technik auch in der digitalen Ära als übertrieben erweisen wird. Sie argumentieren, dass sich die pessimistischen Prognosen von Osborne/Frey auf Roboterexperten stützen, die die Technik womöglich überschätzen. Eine Gegenrechnung zu Osborne/Frey ergibt, dass in den nächsten zwei Dekaden in Deutschland nicht 18 Millionen Stellen gefährdet sind (also fast jede zweite), sondern nur fünf Millionen. Nur fünf Millionen?

Was wirklich geschehen wird, kann niemand wissen. In jedem Fall ist die Digitalisierung eine der gewaltigsten Herausforderungen, die sich denken lassen. Auch ohne schon ihre genauen Auswirkungen zu kennen, müssen die Gesellschaften reagieren. Dabei schälen sich drei Antworten heraus: Bildung, Märkte und Umverteilung.

Historisch betrachtet blieben auch deshalb so viele Jobs erhalten, weil Menschen den Wettlauf mit den Maschinen gewannen. Sie erwarben Qualifikationen, die sie Maschinen bedienen oder ihnen weiter überlegen sein ließen. Bildung für die digitale Ära muss ganz anders aussehen, weil der Wettlauf sonst verloren geht. OECD-Forscher Andreas Schleicher drückt es so aus: "Vor einer Generation brachten Lehrer ihren Schülern etwas bei, das fürs ganze Leben halten sollte. Heute müssen sie ihre Schüler auf Technologien und Jobs vorbereiten, die erst noch erfunden werden."

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Der Mensch dürfte den Maschinen in allem Empathischen oder Kreativen überlegen bleiben. Doch dafür fehlt Millionen Menschen die Ausbildung. Und es fehlen funktionierende Märkte, obwohl mehr soziale und kreative Leistungen das Leben verschönern würden, gerade in alternden Gesellschaften mit zunehmender Betreuungsbedürftigkeit und Einsamkeit.

Was den Wohlstand angeht, besteht das Dilemma darin, dass die Gewinne des wachsenden Maschinenheers an wenige fallen. Während Arbeitnehmer um ihre Arbeit fürchten, besitzt nur jeder zehnte Deutsche Aktien - und die Gründer von Google und Facebook häufen 37 bis 50 Milliarden Euro Reichtum an. Diese Entwicklung könnte die Ungleichheit dramatisch verschärfen, die in den meisten Industriestaaten ohnehin zugenommen hat.

Es gibt eine bessere Idee als ein Grundeinkommen

Als Antwort auf diese absehbare Spaltung der Gesellschaft findet vermehrt ein Grundeinkommen Anhänger. Doch es ist nur eine zweitbeste Idee, da ein Grundeinkommen Almosen ist, das sich jederzeit widerrufen lässt. Wer den Wohlstand des Maschinenzeitalters wirklich gerechter verteilen will, sollte die Arbeitnehmer an den Gewinnen der Unternehmen beteiligen. Als Aktionäre mit breit gestreuten Anlagen, nach einem Konzept, das noch formuliert werden muss, vielleicht in Form staatlich kontrollierter Fonds, die Profis managen.

Kein Zweifel: Der digitale Kapitalismus könnte eine Schlagseite bekommen, die unsere Gesellschaften bis zur Unkenntlichkeit verändert. Arbeiteraktionäre wären eine erzkapitalistische Antwort mit sozialem Impetus, die ein solches Drama verhindern könnte. Sie bedeuten eine Verteilung der Macht, keine Almosen. Kein Wunder, dass die Silicon-Valley-Millionäre, die ihre Macht nicht schmälern wollen, lieber das Grundeinkommen favorisieren.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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