Was für eine Frau! Drei kleine Kinder hat die erfolgreiche Architektin, die bei einem großen Münchner Unternehmen arbeitete. Und trotz ihrer Doppelbelastung fiel sie im Büro durch immer gute Laune, den sicheren Blick fürs Effiziente und eine stets gepflegte Erscheinung auf. Für diese Frau waren alle voller Bewunderung. Waren. Bis die Enddreißigerin plötzlich nicht mehr im Büro erschien. Sie war zusammengeklappt. Krankgeschrieben für ein halbes Jahr. Eingewiesen in eine Kurklinik.
Was ganz normale Menschen heute von sich verlangen, ist oft nicht zu schaffen. Sie wollen den kritischen Blicken von Nachbarn und Kollegen standhalten und zugleich die Anforderungen von Chefs, Partnern und Kindern erfüllen. Das Dumme dabei: All diese Anforderungen steigen. Die Partnerschaft muss das Glück auf Erden sein, die Kinder verlangen beste Förderung sowie täglich ihre High-Quality-Time - und in wirtschaftlich schwieriger Zeit fordern die Arbeitgeber Leistungszuwachs.
Am Ende standen nicht nur die Kollegen der Architektin, sondern auch ihre Vorgesetzten sprachlos vor der Nachricht ihres Zusammenbruchs. Wenn es diese Powerfrau erwischte, wie würde es dann erst in den Seelen der anderen Arbeitnehmer aussehen? Fragten sich die Chefs. Einen Moment lang. Doch die Sorgen verflogen, schließlich standen sie selbst unter erheblichem Druck. Außerdem übernahmen Kollegen ja die Arbeit der kranken Frau, auch wenn sie nun noch mehr schuften mussten als zuvor. "Nur die Harten komm'n in'n Garten", dachten sich manche Vorgesetzten. Andere formulierten es vornehmer nach Nietzsches "Ecce homo": "Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker."
WHO sieht Stress als Gefahr des 21. Jahrhunderts
Dass die heutige Arbeitswelt krank machen kann, ist schon viel diskutiert worden. Die Fehlzeiten wegen psychischer Leiden sind in Deutschland von rund 30 Millionen Tagen im Jahr 2001 auf zuletzt mehr als 60 Millionen gewachsen. Nicht umsonst hat die Weltgesundheitsorganisation den Stress zu "einer der größten Gefahren des 21. Jahrhunderts" erklärt. Seit Neuestem aber gibt es in Sachen Stress eine besonders schäbige Wendung: Nicht nur in der Bevölkerung, auch bei Arbeitgebern ist das Thema Resilienz angekommen - jene faszinierende psychische Widerstandskraft, die Menschen dazu befähigt, Stress auszuhalten, Krisen zu überwinden und nach Niederlagen wieder aufzustehen.
Während die eine Unternehmerin nach der Pleite ihrer Firma bald eine neue Geschäftsidee entwickelt, nimmt sich eine andere das Leben. Während ein Mann nach einer Ehescheidung nie mehr neuen Lebensmut findet, begibt sich ein anderer schon kurz nach dem Gerichtstermin wieder auf die Suche nach einer neuen Partnerin. Und während manche Menschen an der Diagnose einer schweren Krankheit zerbrechen, suchen andere einen Weg, mit ihr zu leben. Der Unterschied zwischen diesen Menschen liegt in ihrer Resilienz.
Das Perfide aber ist: Der Boom des Themas passt auch Wirtschaftsbossen ins Konzept. Neuerdings nutzen immer mehr Firmen Konzepte zur Steigerung der psychischen Widerstandskraft. Dabei ist das Prinzip Resilienz eigentlich nicht dazu gedacht, Menschen fürs Büro zu dressieren, sondern sie im Umgang mit den Herausforderungen ihres Lebens zu stärken.
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Die Zahl der Unternehmen wächst, die ihren Belegschaften Resilienztrainings anbieten. Aber das geschieht keineswegs uneigennützig. Oft sehen Chefs in solchen Trainingseinheiten die Chance, ihre Belegschaft noch mehr auf Produktivität zu trimmen. "Wenn sich Firmen für Resilienz-Programme interessieren, schwingt der Optimierungsgedanke häufig mit", sagt der Managementtrainer Thomas Voss, der in Oberbayern eine Praxis für mentale Gesundheit betreibt: Es gehe um "ein noch stärkeres Höher, Weiter, Schneller". Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, Arbeitgeber wollten den perfekten Arbeitnehmer schmieden, der noch mehr aushält als sein natürliches Vorgängermodell.
Es scheint, als hätten Unternehmer die Herkunft des neuen Zauberworts zu intensiv studiert. Es stammt eigentlich aus den Materialwissenschaften und beschreibt Stoffe, die auch nach extremen Verformungen wieder in ihren Ausgangszustand zurückkehren. Arbeitnehmer aber sind kein Material, das sich nach Interessenlage zurechtbiegen lässt, bevor es dann nach Dienstschluss wieder seine natürliche Form annehmen darf. So wird das Streben nach seelischer Stärke ad absurdum geführt. Wenn Arbeitgeber die erwähnten Trainings nur nutzen, um ihren Mitarbeitern noch mehr aufzubürden, die dann wiederum zusätzliche psychische Widerstandskraft benötigen, geht am Ende auch die stärkste Psyche kaputt.
Stress auszuhalten, Herausforderungen zu bewältigen, Krisen zu überwinden: Das alles kann tatsächlich stärker machen. "Nietzsche hatte in gewissem Maße recht", sagt der Persönlichkeitspsychologe Jens Asendorpf von der Humboldt-Universität in Berlin. "Was uns nicht umbringt, macht uns oft stärker." Stress in Maßen kann einen Schutzeffekt haben - so wie eine Impfung gegen Infektionskrankheiten den Körper für den Ernstfall trainiert. Das funktioniert aber, wie beim Impfen, nur mit harmlosen Dosen. Wenn der Stress so groß wird, dass er krank macht, statt die Abwehrkräfte zu stimulieren, schützt er nicht mehr. Er zerstört.
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Temperament und Optimismus spielen eine große Rolle
Welche Dosis Stress ein Mensch von Natur aus erträgt, ist höchst individuell. Was dem einen zu viel ist, genießt der andere noch als Herausforderung, der er gerne, mit Freude und Gewinn, begegnet. Die Unterschiede sieht jeder Mensch täglich in seinem persönlichen Umfeld, wo ein Bekannter über Stress klagt, der doch ein eher ruhiges Leben zu führen scheint, während sich ein anderer locker noch ein paar Termine in seinen übervollen Kalender drückt.
Die Dosis, die erträglich ist, variiert aber. Resilienz ist keine immerwährende und auch keine in jeder Situation gültige Eigenschaft. Ein Mensch, der einen schweren Unfall gut wegsteckt, kann berufliches Scheitern womöglich nicht ertragen. Und was die Münchner Architektin im Frühjahr noch gemeistert hatte, wurde ihr im Herbst plötzlich zu viel. Das Gute aber ist: Menschen können ihre Widerstandskraft nicht nur verlieren, sie können sie auch mehren. Darauf setzen Resilienztrainings.
Zweifelsohne ist jedem Menschen ein gewisses Maß an innerer Stärke in die Wiege gelegt; viel trägt auch in den ersten Lebensjahren die Familie dazu bei, ob sich eine Person ein Leben lang Kritik zu sehr zu Herzen nimmt oder zuversichtlich in die Welt blickt, ob sie Herausforderungen als Chance begreift und ob sie in vertrackten Situationen Lösungen sucht, statt aufzugeben. Wie man mit den unangenehmen Seiten des Lebens umgeht, hat einiges mit Persönlichkeit zu tun: Temperament und Optimismus spielen eine große Rolle.
Resilienz ist aber nicht nur eine Frage des Charakters, sondern mehr noch eine Strategie. Es sind Überzeugungen, der Glaube an sich selbst und in Krisen erlernte Lösungstechniken, die dazu beitragen, dass ein Mensch Widrigkeiten als überwindbar ansieht und in Veränderungen nicht nur Unangenehmes sieht, selbst wenn sie zunächst negativ erscheinen: "Wer weiß, wofür's gut ist" zu sagen, ist ebenso Ausdruck von Resilienz wie Barack Obamas Schlachtruf "Yes, we can!"
Weg mit dem Defizitblick auf sich selbst, hin zur Wertschätzung: Das ist eines der wichtigsten Ziele von Resilienztrainings. Oder, wie der amerikanische Psychologieprofessor Martin Seligman, sagt: "Don't fix, what's wrong! Build up, what's strong!" Baue deine Stärken aus, statt an deinen Schwächen herumzudoktern.
Resilienz zu mehren ist eine großartige Chance. Sie darf nicht zur Pflicht werden, um den Arbeitsalltag überhaupt aushalten zu können. Sich auf Druck gegen den Druck wappnen zu müssen, ist so skurril wie die Aufforderung: Nun sei doch mal locker! Doch in Verkennung des Werts psychisch gesunder, engagierter Mitarbeiter gehen Arbeitgeber diesen Weg.
Anstatt in ihren Betrieben jene Strukturen zu verändern, die krank machen, setzen sie darauf, dass Mitarbeiter ihre Belastbarkeit erhöhen. In einer Welt der Selbstoptimierung sollen die Arbeitnehmer die schlechten Bedingungen irgendwie aushalten und, bitte schön, Verantwortung für sich selbst übernehmen. "Sagen Sie, wenn es Ihnen zu viel wird!", hört man Vorgesetzte sagen. Andere lassen die Belegschaft wissen, dass ein Sabbatical jederzeit möglich sei - Erholung von der Arbeit auf eigene Kosten, könnte man das übersetzen.
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Arbeitgeber müssen für seelische Gesundheit mehr tun
Doch solche Offerten reichen nicht. Arbeitgeber müssen für die seelische Gesundheit mehr tun. Sie müssen Antennen für das Wohlbefinden der Belegschaft aufstellen, müssen Mitarbeitern Gespräch und Hilfe anbieten - lange bevor diese zusammenklappen. Und sie müssen ihnen, bei allem Druck, neben einem überschaubaren Arbeitspensum auch Freiraum geben.
Zweifelsohne gibt es Berufe, die vom ganzen Einsatz derjenigen leben, die sie ausüben. In sozialen oder kreativen Jobs gibt es, ebenso wie in Führungspositionen, oft keinen richtigen Feierabend. Ein guter Journalist kann kaum sein, wer nach Redaktionsschluss keine Geschichten mehr hören will, und eine gute Lehrerin vergisst nach der letzten Schulstunde nicht die Sorgen ihrer Schüler.
Es kann also keine Lösung sein, Mitarbeitern nach Feierabend den Zugang zu Firmenmails zu verbieten, wie dies manche Betriebe praktizieren. Das ist falsch verstandener Paternalismus. Engagement muss möglich sein, wenn es dem Arbeitnehmer positiven, ihn bereichernden Stress ermöglicht. Den gibt es schließlich auch, und er beinhaltet das gute Gefühl, etwas zu leisten, und Projekte mit ganzem Einsatz verfolgen zu können.
Menschen brauchen Freiräume im Beruf. Berichte über Burn-out von Prominenten wie der Publizistin Miriam Meckel oder dem Fußballtrainer Ralf Rangnick könnten zu dem Schluss führen, Menschen in Spitzenpositionen seien besonders anfällig dafür. Burn-out ist aber gar keine Managerkrankheit, wie der Leipziger Psychiatrieprofessor Ulrich Hegerl betont.
Manager können Stress oft gut verarbeiten - und das nicht, weil sie in ihrer spärlichen Freizeit ein Resilienztraining nach dem anderen absolvieren oder weil sie einfach unglaublich tolle Typen sind. Arbeitszufriedenheit hat vielmehr mit Selbstbestimmung zu tun. Den schlimmsten Stress bedeuten nämlich nicht die selbst auferlegten Termine, sondern das Gefühl, nur noch der Getriebene zu sein. So leidet der am meisten, der am wenigsten zu sagen hat. Wer herumgeschickt und ständig angemosert wird, hat viel mehr Stress als jemand, der zwar große Aufgaben zu erledigen hat, dabei aber über Spielraum verfügt.
So ließen sich Engagement und Wohlbefinden in Betrieben durch einige einfache Kniffe erheblich steigern. Dafür brauchen die Firmen aber ein substanzielles Gesundheitsmanagement - also mehr als Äpfel auf dem Empfangstresen und die allseits beliebte Rückenschule. Zunächst müssen die Führungskräfte geschult werden: weg mit dem Defizitblick, hin zur Wertschätzung - das müssen nämlich nicht nur Arbeitnehmer lernen, sondern auch ihre Vorgesetzten.
Unternehmen selbst brauchen Resilienz
"Das Verhalten von Führungskräften hat einen ganz wesentlichen Einfluss auf die psychische Gesundheit in Unternehmen", betont Werner Kissling, Leiter des Centrums für Disease Management an der Technischen Universität München. Wenn Führungskräfte lernen, offen eigene Defizite zu kommunizieren, ihren Untergebenen Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen und ihnen mehr positives Feedback zu geben, würde sich das auch finanziell lohnen: Psychische Erkrankungen kosten Firmen laut Kissling jedes Jahr 3,5 Millionen Euro pro 1000 Mitarbeiter.
Bosse, die immer noch nicht überzeugt sind, sollten sich wenigstens Folgendes klarmachen: Die psychische Gesundheit der Beschäftigten ist ein wesentliches Überlebensmerkmal für eine Firma. Denn auch die Unternehmen selbst brauchen Resilienz. Schließlich können Firmen ebenso wie Menschen an Krisen zugrunde gehen. Dass ein Konzern wie Siemens nun schon mehr als 150 Jahre überstanden hat, hat mit seiner Anpassungsfähigkeit an neue Märkte und Umstände zu tun - und damit, dass die Belegschaft die Herausforderungen mitgetragen hat.
Bei einem traditionsreichen Getriebehersteller in Süddeutschland wäre es dagegen fast schiefgegangen. Lange hat die Führungsebene nichts von solchem modernen Gesundheitsgerede hören wollen. Wie sinnvoll es sein könnte, merkten die Manager erst 2009, als die Firma fast pleiteging. Gleich mehrere Führungskräfte erlitten damals einen Herzinfarkt. Seitdem gibt es endlich einen zusätzlichen Manager in der Firma - den für betriebliche Gesundheit.