Eine Karrieremesse vor wenigen Wochen. Philipp Benkler betritt im Kapuzenpulli die Bühne, Hunderte Top-Absolventen schauen zu ihm hoch, junge, ambitionierte Menschen auf der Suche nach dem passenden Berufseinstieg. Sie treffen auf große Namen: 15 Unternehmen, darunter Commerzbank, Deutsche Bahn und BASF sind angereist und werben am Vorabend des Messetages um die besten Köpfe. Der seit Jahren beschriebene "War for Talents", der Kampf um Talente, auf dieser Messe kann man ihn besichtigen.
Benkler hat fünf Minuten Zeit, um die Vorzüge seines jungen Münchner Unternehmens Testbirds zu präsentieren, dessen Geschäftsmodell es ist, Crowd-basiert Apps und Webseiten zu testen und zu optimieren. Anders als die übrigen Unternehmen zeigt er statt eines aufwendigen Image-Films ein paar Folien, eine davon mit einem komplizierten Organigramm, wie man es von Konzernen kennt. "Wenn Sie in solchen Strukturen Karriere machen wollen", sagt Benkler, "dann sind Sie bei uns falsch."
Später bewerten die Zuhörer die Vorträge der Unternehmensvertreter. Benkler belegt den zweiten von 15 Plätzen - und kann sich am nächsten Tag kaum vor potenziellen Bewerbern retten, die am Testbirds-Stand ihre Lebensläufe abgeben wollen.
Der typische Werdegang eines hochqualifizierten Uni-Absolventen ist noch immer vorhersehbar. Nach dem Studium legt er Anzug und Krawatte an, arbeitet 60 Stunden pro Woche in strengen Hierarchien, bekommt dafür ein ordentliches Gehalt - und hat kaum Zeit, es auszugeben. Das jedenfalls bieten viele Konzerne. Sie versprechen zwar individuelle Karriereplanung, zeitgemäße Vereinbarkeit von Beruf und Familie, punkten mit ihrer Marke - doch vieles davon ist nur gut klingende Werbung.
Was ist schon Gehalt? Gesucht wird: Sinn
Immer mehr junge Menschen fügen sich aber nicht länger dem Standard: bürokratische Abläufe, undurchschaubare Kommunikationswege - kurz: sie wollen nicht eine kleine Nummer in einem großen System sein. "In großen Unternehmen werden Stellen geschaffen und dann passende Stelleninhaber gesucht", sagt der Frankfurter Karriere-Experte Thomas Fuchs. "Junge, dynamische Firmen suchen hingegen Leute, die zu ihnen passen, und bauen um sie herum Tätigkeitsprofile nach ihren Fähigkeiten." Wer zur Generation der Führungskräfte von morgen und übermorgen gehört, will nicht mehr nur "Stelleninhaber" sein, sondern sucht mehr: Sinn, Einflussnahme und Spaß an der Arbeit. Gefragt nach den Erwartungen an eine Tätigkeit, sagen mehr als zwei Drittel aller 15- bis 24-Jährigen, sie wollten "einen Beruf, der Spaß macht". Alle anderen Wünsche sind laut der jüngsten Ausbildungsstudie der Hamburger-Kette McDonald's weniger wichtig.
Unternehmen können also gar nicht mehr anders, als sich besser auf die Befindlichkeiten der Nachwuchskräfte einzustellen. Fast 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland haben laut einer Studie der Managementberatung Towers Watson Schwierigkeiten, sogenannte High Potentials zu gewinnen, also besonders für Führungsaufgaben geeignete Mitarbeiter. Mehr als zwei Drittel kämpfen demnach mit Schwierigkeiten, sie auch zu halten. Das wird zunehmend zum Problem: Bis zum Ende des Jahrzehnts wird das Arbeitsangebot in Deutschland durchschnittlich um 0,4 Prozent pro Jahr schrumpfen, bis 2030 sogar noch schneller, warnte jüngst die Beratungsgesellschaft Boston Consulting.
"Deine Ideen sind schwerstens erwünscht"
Vor allem Jungunternehmen mit wenigen Mitarbeitern fällt es leichter, auf die neuen Bedürfnisse einzugehen, zeigt etwa das Hamburger Unternehmen Jimdo, das Baukästen für Webseiten entwickelt. "In deinem Bereich arbeitest du eigenverantwortlich, deine Ideen sind schwerstens erwünscht", heißt es unter dem Titel "Warum DU bei Jimdo arbeiten willst". Distanziertes Siezen ist unerwünscht, das Miteinander preist die Firma entsprechend als familiär - ja, "wie in einer WG", in der jeder so sein dürfe, wie er ist.
Um das Wohlbefinden der Kollegen kümmert sich eine "Feelgood-Managerin", eine Fachkraft fürs Wohlbefinden. Sie nimmt Wünsche, Sorgen und Rückmeldungen auf, organisiert tägliches Joggen oder gezielte Gesprächsrunden zwischen Mitarbeitern, damit "jeder mal mit jedem redet".
Feelgood sei viel mehr als eine schicke Kaffeemaschine, sagt Gabriele Korge. Sie forscht am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation daran, wie junge Menschen arbeiten wollen und wie Unternehmen darauf reagieren. Wohlfühlen habe auch mit Fragen zu tun wie: Kann ich effektiv arbeiten? Oder werde ich davon abgehalten, weil ich einen komplizierten Urlaubsantrag ausfüllen muss oder ständig in unproduktiven Besprechungen sitze?
Dabei muss es nicht gleich ein Feelgood-Manager sein, der sich um die Mitarbeiter kümmert. Große Unternehmen mit Hunderttausenden Mitarbeitern stünden häufig vor dem Problem, potenzielle Führungskräfte schon früh zu erkennen und gezielt nach deren Wünschen zu fördern, beobachtet Wolfgang Doerfler, Deutschland-Chef der Talentmanagement-Beratung DDI. Eine wichtige Rolle müssten dabei Vorgesetzte übernehmen: "Führungskräfte sind zunehmend als Talentscouts gefragt", sagt er. Dabei komme es darauf an, dass Konzerne die Karriereversprechen auch einhalten.