Nicole Tietz, 42, Assistentin der Geschäftsführung von Vollmer & Scheffczyk, gestaltet ihre Arbeitszeit selbst
Viel Kommunikation erfordere ihr Arbeitsmodell, sagt Nicole Tietz von Vollmer & Scheffczyk. - Und Vertrauen.
(Foto: OH)Ich arbeite im Backoffice von V & S, als Assistentin der Geschäftsführung. Wir haben zwei Backoffices in Hannover und Stuttgart, in denen insgesamt vier Mitarbeiter arbeiten, dazu 20 Berater, die meist beim Kunden im Einsatz sind. Der Deal ist: In jedem Büro muss mindestens ein Mitarbeiter da sein. Sonst gibt es keine Vorschriften.
In unseren Arbeitsverträgen steht zwar eine Wochenarbeitszeit, aber es gibt keine Stechuhren und niemand fragt nach, ob man die Stunden auch abgesessen hat. Der Fokus liegt nicht auf der Arbeitszeit, sondern auf dem, was wir leisten. Wenn ich meine Arbeit in zwei Stunden erledigt habe und die Sonne scheint, dann gehe ich nach Hause.
Ich gestalte meinen Arbeitsalltag relativ traditionell, weil ich ein Kind im schulpflichtigen Alter habe und im Homeoffice schnell abgelenkt wäre. Wenn ich meine Tochter in die Schule gebracht habe, gehe ich ins Büro. Und zwischen 15 und 18 Uhr höre ich auf. Für mich ist es vor allem deshalb praktisch, in den Kernzeiten da zu sein, weil die meisten unserer Kunden auch zu diesen Zeiten arbeiten. Die erreiche ich einfach nicht, wenn ich um sechs Uhr morgens oder 22 Uhr anrufe.
Eine meiner Kolleginnen hat eine neue Beziehung in Köln, also arbeitet sie jetzt hauptsächlich von dort aus. Telefonisch sind wir immer erreichbar, da ein Callcenter zwischengeschaltet ist, das die Anrufe dorthin leitet, wo der betreffende Mitarbeiter gerade ist. Das macht die Sache noch flexibler.
Natürlich spielt Vertrauen eine sehr große Rolle. Das fängt schon damit an, dass wir unser Gehalt selbst bestimmen. Zudem sind alle, wirklich alle Zahlen im Unternehmen transparent. Das zeugt von einem großen Vertrauen, das die Geschäftsführer an den Tag legen und das spiegelt sich in der Arbeit der Angestellten wider.
Für manche kann viel Freiheit auch eine Bürde bedeuten
Ich habe in einem ganz klassischen Betrieb Hotelfachfrau gelernt, wo die Chefin nach dem Motto gelenkt hat: Mitdenken unerwünscht, ausführen erwünscht. Und bei V & S hieß es plötzlich: "Mach doch! Entscheide doch! Geh' einfach los!" Und ich dachte: "Um Gottes willen, wer segnet das denn ab?" Auch bei dem Gehaltsmodell hatte ich anfangs große Schwierigkeiten. Selbst mein Gehalt zu bestimmen, zu sagen: "Das bin ich wert", ist mir extrem schwer gefallen. Mittlerweile finde ich es großartig und wenn es das Unternehmen aus irgendeinem Grund mal nicht mehr gibt, dann werde ich mich selbständig machen müssen, denn ich könnte nirgendwo mehr arbeiten, wo meine Meinung nicht geschätzt wird.
Kommunikation ist bei diesem Arbeitsmodell das A und O. Wir treffen uns jeden letzten Freitag des Monats an einem der beiden Standorte der Firma. Da wird dann viel besprochen, und wir arbeiten zusammen an Projekten. Zudem haben wir eine firmeninterne Plattform, die ähnlich funktioniert wie Facebook.
Das klingt jetzt alles sehr paradiesisch, aber das ist es nicht immer. Das Modell wurde durchaus auch schon ausgenutzt. Da gab es Leute, die nur noch Homeoffice gemacht haben und sich auch beim Gehalt höher eingeschätzt haben, als es zu ihren Leistungen gepasst hätte. Aber wenn jemand das System ausnutzt, dann merken wir das. Und schon beim Einstellungsgespräch achten wir darauf, dass der Bewerber zu uns passt. Wir können niemanden einstellen, der darauf wartet, dass ihm gesagt wird, was er tun muss, wann er es tun muss und wie. Man muss mit den Freiheiten, die wir hier haben, auch umgehen können. Für manche ist das eine regelrechte Bürde.
Aber für die, die hier sind, ist es großartig. Das Privatleben profitiert davon natürlich auch sehr. Ein Beispiel: Ich kann so viel Urlaub nehmen, wie ich brauche und muss nicht anfangen zu rechnen, um mit meinen gesetzlich festgelegten 24 Tagen klar zu kommen. Solange meine Arbeit nicht leidet und ich diese Freiheit nicht ausnutze und mehr als 35 Tage Urlaub nehme, ist das kein Thema. Dadurch bin ich wesentlich entspannter. Gerade mit Kind genieße ich die Flexibilität total. Ich muss nicht so viel jonglieren wie viele andere Mütter in konventionellen Arbeitsverhältnissen. So kann ich in meinem Job auch stark sein.