Trump und der Welthandel:Zölle als Sozialpolitik

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Polizei, Drogen, Alltag: Eine Szene aus der Netflix-Serie "Flint Town". (Foto: Zackary Canepari)

Verfall, Kriminalität und Drogenelend: In den USA hatte der Niedergang der alten Industrien brutale Folgen. Wenn Trump Zölle erlässt, dann auch, weil Washington nicht länger zusehen kann.

Kommentar von Hubert Wetzel, Washington

Zölle sind Gift, das konnte man in den vergangenen Wochen lernen. Eine Regierung, die importierte Produkte mit Abgaben belegt, um die heimischen Hersteller ähnlicher Produkte zu schützen, handelt ökonomisch unsinnig. Ihre Schutzzölle werden von den betroffenen Ländern mit Strafzöllen vergolten, am Ende verlieren alle.

Dieser Grundsatz gilt für die Stahl- und Aluminiumzölle, die Donald Trump vorige Woche erlassen hat. Er würde auch für die Zölle gelten, mit denen er nun vielleicht deutsche Autos belegen will. Das eine oder andere amerikanische Stahl- oder Autowerk könnte davon profitieren. Gleichzeitig werden andere Unternehmen - und ihre Arbeiter - unter den Vergeltungsmaßnahmen leiden. Dass viele der "deutschen" Autos, über die Trump sich so empört, in Wahrheit längst in den USA gebaut werden, zeigt nur, wie wackelig die Logik des Präsidenten ist.

Das ist die wirtschaftspolitische Seite der Debatte. Es gibt aber auch noch eine andere Seite, und wie die aussieht, kann man sich derzeit bei Netflix anschauen. Dort läuft "Flint Town", eine finstere Dokumentation über die Stadt Flint in Michigan. Bis vor einigen Jahrzehnten wurden dort noch Autos zusammengeschraubt, es gab gut bezahlte Arbeitsplätze und ein solides Mittelklasseleben auch für Leute, die nur einfache Schulabschlüsse hatten. Bei Netflix läuft auch "Heroin(e)", ein Film über die Drogenepidemie in Huntington, West Virginia. Auch dort gab es früher Jobs in der Stahl- und Bergbauindustrie, die gutes Geld brachten.

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Doch diese Arbeitsplätze sind weg und mit ihnen die guten Löhne und das Leben in Sicherheit und Würde. In 22 Bundesstaaten, darunter in fast allen, in denen einst Amerikas Industrie beheimatet war, ist heute der Handelskonzern Walmart der größte Arbeitgeber. Einfache Angestellte verdienen dort etwa zehn Dollar die Stunde - kaum genug zum Überleben. Die sozialen Folgen dieses Strukturwandels waren brutal. In Flint, Huntington und Hunderten anderen Städten im "Rostgürtel" herrschen heute Verfall, Kriminalität und Drogenelend.

Vor diesem Hintergrund kann man Trumps Zölle daher durchaus als Sozialpolitik sehen. Die Methoden mögen brachial und ökonomisch fragwürdig sein, die Motive des Präsidenten eher nationalistischen als karitativen Ansichten entspringen. Vermutlich gäbe es zukunftsträchtigere Branchen als Aluminium und Stahl, die Schutz und Förderung verdienen. Und vielleicht wird Trump unterm Strich für Amerikas Arbeiter mehr Schaden anrichten, als er an Besserung bringt.

Doch dass eine Regierung nicht einfach zusehen kann, wie ganze Regionen und deren Bewohner untergehen, nur weil die Gesetze der Ökonomie das angeblich so diktieren, ist verständlich. Es gibt ja gute Gründe, warum auch diverse Bundesregierungen jahrzehntelang jede in Deutschland geförderte Tonne Kohle subventioniert haben. Das war wirtschaftlich zweifelhaft. Aber es half, den sozialen Frieden im Ruhrgebiet zu sichern.

Trumps Vorgänger, darunter die Sozialdemokraten Bill Clinton und Barack Obama, haben sich um den Niedergang der alten Industrien, um den Zusammenbruch der Mittelschicht und die wachsende Wut im Rust Belt kaum gekümmert. Die Wall Street, Silicon Valley und Hollywood waren interessanter. Das Ergebnis davon: Donald Trumps Wahlsieg. Und vielleicht ein Handelskrieg.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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